BERLIN (dpa) — Kanzler Scholz reagiert auf den Vorwurf, bei Waffen­lie­fe­run­gen zu zöger­lich zu sein und spricht von einem «tiefgrei­fen­den Kurswech­sel». Der Druck auf den Kanzler wächst indes, nicht nur aus der Opposition.

Bundes­kanz­ler Olaf Scholz hat die Liefe­rung weite­rer Waffen an die Ukrai­ne angekündigt.

«Die Möglich­kei­ten der Bundes­wehr, aus ihrem Arsenal weite­re Waffen zu liefern, sind weitge­hend erschöpft. Was noch verfüg­bar gemacht werden kann, liefern wir aber auf jeden Fall noch», sagte der SPD-Politi­ker dem «Spiegel». Scholz nannte hierbei Panzer­ab­wehr­waf­fen, Panzer­richt­mi­nen und Artilleriemunition.

Mit der deutschen Indus­trie sei eine Liste von militä­ri­scher Ausrüs­tung erstellt worden, die rasch liefer­bar sei. Sie sei mit dem ukrai­ni­schen Vertei­di­gungs­mi­nis­te­ri­um bespro­chen. «Wie bisher also Vertei­di­gungs­waf­fen und Mörser für Artil­le­rie­ge­fech­te.» Truppen­trans­por­ter und Artil­le­rie seien schnell einsetz­bar, sagte Scholz. Kurzfris­tig seien Waffen aus ehema­li­gen sowje­ti­schen Bestän­den am sinnvolls­ten, mit denen die Ukrai­ner gut vertraut seien. Mittel­fris­tig werde Deutsch­land der Ukrai­ne dabei helfen, ihre Vertei­di­gungs­fä­hig­keit auszu­bau­en, «auch mit westli­chen Waffen».

Scholz wies den Vorwurf zurück, er sei in der Frage zu zöger­lich oder äußere sich wider­sprüch­lich. «Für Deutsch­land war es ein tiefgrei­fen­der Kurswech­sel, als ich angekün­digt habe, Waffen in dieses Kriegs­ge­biet zu liefern», unter­strich der Kanzler. «Viele, die diesen Schritt früher katego­risch abgelehnt haben, überbie­ten sich jetzt mit Forde­run­gen, noch viel mehr zu liefern — ohne die genaue Sachla­ge zu kennen.»

Scholz sieht auch keinen Anlass, die Russland­po­li­tik der SPD aufzu­ar­bei­ten. «Seit Adenau­ers Zeiten gibt es diese verfäl­schen­den und verleum­de­ri­schen Darstel­lun­gen der Europa- und Russland­po­li­tik der SPD, das ärgert mich», sagte der Kanzler dem Nachrich­ten­ma­ga­zin. Er beton­te: «Ich befür­wor­te jede Diskus­si­on über die künfti­ge Politik. Aber ich weise zurück, dass die Eintritts­kar­te für eine Debat­te eine Lüge ist.»

SPD-Chef springt Scholz bei

Der SPD-Vorsit­zen­de Lars Kling­beil hat indes­sen für den Kanzler Partei ergrif­fen. «Ich bin sehr froh darüber, dass wir einen Kanzler haben, der die Sachen durch­denkt und sich mit den inter­na­tio­na­len Bündnis­part­nern eng abstimmt», sagte der SPD-Chef der Deutschen Presse-Agentur. «Das erwar­te ich von guter Führung: Keine Schnell­schüs­se, sondern durch­dacht, entschie­den und konse­quent zu handeln und nicht jeden Tag die Meinung zu wechseln oder auf schöne Überschrif­ten zu setzen.»

Doch aus den Reihen des Koali­ti­ons­part­ners Grüne und von der opposi­tio­nel­len Union wird der Druck aufrecht erhal­ten. Der Europa­aus­schuss-Vorsit­zen­de im Bundes­tag, Anton Hofrei­ter (Grüne), bekräf­tig­te in den Zeitun­gen der Funke-Medien­grup­pe: «Durch das Bremsen des Energie-Embar­gos und der nötigen Waffen­lie­fe­run­gen droht die Gefahr, dass sich dieser Krieg immer länger hinzieht und Putin weite­re Länder überfal­len wird.»

