Nach wochen­lan­ger Abwärts­be­we­gung steigen die Corona-Zahlen wieder. Entspre­chend wachsen die Sorgen bei jenen, die die Grund­schul- und Kita-Öffnun­gen in mehre­ren Ländern skeptisch sehen.

BERLIN (dpa) — Die Sorge vor einer dritten Corona-Welle in Deutsch­land wächst. An diesem Montag kehren in zehn weite­ren Bundes­län­dern viele Kinder in Kitas und Grund­schu­len zurück.

Zeitgleich zeigt die Kurve der Neuin­fek­tio­nen erstmals seit Wochen wieder nach oben — trotz des seit Mitte Dezem­ber gelten­den stren­gen Lockdowns. Bildungs­ge­werk­schaf­ten warnen vor Gesund­heits­ge­fah­ren. Auf der anderen Seite wird auf negati­ve Folgen für Kinder und Eltern verwie­sen, sollten die Einschrän­kun­gen an Kitas und Schulen noch länger dauern.

Am Wochen­en­de verdich­te­ten sich die Anzei­chen dafür, dass Grund­schul­leh­rer und Kita-Beschäf­tig­te in der Impfrei­hen­fol­ge nach vorne rutschen könnten. Mehre­re Länder­ver­tre­ter, Gesund­heits­mi­nis­ter Jens Spahn und Bildungs­mi­nis­te­rin Anja Karlic­zek (beide CDU) befür­wor­ten das. An diesem Montag könnte bei einer Schalt­kon­fe­renz der Gesund­heits­mi­nis­ter der Länder (16.00 Uhr) eine entspre­chen­de Grund­satz­ent­schei­dung fallen, kündig­te Baden-Württem­bergs Ressort­chef Manne Lucha (Grüne) an. Praktisch umgesetzt werden müsste der Schritt über eine Änderung der Corona-Impfver­ord­nung durch das Bundesgesundheitsministerium.

Die Zahl der Neuin­fek­tio­nen in Deutsch­land stieg sowohl am Samstag als auch am Sonntag im Vergleich zum Vorwo­chen­en­de an. Das Robert Koch-Insti­tut (RKI) melde­te am Sonntag 7676 neue Fälle binnen eines Tages, 1562 mehr als am vergan­ge­nen Sonntag. Auch die sogenann­te Sieben-Tage-Inzidenz, welche die Zahl der Anste­ckun­gen pro 100.000 Einwoh­ner inner­halb einer Woche angibt, erhöh­te sich auf bundes­weit 60,2 im Vergleich zu 57,8 am Vortag. Gemel­det wurden 145 Todes­fäl­le binnen 24 Stunden. Am vergan­ge­nen Sonntag waren es 218. Exper­ten führen den Anstieg vor allem auf die Ausbrei­tung deutlich anste­cken­de­rer Virus­va­ri­an­ten zurück.

Der SPD-Gesund­heits­po­li­ti­ker Karl Lauter­bach schrieb bei Twitter: «Die 3. Welle beginnt jetzt. Die Frage ist nur, wie schnell und wie stark.» RKI-Präsi­dent Lothar Wieler rief die Menschen zum Durch­hal­ten auf: «Falsche Verspre­chun­gen helfen nieman­dem, und es ist ganz einfach so, dass wir diese Maßnah­men, die wir kennen, dass wir die eine gewis­se Zeit noch durch­hal­ten müssen», sagte er am Samstag bei einer im Inter­net übertra­ge­nen Diskus­si­ons­run­de des Bundes­ge­sund­heits­mi­nis­te­ri­ums. Spahn sprach von einer «echt schwie­ri­gen Phase» der Pande­mie. Alle seien nach zwölf Monaten müde. Es sei die Erwar­tung da, dass es mit gesun­ke­nen Neuin­fek­ti­ons­zah­len auch wieder ein Stück rausge­he aus den Beschränkungen.

