STUTTGART (dpa/lsw) — Im Südwes­ten macht es auch ein kleines bisschen Wumms. Um die Krise abzufe­dern und noch Geld für eigene Projek­te zu haben, werfen Grüne und CDU ihr zentra­les Haushalts­ziel über Bord. Auch 4000 Lehrkräf­te können sich freuen — der Sekt dürfte schon kalt gestellt sein.

Angesichts der Krise nimmt die grün-schwar­ze Koali­ti­on einen Kurswech­sel vor und macht im nächs­ten Haushalt doch neue Schul­den. Zwar kann sich die Regie­rung über deutlich höhere Steuer­ein­nah­men freuen, doch das reiche nicht, um alle geplan­ten Entlas­tun­gen zu finan­zie­ren, hieß es am späten Samstag­abend nach der Sitzung der Haushalts­kom­mis­si­on um Minis­ter­prä­si­dent Winfried Kretsch­mann. Grüne und CDU planen nun ein eigenes Hilfs­pa­ket für Betrie­be, die wegen der Energie­kri­se in Existenz­not sind.

Daneben nimmt die Koali­ti­on nochmal kräftig Geld in die Hand, um eigene Projek­te voran­zu­trei­ben. So sollen befris­tet angestell­te Lehrkräf­te künftig auch über die Sommer­fe­ri­en bezahlt werden. Die Opposi­ti­on nannte es dreist, dass die Regie­rung trotz Steuer­plus neue Schul­den aufneh­men will. «Nun wird die Krise als Vorwand genutzt, um alle Ansprü­che zu bedie­nen», sagte FDP-Frakti­ons­chef Hans-Ulrich Rülke.

Trotz Krise: Steuern sprudeln dank Inflationsgewinne

Die Steuer­schät­zung ergab, dass das Land 2,5 Milli­ar­den Euro in den nächs­ten beiden Jahren trotz des erwar­te­ten Abschwungs mehr einneh­men soll. Haupt­grund dafür ist, dass der Staat über die Umsatz­steu­er von der hohen Infla­ti­on profi­tiert. Das Geld werde gebraucht, um das von der Ampel geplan­te dritte Entlas­tungs­pa­ket mitzu­fi­nan­zie­ren. «Wir geben die zusätz­li­chen Steuer­ein­nah­men vollstän­dig an die Menschen zurück», sagte Finanz­mi­nis­ter Danyal Bayaz (Grüne). Das Land rechnet mit Kosten von 3,1 Milli­ar­den Euro, der Rest soll aus der bishe­ri­gen Rückla­ge im Doppel­haus­halt 2023/2024 kommen. Problem sei aber, dass mit dem Geld «noch nicht die jüngst vom Bund angekün­dig­ten weite­ren Entlas­tun­gen gedeckt» seien.

Allein die von Bundes­fi­nanz­mi­nis­ter Chris­ti­an Lindner (FDP) geplan­ten Steuer­sen­kun­gen könnten mindes­tens mit 500 Millio­nen pro Jahr beim Land zu Buche schla­gen. Dabei hande­le es sich um die Erhöhung des Steuer­frei­be­trags und Ausgleich der kalten Progres­si­on. Dazu lauer­ten im Entlas­tungs­pa­ket des Bundes weite­re Risiken. So sei noch nicht geklärt, wie die Auswei­tung des Wohngelds, das Bürger­geld und das geplan­te 49-Euro-Ticket finan­ziert werden solle. Zudem müssten Länder und Kommu­nen mehr Geld für die Unter­brin­gung der Geflüch­te­ten aufbrin­gen, «an denen sich der Bund nicht betei­ligt». Mehr Klarheit dürfte das Treffen von Bund und Ländern am Mittwoch bringen.

Darf das Land überhaupt neue Schul­den aufnehmen?

Eigent­lich wollten Grüne und CDU im Doppel­etat gar keine neuen Kredi­te aufneh­men. Aber die Schul­den­brem­se, die sogar in der Landes­ver­fas­sung veran­kert ist, sieht eine Ausnah­me vor, wenn sich die Wirtschaft abseh­bar negativ entwi­ckelt. Das Finanz­mi­nis­te­ri­um rechne­te aus, dass das Land wegen der trüben Progno­se neue Kredi­te in Höhe von einer Milli­ar­de Euro aufneh­men könne. Das ist eine echte Überra­schung, denn Bayaz hatte noch am Mittwoch im Landtag gesagt, ob man ohne neue Schul­den auskom­me, hänge von der weite­ren Entwick­lung der Energie­kri­se ab. Nun ging es doch schneller.

Mit dem Geld solle die Rückla­ge gestärkt werden, um weite­re Steuer­aus­fäl­le ausglei­chen zu können. Zudem erhal­te die Regie­rung dadurch Spiel­raum, selbst ein Hilfs­pa­ket zu schnü­ren, das etwa die SPD und das Handwerk schon lange fordern. Die Stärkung der Rückla­ge habe sich schon in der Pande­mie bewährt, sagte Bayaz. «So sind wir in der Lage, flexi­bel zu reagie­ren.» Die CDU, die sonst beson­ders auf die schwar­ze Null im Etat achtet, erwähn­te die neuen Schul­den erst gar nicht. CDU-Frakti­ons­chef Manuel Hagel sprach statt­des­sen von «Krisen­vor­sor­ge» und «nachhal­ti­gem Haushalten».

