Der ukrai­ni­sche Präsi­dent Wolodym­yr Selen­skyj hat erneut seine Bereit­schaft zu persön­li­chen Verhand­lun­gen mit Kreml­chef Wladi­mir Putin über ein Ende des Kriegs in seinem Land unterstrichen.

«Ich bin bereit für Verhand­lun­gen mit ihm», sagte Selen­skyj dem US-Sender CNN laut Überset­zer. «Wenn es nur eine einpro­zen­ti­ge Chance gibt, diesen Krieg zu stoppen, dann denke ich, dass wir sie ergrei­fen müssen.» Sollten alle Friedens­be­mü­hun­gen schei­tern, «würde es bedeu­ten, dass dies ein dritter Weltkrieg ist».

«Russland will Ukrai­ne auslöschen»

In einer Video-Botschaft an Israel setzte Selen­skyj Russland mit Nazi-Deutsch­land gleich und warf dem Kreml einen Plan zur Auslö­schung der Ukrai­ne vor. «Hört darauf, was jetzt in Moskau gesagt wird: “Endlö­sung”, aber jetzt bereits in Bezug auf die ukrai­ni­sche Frage», sagte der 44-Jähri­ge in einem Video-Auftritt vor Knesset-Abgeord­ne­ten. Das Staats­ober­haupt mit jüdischen Wurzeln erinner­te dabei an die sogenann­te «Endlö­sung der Juden­fra­ge», wie die Ermor­dung von Millio­nen Juden in Europa durch Nazi-Deutsch­land genannt wurde.

Der vor etwas mehr als drei Wochen begon­ne­ne russi­sche Einmarsch in die Ukrai­ne sei dabei nicht nur eine «militä­ri­sche Spezi­al­ope­ra­ti­on» — wie der Krieg in Russland bezeich­net wird. «Das ist ein großflä­chi­ger und hinter­häl­ti­ger Krieg, der auf die Vernich­tung unseres Volkes, unserer Kinder, unserer Famili­en, unseres Staates abzielt», sagte Selen­skyj. Die Ukrai­ne befin­de sich damit in einer ähnlich prekä­ren Situa­ti­on, wie der jüdische Staat im Nahen Osten.

Im Hinblick auf die ständi­gen russi­schen Raketen­an­grif­fe sagte Selen­skyj: «Jeder in Israel weiß, dass Ihre Raketen­ab­wehr die beste ist. Jeder weiß, dass Ihre Waffen stark sind.» Für ihn stelle sich daher die Frage, warum Israels Regie­rung bisher weder Waffen an Kiew gelie­fert noch sich den westli­chen Sanktio­nen gegen Moskau angeschlos­sen habe.

Unabhän­gig­keit steht nicht zur Verhandlung

Selen­skyj machte deutlich, dass die Souve­rä­ni­tät und terri­to­ria­le Unver­sehrt­heit der Ukrai­ne sowie ihre Unabhän­gig­keit nicht zur Verhand­lung stehen könnten. Von westli­chen Staats- und Regie­rungs­chefs forder­te der ukrai­ni­sche Präsi­dent Sicher­heits­ga­ran­tien für sein Land.

Selen­skyj zeigte in der CNN-Sendung ein Video, das erschüt­tern­de Kriegs­sze­nen in der Ukrai­ne zeigte, zugleich aber Optimis­mus verbrei­ten sollte. «Wir werden gewin­nen, und es wird neue Häuser, neue Städte, neue Träume geben», hieß es in dem Video.

Angriff auf Kunst­schu­le in Mariupol

Die Kämpfe in der Ukrai­ne sind auch am 25. Tag des russi­schen Angriffs­krie­ges gegen das Nachbar­land weitergegangen.

Die ukrai­ni­sche Seite sprach wieder von Angrif­fen auf verschie­de­ne Städte und auch Toten in der Nacht. Vor allem die Lage in der Hafen­stadt Mariu­pol bleibt katastro­phal, nach Angaben des Stadt­rats wurde dort eine Kunst­schu­le Ziel eines Bomben­an­griffs. 400 Menschen hätten dort Schutz gesucht.

Der ukrai­ni­sche Präsi­dent Wolodym­yr Selen­skyj wandte sich mit drasti­schen Worten an die Bevöl­ke­rung in Russland. Es häuften sich die Leichen russi­scher Solda­ten, sagte er in einer Video­bot­schaft. Die Regie­rung in Kiew holte zum Schlag gegen prorus­si­sche Partei­en im Land aus. In Deutsch­land nimmt unter­des­sen die Diskus­si­on um den Umgang mit den Kriegs­flücht­lin­gen an Fahrt auf.

Front «praktisch eingefroren»

Der Front­ver­lauf im Krieg mit Russland ist nach ukrai­ni­schen Angaben «praktisch einge­fro­ren». Sowohl die russi­sche als auch die ukrai­ni­sche Seite hätten nicht genug Kraft, um die Situa­ti­on in die eine oder andere Richtung zu drehen, sagte Olexij Aresto­witschBerater des Bürolei­ters von Präsi­dent Wolodym­yr Selen­skyj, am Sonntag bei einem Briefing. Es würden takti­sche Aktio­nen und Angrif­fe durchgeführt.