Die Corona-Lage ist regio­nal auch inner­halb der Bundes­län­der sehr unter­schied­lich. In Bayern etwa lag im Landkreis Donau-Ries im Westen die Sieben-Tage-Inzidenz laut RKI am Sonntag bei 16,4, im Nordos­ten im Landkreis Tirschen­reuth an der tsche­chi­schen Grenze dagegen bei 358,1. In Norddeutsch­land hat Flens­burg mit stark gestie­ge­nen Zahlen zu kämpfen. Deshalb gelten dort seit dem Wochen­en­de nochmals verschärf­te Corona-Maßnah­men — unter anderem nächt­li­che Ausgangsbeschränkungen.

Der Moleku­lar­bio­lo­ge und Teilneh­mer an Exper­ten­run­den der Bundes­re­gie­rung, Rolf Apwei­ler, sprach am Sonntag in der «Welt» von zwei gegen­läu­fi­gen Entwick­lun­gen. Die alten Virus­va­ri­an­ten hätten zu einer Senkung der Inzidenz geführt. Dort, wo neue Virus­va­ri­an­ten schon dominier­ten, gingen die Zahlen aber nach oben. «Wenn man da nicht überall in diesen Gegen­den, wo es wirklich stark ansteigt, richtig auf die Bremse tritt, wie in Flens­burg, dann fliegt die Lage einem um die Ohren. Das ist einfach so. Das kann man nicht mehr wegleugnen.»

Mit Blick auf die Schul- und Kita-Öffnun­gen warnte der Verband Bildung und Erzie­hung (VBE) vor einem Öffnungs­wett­be­werb zwischen den Ländern. «Die Öffnun­gen sind kein Wettbe­werb, bei dem das Bundes­land gewinnt, das die weitge­hends­ten Locke­run­gen umsetzt und die Gesund­heit aller Betei­lig­ten maximal riskiert», sagte VBE-Chef Udo Beckmann dem Redak­ti­ons­netz­werk Deutsch­land. «Die Länder, die jetzt ihre Schulen öffnen, gehen ein hohes Risiko — für die Gesund­heit der Lehrkräf­te, der Schüle­rin­nen und Schüler sowie deren Eltern», sagte die Vorsit­zen­de der Gewerk­schaft Erzie­hung und Wissen­schaft (GEW), Marlis Tepe, den Zeitun­gen der Funke Mediengruppe.

Beckmann begrüß­te es, dass Grund­schul­lehr­kräf­te voraus­sicht­lich früher beim Impfen drankom­men sollen. Der Präsi­dent des Deutschen Lehrer­ver­ban­des, Heinz-Peter Meidin­ger, forder­te in der «Rheini­schen Post», dies auch auf Lehrkräf­te auszu­wei­ten, die Abschluss­klas­sen unter­rich­ten. Für sie gab es zum Teil auch in den vergan­ge­nen Lockdown-Wochen in der Schule Unterricht.

Spahn hatte am Samstag angekün­digt, man wolle die Beschäf­tig­ten an Kitas und Grund­schu­len zügig in die nächst­hö­he­re Impfgrup­pe nehmen und ihnen früher ein Impfan­ge­bot machen, weil in den Einrich­tun­gen Abstand nicht möglich sei. Dafür sprach sich auch Karlic­zek aus: «Beide Berufs­grup­pen nehmen Aufga­ben wahr, die für unsere ganze Gesell­schaft von ganz großer Bedeu­tung sind, was sich auch in der Impfprio­ri­sie­rung zeigen sollte», sagte die CDU-Politi­ke­rin der Deutschen Presse-Agentur.

Famili­en­mi­nis­te­rin Franzis­ka Giffey (SPD) vertei­dig­te die Kita- und Schul­öff­nun­gen, beton­te aber, dass diese «verant­wor­tungs­voll» und mit Blick auf das Infek­ti­ons­ge­sche­hen erfol­gen müssten. «Man kann die Kinder nicht noch viel länger zuhau­se lassen, weil sonst der Kinder­schutz und das Kindes­wohl in Gefahr sind», sagte sie der Deutschen Presse-Agentur und verwies auf Proble­me wie Verein­sa­mung, Bewegungs­man­gel und entste­hen­de «Bildungs- und Bindungs­lü­cken». Zudem seien viele Eltern am Ende.