«Lehrer-Beglü­ckungs­pro­gramm» kommt tatsächlich

Bayaz’ Beamte fanden sogar noch einen Weg, um eine Reihe von Wünschen von Fraktio­nen und Minis­te­ri­en zu befrie­di­gen. Das Land profi­tiert von einem Sonder­ef­fekt: Weil die Konjunk­tur sich eintrübt und die Einnah­men sinken, muss das Land auch weniger von seinen hohen Corona-Schul­den tilgen. Das ermög­li­che Mehraus­ga­ben von 370 Millio­nen Euro. Damit nimmt das Land im Doppel­etat summa summa­rum 1,75 Milli­ar­den Euro für Inves­ti­tio­nen in die Hand. Um den Nachschlag gab es zähe, stunden­lan­ge Verhand­lun­gen. Handfes­ten Ärger gab es um den Vorstoß von Grünen-Frakti­ons­chef Andre­as Schwarz, befris­tet angestell­te Lehrkräf­te künftig auch über die Sommer­fe­ri­en hinweg zu bezahlen.

Am Ende einig­te man sich darauf, die alte Forde­rung der Lehrer­ver­bän­de zu erfül­len. «Die 4000 Pädago­gin­nen und Pädago­gen leisten einen tollen Job — mit der gleichen Bezah­lung in den Sommer­fe­ri­en drücken wir unsere Wertschät­zung aus. Ab dem nächs­ten Sommer geht’s los», sagte Schwarz. Die CDU-Seite konnte die Forde­rung der Grünen-Frakti­on schlecht ableh­nen, weil ein Partei­tag vor kurzem für ein Ende der Regelung gestimmt hatte. Trotz­dem gab es Stimmen, die diese Ausga­be als nicht vordring­lich ansahen. Von einem «Lehrer-Beglü­ckungs­pro­gramm» war die Rede.

Kultus­mi­nis­te­rin There­sa Schop­per (Grüne) freute sich über den Beschluss, ließ aber klarstel­len, dass ferti­ge Referen­da­re nicht von der Neure­ge­lung profi­tie­ren sollen. Die Gewerk­schaft GEW kündig­te an, sich weiter dafür einzu­set­zen, dass auch die angehen­den Lehrkräf­te über die Sommer­fe­ri­en bezahlt werden. Dennoch werde man — wie angekün­digt — am ersten Ferien­tag im Sommer mit den betrof­fe­nen Lehrkräf­ten und Landtags­ab­ge­ord­ne­ten mit Sekt anstoßen.

Wofür wollen Grüne und CDU noch Geld ausgeben?

Die Koali­ti­on wollte sich offen­sicht­lich nicht mehr sagen lassen, sie überlas­se die Entlas­tung von Menschen und Betrie­ben von den hohen Preisen komplett dem Bund. Die Frakti­ons­chefs Schwarz und Hagel kündig­ten eigene Hilfen an. Der Grüne sagte, man wolle ein Sicher­heits­netz spannen: «Damit sind wir gewapp­net, um zielge­rich­tet kleine­re und mittle­re Unter­neh­men, Sozial­ein­rich­tun­gen, Handwer­ke­rin­nen und Handwer­ker oder Bürge­rin­nen und Bürger unter­stüt­zen zu können, wenn sie in Not kommen oder die Hilfe des Bundes nicht reicht.» Hagel erklär­te, man habe sich auf passge­naue Hilfs­pro­gram­me geeinigt, um Lücken in Bundes­pro­gram­men zu schließen.

Dazu gehört auch ein Sonder­topf, mit dem ärmeren Menschen gehol­fen werden soll. «Wir unter­stüt­zen damit die wichti­ge Arbeit der Tafeln, die von Armut- und Wohnungs­lo­sig­keit bedroh­ten Menschen und Famili­en in prekä­ren Lebens­la­gen helfen», sagte Schwarz. Hagel und Innen­mi­nis­ter Thomas Strobl (CDU) freuten sich über mehr Geld für die Ausstat­tung im Katastro­phen­schutz und der Rettungsdienste.

«Verspre­chen gebro­chen»: FDP will weite­re Verfas­sungs­kla­ge prüfen

FDP-Frakti­ons­chef Rülke hält die neuen Schul­den für unnötig und will eine weite­re Verfas­sungs­kla­ge prüfen. Er mutmaß­te, der Einbruch in der jüngs­ten Umfra­ge habe den Reflex ausge­löst, «nun panisch alle Proble­me mit Geld zuschüt­ten zu wollen.» Die Regie­rung war zuletzt im Ansehen stark abgerutscht.

Von Henning Otte, dpa