CHAUTAUQUA (dpa) — Der Angriff auf Schrift­stel­ler Salman Rushdie sorgt noch immer für Entset­zen, nun gibt es erste Anzei­chen für eine Besse­rung seines Zustands. Der mutmaß­li­che Täter plädiert derweil auf «nicht schuldig».

Es sind hoffnungs­vol­le Nachrich­ten über den verwun­de­ten Schrift­stel­ler Salman Rushdie, die am Wochen­en­de aus dem Kranken­haus zu hören waren. Der Autor ist Medien­be­rich­ten zufol­ge auf dem Wege der Besse­rung. Er werde nicht mehr künst­lich beatmet und habe am Samstag — einen Tag nach der Attacke auf offener Bühne — wieder sprechen können, berich­te­te die «New York Times» unter Berufung auf seinen Litera­tur­agen­ten Andrew Wylie.

Der 75-jähri­ge Rushdie war während einer Lesung in einem Insti­tut in Chautau­qua im Westen des US-Bundes­staa­tes New York schwer verletzt worden und hatte mehre­re Stich­wun­den unter anderem an Hals und Bauch erlit­ten. Zu einem Tatmo­tiv gab es weiter keine Angaben.

Verdäch­ti­ger plädiert auf «nicht schuldig»

Vor Gericht schwieg der mutmaß­li­che Täter, der 24-jähri­ge Hadi Matar, am Samstag und ließ sich von seinem Pflicht­ver­tei­di­ger für «nicht schul­dig» erklä­ren, wie die «New York Times» und andere US-Medien berich­te­ten. Ihm wurden demzu­fol­ge versuch­ter Mord zweiten Grades sowie Angriff mit einer tödli­chen Waffe und der Absicht, eine Körper­ver­let­zung zu verur­sa­chen, vorgeworfen.

Auf Fotos war der Mann aus dem Bundes­staat New Jersey, dessen Familie aus dem Libanon stammt, mit weißer Mund-Nasen-Maske in gestreif­ter Häftlings­klei­dung und orange­nen Schuhen zu sehen. Er bleibe ohne Kauti­on weiter in Gewahr­sam, schrieb die «New York Times». Die nächs­te Anhörung soll demnach am 19. August um 15.00 Uhr (Ortszeit) stattfinden.

Mord zweiten Grades ist ein eigen­stän­di­ger Tatbe­stand im US-Rechts­sys­tem zum Tod eines Menschen. Dafür können Angeklag­te im Bundes­staat New York mit jahre­lan­gen Haftstra­fen belegt werden.

Vor Gericht erklär­ten die Staats­an­wäl­te laut US-Medien, der Angriff auf den Autor sei vorsätz­lich und gezielt gewesen. Matar sei mit einem Bus zu dem Insti­tut im ländli­chen Westen des Bundes­staa­tes gefah­ren und habe sich dort ein Ticket gekauft, um am Freitag­vor­mit­tag Rushdies Vortrag hören zu können. Der 75-jähri­ge Autor hatte dort über verfolg­te Künst­ler sprechen wollen und wenige Minuten vor dem Angriff die Bühne betreten.

Tötungs­auf­ruf gegen Salman Rushdie

Wegen Rushdies Werks «Die satani­schen Verse» aus dem Jahr 1988 hatte der damali­ge irani­sche Revolu­ti­ons­füh­rer Ajatol­lah Chomei­ni zur Tötung des britisch-indischen Autors aufge­for­dert. Er warf Rushdie vor, in seinem Roman den Islam, den Prophe­ten und den Koran belei­digt zu haben. In dem Buch kommt unter anderem eine Figur vor, die dem Prophe­ten Moham­med ähnelt. Die Kritik lautet, dass Rushdie den göttli­chen Ursprung des Koran in Frage stellte.

