BONN (dpa) — Ob Hochwas­ser oder Großbrand: Das Warnsys­tem Cell Broad­cast kann in Notla­gen Handy­nut­zer alarmie­ren. Eine App muss dafür nicht instal­liert werden. Auch wer sein Gerät stumm geschal­tet hat, wird gewarnt.

Es ist ein schril­ler Ton, der Leben retten könnte: Das Warnsys­tem Cell Broad­cast steht seit Donners­tag nach Auskunft der Handy­netz­be­trei­ber bundes­weit zur Verfü­gung. Man sei bereit, hieß es von Vodafone, Telefó­ni­ca (O2) und von der Deutschen Telekom. «Kein anderes System erreicht im Notfall so viele Menschen in einem Gefähr­dungs­ge­biet», sagte Telefó­ni­ca-Deutsch­land­chef Markus Haas.

Das Bundes­amt für Bevöl­ke­rungs­schutz und Katastro­phen­hil­fe (BBK) teilte mit, es sei «ein weite­rer wichti­ger Schritt zur Stärkung des Bevöl­ke­rungs­schut­zes erreicht». Bei Cell Broad­cast erhal­ten Handys einen Warntext, und es gibt einen lauten Ton. Das soll auf drohen­de Katastro­phen hinweisen.

Einfüh­rung wegen der Unwet­ter­ka­ta­stro­phe in NRW

Bei dem System werden Nachrich­ten wie Rundfunk­si­gna­le an alle kompa­ti­blen Geräte geschickt, die in einer Funkzel­le einge­bucht sind — daher der Name «Cell Broad­cast». Gewarnt wird zum Beispiel vor einem Großbrand oder vor Hochwas­ser. Anlass für die Einfüh­rung von Cell Broad­cast in Deutsch­land war die Unwet­ter­ka­ta­stro­phe in NRW und Rhein­land-Pfalz im Sommer 2021 mit mehr als 180 Toten. In anderen EU-Staaten wird das System längst genutzt.

Es ist eine Ergän­zung anderer Warnka­nä­le, zum Beispiel Radio­durch­sa­gen oder Sirenen an Gebäu­den. Bei Cell Broad­cast muss keine App instal­liert werden, wie dies bei den Warnhin­wei­sen von Nina oder Katwarn der Fall ist.

Hilfreich an Cell Broad­cast ist, dass ein Handy auch dann laut schrillt, wenn es auf stumm geschal­tet ist. Die Wahrschein­lich­keit, dass jemand den Hinweis auf drohen­des Unheil einfach nicht mitbe­kommt, wird dadurch wesent­lich verrin­gert. Ist das Handy hinge­gen im Flugmo­dus — etwa wenn jemand schläft und nicht gestört werden will -, so bleibt es stumm und bekommt auch keine Nachricht, da es in dieser Zeit nicht im Netz ist. Besser wäre hier die Nutzung des Schlaf­mo­dus, bei dem Anrufe und Chatnach­rich­ten blockiert werden, das Handy aber mit dem Netz verbun­den ist und dadurch für Cell Broad­cast erreich­bar ist.

Positi­ve Bewer­tun­gen des Systems

Die Netzbe­trei­ber waren verpflich­tet, das Warnsys­tem bis heute zu imple­men­tie­ren und überall in Deutsch­land zu ermög­li­chen — diese Frist haben sie nach eigenen Angaben nun einge­hal­ten. Bei einem bundes­wei­ten Warntag Anfang Dezem­ber wurde das System erprobt. Dennoch bewer­te­ten die Telekom­mu­ni­ka­ti­ons­fir­men den Test als insge­samt erfolgreich.

In diesem Jahr führten die Netzbe­trei­ber weite­re Tests durch. Es seien Ergeb­nis­se gesam­melt und Optimie­run­gen vorge­nom­men worden, sagte ein Telekom-Sprecher. Die Kosten für den Betrieb bekom­men die Betrei­ber vom Staat zurück. Ausge­löst werden die Warnmel­dun­gen von den für Katastro­phen­fäl­le zustän­di­gen Landesbehörden.

Die Verbrau­cher­zen­tra­le NRW bewer­tet Cell Broad­cast in Deutsch­land als «positi­ve Erwei­te­rung des bestehen­den Katastro­phen­warn­sys­tems». Wichtig sei, den Kreis der Menschen, die erreicht werden sollen, so umfas­send wie möglich zu erwei­tern, sagte Verbrau­cher­schüt­zer Felix Flosbach. «Bei den digita­len Lösun­gen ist insbe­son­de­re auf eine breite Verfüg­bar­keit für eine Vielzahl von Geräten zu achten.»

Dringen­der Appell von Vodafone

Tatsa­che ist, dass längst nicht alle Handys, die in einer Funkzel­le einge­bucht sind, erreicht werden. Ältere Model­le, die vor allem Senio­ren noch bei sich haben, bleiben außen vor, nur Smart­phones sind gemeint. Und auch die nur, wenn sie neue Software-Updates haben. Nach Angaben von Vodafone sind circa drei Viertel der Mobil­funk­ge­rä­te in der Lage, Cell Broad­cast zu empfan­gen. Im Umkehr­schluss heißt das: Ein Viertel fällt durchs Raster. Hinzu kommt der Umstand, dass schät­zungs­wei­se vier Prozent der Menschen in Deutsch­land kein Mobil­funk­ge­rät haben.

Wichtig ist, dass Handy­nut­zer in Sachen Betriebs­sys­tem auf dem Laufen­den bleiben. Hierzu kommt von Vodafone ein «dringen­der Appell»: «Sofern die Smart­phone-Nutzer die neues­ten Versio­nen dieser Betriebs­sys­te­me noch nicht auf dem Endge­rät haben, sollten sie ein entspre­chen­des Software-Update installieren.»

Außer­dem hat Vodafone die Geräte­her­stel­ler aufge­for­dert, das Speichern und erneu­te Anzei­gen von Warnmel­dun­gen zu verbes­sern. Bei dem Warntag im Dezem­ber hatten einige Verbrau­cher die Nachricht zunächst wegge­klickt und fanden sie später, als sie sie lesen wollten, nur schwer wieder. Die Herstel­ler hätten zugesi­chert, dies durch Anpas­sun­gen im Menü zu verbes­sern, hieß es von Vodafone.

Andere EU-Staaten nutzen das System schon lange

Auch Politi­ker bewer­ten das Thema positiv. «Cell Broad­cast bringt einen großen Zusatz­nut­zen bei kleinen Kosten», sagte der Grünen-Bundes­tags­ab­ge­ord­ne­te Maik Außen­dorf. Er bemän­gelt aller­dings, dass das System erst jetzt in Deutsch­land einge­führt worden sei. «Andere EU-Staaten waren da viel schnel­ler: Cell Broad­cast hätte viel früher in Deutsch­land imple­men­tiert werden müssen.» Wichtig sei, dass das System sicher sei gegen Missbrauch. «Sollte das System gehackt werden und eine fremde Macht irrefüh­ren­de Mittei­lun­gen verschi­cken, könnte das Deutsch­land in Krisen­si­tua­tio­nen desta­bi­li­sie­ren.» Derzeit sei so ein Missbrauch zum Glück nicht abzusehen.

Von Wolf von Dewitz, dpa