Der ukrai­ni­sche General­stab befürch­tet das aktive Eingrei­fen des Nachbar­lan­des Belarus in den Krieg. Es seien Anzei­chen der Vorbe­rei­tung belarus­si­scher Streit­kräf­te auf eine direk­te Invasi­on der Ukrai­ne regis­triert worden, heißt es in einer Mittei­lung auf Facebook.

Obwohl russi­sche Truppen aus Belarus in die Ukrai­ne einge­fal­len sind, hat der autori­tä­re belarus­si­sche Macht­ha­ber Alexan­der Lukaschen­ko, der als Prote­gé von Kreml­chef Wladi­mir Putin gilt, bisher eine direk­te Betei­li­gung seiner Truppen am Krieg im Nachbar­land abgelehnt.

Arbeit prorus­si­scher Partei­en in der Ukrai­ne verboten

Selen­skyj teilte in der Nacht per Video­bot­schaft mit, dass der Natio­na­le Sicher­heits- und Vertei­di­gungs­rat die Arbeit einer Reihe von prorus­si­schen Partei­en für die Dauer des Kriegs im Land verbo­ten habe. «Die Aktivi­tä­ten von deren Politi­kern, die auf Spaltung oder Kolla­bo­ra­ti­on abzie­len, werden keinen Erfolg haben, dafür aber eine harte Antwort erhal­ten», wurde Selen­skyj von der «Ukrajins­ka Prawda» zitiert. Zu den betrof­fe­nen Partei­en gehören unter anderem die «Opposi­ti­ons­platt­form für das Leben» und der «Opposi­ti­ons­block», die auch im Parla­ment vertre­ten sind. Sie gelten ebenso wie die übrigen neun nunmehr verbo­te­nen außer­par­la­men­ta­ri­schen Partei­en als euroskep­tisch, antili­be­ral oder als prorussisch.

Ukrai­ne: Weiter Angrif­fe in mehre­ren Städten — Tote

Beim Beschuss eines mehrstö­cki­gen Wohnhau­ses in Charkiw im Osten gab es ukrai­ni­schen Angaben zufol­ge Todes­op­fer — darun­ter sei ein neun Jahre alter Junge. In der Nacht zu Sonntag habe es mehre­re Angrif­fe gegeben. Gebäu­de seien dabei in Brand geraten, teilte das Militär mit. Die Armee sprach von mindes­tens zwei Todes­op­fern, der Vize-Polizei­chef des Gebiets Charkiw, Wjatsches­law Markow, bei Facebook von fünf. Diese Zahl wurde auch im ukrai­ni­schen Fernse­hen genannt. Angaben zu Opfer­zah­len und zu Angrif­fen in der Ukrai­ne ließen sich auch am Sonntag nicht unabhän­gig überprüfen.

Den Behör­den der Stadt zufol­ge sind seit dem Einmarsch russi­scher Truppen in die Ukrai­ne vor mehr als drei Wochen allein in Charkiw 266 Zivilis­ten getötet worden.

Zu mögli­chen Opfern beim Angriff auf die Kunst­schu­le in Mariu­pol wurden zunächst keine Angaben gemacht. Unter den Menschen, die in dem Gebäu­de Schutz gesucht hatten, waren laut dem Stadt­rat Frauen, Kinder und Ältere. Das Gebäu­de sei bei dem Angriff am Samstag zerstört worden, hieß es bei Telegram. «Menschen liegen noch immer unter den Trümmern.» Der Stadt­rat machte russi­sche Truppen für den Angriff verantwortlich.

Nach einem Raketen­an­griff auf eine Kaser­ne in Mykola­jiw im Süden der Ukrai­ne sollen Helfer am Samstag mindes­tens 50 Tote aus den Trümmern gebor­gen haben. Insge­samt hätten rund 200 Solda­ten in dem Gebäu­de geschla­fen, als die Raketen einschlu­gen, berich­te­te die «Ukrajins­ka Prawda». Auch um die nordukrai­ni­sche Stadt Tscher­ni­hiw gibt es nach Militär­an­ga­ben aus Kiew weiter schwe­re Gefechte.

Um Kiew, Charkiw und Mariu­pol wurden sieben humani­tä­re Korri­do­re für flüch­ten­de Zivilis­ten einge­rich­tet. Über die Wege sollten auch Hilfs­gü­ter in die Städte gebracht werden, teilte die ukrai­ni­sche Vize-Regie­rungs­chefin Irina Werescht­schuk mit.

Selen­skyj: Berge von Leichen russi­scher Soldaten

Mit martia­li­schen Worten über schwe­re russi­sche Kriegs­ver­lus­te richte­te sich Selen­skyj in seiner Video­bot­schaft an die Bevöl­ke­rung Russland. «An den Brenn­punk­ten beson­ders schwe­rer Kämpfe sind unsere vorders­ten Abwehr­li­ni­en mit Leichen russi­scher Solda­ten praktisch überhäuft. (…) Und diese Leichen, diese Körper werden von nieman­dem gebor­gen.» Er könne verste­hen, das Russland über schier endlo­se Reser­ven an Solda­ten und Militär­ge­rät verfü­ge. «Aber ich möchte von den Bürgern Russlands wissen: Was hat man mit Ihnen in diesen Jahren getan, dass Sie Ihre Verlus­te nicht bemerkt haben?». Schon jetzt seien mehr als 14 000 russi­sche Solda­ten getötet worden. Auch diese Angaben lassen sich nicht überprüfen.