Auf das Todes­ur­teil folgten damals eine drama­ti­sche Flucht Rushdies und jahre­lan­ges Verste­cken. Seit mehr als 20 Jahren lebt er nun in New York.

Am frühen Sonntag gab es zunächst keine neuen Infor­ma­tio­nen über Rushdies Gesund­heits­zu­stand. Laut US-Medien wurde er weiter in einem Kranken­haus in Erie im angren­zen­den Bundes­staat Pennsyl­va­nia behan­delt. Sein Schrift­stel­ler­kol­le­ge Aatish Taseer hatte auf Twitter geschrie­ben, Rushdie mache schon Witze. Der Tweet wurde aber offen­bar später wieder gelöscht.

Rushdie war nach dem Angriff per Hubschrau­ber in ein Kranken­haus gebracht, operiert und an ein Beatmungs­ge­rät angeschlos­sen worden, wie sein Agent Wylie am Freitag­abend der «New York Times» mitge­teilt hatte. Er könne nicht sprechen und werde wahrschein­lich ein Auge verlie­ren. Außer­dem seien Nerven­strän­ge in seinem Arm durch­trennt und seine Leber beschä­digt worden.

Genesungs­wün­sche aus aller Welt

Promi­nen­te und Politi­ker aus aller Welt verur­teil­ten unter­des­sen den Messer­an­griff auf Rushdie und wünsch­ten ihm eine schnel­le Genesung. US-Präsi­dent Joe Biden lobte, Rushdie habe sich nicht einschüch­tern lassen und stehe für «wesent­li­che, univer­sel­le Werte» wie Wahrheit, Mut und Widerstandsfähigkeit.

Der briti­sche Premier-Kandi­dat für die Nachfol­ge von Boris Johnson, Rishi Sunak, forder­te indes Sanktio­nen gegen den Iran. Sunak sagte dem «Telegraph», der Angriff müsse ein «Weckruf für den Westen» sein und spreche dafür, die irani­sche Revolu­ti­ons­gar­de als Terror­or­ga­ni­sa­ti­on einzu­stu­fen. Man müsse sich außer­dem fragen, ob eine poten­zi­el­le Einigung mit dem Iran im Atomstreit «mögli­cher­wei­se in einer Sackgas­se angekom­men» sei.

Der israe­li­sche Regie­rungs­chef Jair Lapid sah die Schuld an dem Angriff auch bei der Führung des Irans. Der Vorfall sei «das Resul­tat von Jahrzehn­ten der Aufwie­ge­lung, angeführt durch das extre­mis­ti­sche Regime in Teheran», schrieb Lapid bei Twitter.

Von Außen­mi­nis­te­rin Annale­na Baerbock (Grüne) hieß es: «Wer diesen Mordan­schlag nun auch noch recht­fer­tigt, verbrei­tet nichts anderes als Hass und Extre­mis­mus. Wer an ein fried­li­ches Zusam­men­le­ben glaubt, muss sich dem klar und konse­quent entge­gen­stel­len.» Kanzler Olaf Scholz (SPD) schrieb bei Twitter: «Was für eine abscheu­li­che Tat!».

Der Schrift­stel­ler­ver­band PEN teilte mit: «Als Zeichen unserer Solida­ri­tät mit diesem mutigen Kämpfer für die Freiheit des Wortes ernennt das Präsi­di­um des PEN-Zentrums Deutsch­land Salman Rushdie zum Ehrenmitglied.»

Die briti­sche Harry-Potter-Autorin Joanne K. Rowling wurde nach dem Angriff auf Rushdie online bedroht. Rowling hatte am Freitag auf Twitter ihr Entset­zen über die Gewalt­tat ausge­drückt und über Rushdie geschrie­ben: «Ich hoffe, er ist okay.» Darauf­hin antwor­te­te ein anderer Nutzer: «Keine Sorge, du bist die nächste.»

Von Chris­ti­an Fahren­bach, Angeli­ka Engler und Gaby Mahlberg, dpa