Zugleich versi­cher­te er, es gebe «keiner­lei Zweifel an der Kanzler­schaft von Olaf Scholz». Die sicher­heits­po­li­ti­sche Spreche­rin seiner Frakti­on, Sara Nanni, forder­te Scholz auf, sich deutli­cher zu positio­nie­ren. «Wir brauchen Klarheit vom Bundes­kanz­ler, was die Priori­tä­ten sind und wie Entschei­dun­gen fallen», sagte sie dem Redak­ti­ons­netz­werk Deutschland.

Unions­frak­ti­on kündigt Antrag im Bundes­tag an

Die CDU/C­SU-Bundes­tags­frak­ti­on will mit einem Antrag im Bundes­tag die Bundes­re­gie­rung zu Bewegung in der Frage von Liefe­run­gen schwe­rer Waffen an die Ukrai­ne drängen. Unions­frak­ti­ons­vi­ze Johann Wadephul (CDU) sagte am Freitag im ZDF-«Morgenmagazin» auf die Frage, ob die Drohung mit dem Antrag und nament­li­cher Abstim­mung Bestand habe, die Union habe sich dazu entschie­den und bringe den Antrag ein. Es gebe eine klare parla­men­ta­ri­sche Mehrheit für die Liefe­rung schwe­rer Waffen. Grüne und FDP seien offen­sicht­lich mehrheit­lich, wenn nicht sogar vollstän­dig dafür, auch in der SPD gebe es dafür gewich­ti­ge Stimmen. Die Union befür­wor­te dies seit Wochen.

«Deutsch­land kann liefern», beton­te Wadephul. Das müsse im Bundes­tag geklärt werden. Wenn die Frage der Impfpflicht eine Gewis­sens­ent­schei­dung gewesen sei, dann sei es diese Frage erst recht.

Parla­ments­ge­schäfts­füh­rer Patrick Schnie­der (CDU) erklär­te: «Der Streit in der Ampel und insbe­son­de­re das Zaudern des Bundes­kanz­lers beim Thema Waffen­lie­fe­run­gen ist mehr als blama­bel und lässt Zweifel daran aufkom­men, auf welcher Seite die Bundes­re­gie­rung eigent­lich steht.» Der Europa-Exper­te Gunther Krich­baum (CDU) sagte der «Bild»-Zeitung: «Das Wegdu­cken von Scholz hilft nur Russland.»

Auch die Vertei­di­gungs­aus­schuss-Vorsit­zen­de Marie-Agnes Strack-Zimmer­mann vom Koali­ti­ons­part­ner FDP hat Scholz immer wieder zur Liefe­rung auch schwe­rer Waffen gedrängt. Die Ukrai­ne brauche «großes Kampf­ge­rät, und zwar sofort», sagte sie «Bild».

Kling­beil verweist auf misera­blen Zustand der Bundeswehr

Die Kritik aus den Reihen der Koali­ti­ons­part­ner wertet Kling­beil aber als Einzel­mei­nun­gen. «Wir arbei­ten in der Regie­rung und im Koali­ti­ons­aus­schuss eng zusam­men und stehen gemein­sam hinter den Entschei­dun­gen der Regie­rung. Wenn es einzel­ne abwei­chen­de Meinun­gen in den Partei­en gibt, dann muss sich da jede Partei­füh­rung selbst darum kümmern», sagte er der dpa.

«Wir bewer­ten jeden Tag neu, was wir noch liefern können. Aber die Bundes­wehr hat ihre Bestän­de jetzt weitge­hend ausge­schöpft», sagte er. «Das liegt auch daran, dass die Bundes­wehr in den vergan­ge­nen Jahren herun­ter­ge­wirt­schaf­tet worden ist.»

Kling­beil wies darauf hin, dass Deutsch­land statt­des­sen Liefe­run­gen der deutschen Indus­trie an die Ukrai­ne mit viel Geld finan­ziert und die Bereit­stel­lung schwe­rer Waffen durch Partner­län­der mit Ausbil­dung und Muniti­on unter­stützt. Er mahnte auch zur Beson­nen­heit: «Wir sind uns mit unseren Partnern einig, dass man die Schwel­le zum Dritten Weltkrieg nicht überschrei­ten darf.»