Ob «Good Bye, Lenin!» oder «Boxha­ge­ner Platz»: Micha­el Gwisdek war ein Publi­kums­lieb­ling. Ein Blick auf eine Ausnahmekarriere.

Er war bereits zu DDR-Zeiten ein Star, erst am Theater, dann im Kino. Am Diens­tag ist er im Alter von 78 Jahren gestor­ben — nach «kurzer schwe­rer Krank­heit», wie seine Familie am Mittwoch nach Angaben der Agentur Just Publi­ci­ty mitteilte.

Mit Filmen wie «Good Bye, Lenin!», «Boxha­ge­ner Platz», «Nacht­ge­stal­ten» und «Oh Boy» war er ein Publi­kums­lieb­ling. Auch im Fernse­hen war er oft zu sehen: ob im «Tatort», bei «Bella Block» oder in «Donna Leon». Gwisdek sagte: «Komödie ist das Schwers­te.» Aber er sei nicht festge­legt. «Charak­ter­dar­stel­ler würde ich gerne genannt werden.»

Privat waren Micha­el Gwisdek und die Schau­spie­le­rin Corin­na Harfouch viele Jahre ein Paar. Sohn Robert wurde ebenfalls Schau­spie­ler, Sohn Johan­nes Kompo­nist. Später lebte Gwisdek mit seiner Frau, der Drehbuch­au­to­rin und Schrift­stel­le­rin Gabrie­la Gwisdek, auf dem Land vor den Toren Berlins. Er rauch­te gerne und züchte­te Kois.

Der 1942 gebore­ne Gastwirts­sohn aus Berlin-Weißen­see lernte das Schau­spiel­hand­werk an der Hochschu­le für Schau­spiel­kunst «Ernst Busch» — wie viele promi­nen­te Kolle­gen. Mit dem Kino erfüll­te sich ein Traum seiner Jugend. In den 50er Jahren zog es ihn, wie damals viele Ost-Berli­ner, bei Ausflü­gen im kleinen Grenz­ver­kehr nach West-Berlin zum Filme gucken.

Gwisdek spiel­te in den 60er und 70er Jahren an verschie­de­nen Theatern in der DDR. Sein komödi­an­ti­sches Talent brach­te ihm bald Rollen im Kino ein. Entschei­dend waren zwei Arbei­ten: Die Litera­tur­ver­fil­mung «Dein unbekann­ter Bruder» (1982) und das Boxer-Drama «Olle Henry» (1983). Beide Filme gefie­len den Zenso­ren nicht. Sie warfen ein Schlag­licht auf die Verlo­gen­heit der ostdeut­schen Gesell­schaft zwischen verord­ne­tem Duckmäu­ser­tum und sinnfrei­er Propaganda.

Das Publi­kum, darin geübt, zwischen den Zeilen zu lesen, feier­te die Filme und den Haupt­dar­stel­ler. «Für uns war das toll, aufre­gend, ungewöhn­lich», so Gwisdek. «Aber es war einfach auch schlimm, nicht sagen zu können, was man dachte.»

Diese Situa­ti­on prägte sein Regie­de­büt «Treffen in Travers» (1988), mit seiner damali­gen Frau Corin­na Harfouch und ihm selbst in den Haupt­rol­len. Gwisdek verleg­te die Ausein­an­der­set­zung mit der Ausgren­zung Anders­den­ken­der ins histo­ri­sche Gewand. Das Publi­kum verstand den Gegen­warts­be­zug des aufmüp­fi­gen Kostüm­dra­mas aber sehr genau. Damit wurde Gwisdek endgül­tig zum Idol all jener, die sich nicht mehr wider­spruchs­los anpas­sen wollten.

Nach dem Fall der Mauer erfüll­te sich sein Traum, über den roten Berli­na­le-Teppich zu gehen. 1999 erhielt Gwisdek einen Silber­nen Bären als bester Haupt­dar­stel­ler in Andre­as Dresens «Nacht­ge­stal­ten».
Seine Trophä­en-Ausbeu­te war groß und reicht vom Deutschen Filmpreis über den Deutschen Fernseh­preis bis zum Grimme-Preis.

Gwisdek konnte auch unbequem sein. Sein ZDF-Film «Schmidt & Schwarz» (2011) gefiel ihm nicht. Das sagte er auch laut. Das war ungewöhn­lich, weil Gwisdek in der Krimi­ko­mö­die — neben Corin­na Harfouch — die Haupt­rol­le spiel­te und seine Frau Gabrie­la das Buch geschrie­ben hatte. Beispie­le für seine Berli­ner Schnau­ze finden sich viele, etwa in einem «B.Z.»-Interview von 2019, dort mit Blick auf die Politik: «Dit reicht mir jetzt! Wenn die DDR irgend­was erreicht hat, dann dass ich Nazis schei­ße finde!»

Auch mit weit über 70 hatte Gwisdek noch viel zutun. In einer Krimi-Serie auf ZDFneo («Dead End») spiel­te er den Leichen­be­schau­er Dr. Peter Kugel. In Lars Kraumes DDR-Drama «Das schwei­gen­de Klassen­zim­mer» gab er den Westra­dio hören­den Onkel. Mit Henry Hübchen und Thomas Thieme drehte Gwisdek die Komödie «Kundschaf­ter des Friedens». Seine Beobach­tung mit Mitte 70: «Ick komm’ nicht dazu, Rentner zu sein.»

Branden­burgs Minis­ter­prä­si­dent Dietmar Woidke (SPD) würdig­te Gwisdek einmal als «Origi­nal mit Herz und Schnau­ze». Er sei «ein Alles­kön­ner, der sowohl in komischen als auch in melan­cho­li­schen Rollen glänzt.» Das werden viele Zuschau­er genau­so sehen.