KIEW (dpa) — Die ukrai­ni­sche Regie­rung warnt vor neuen Offen­si­ven russi­scher Truppen im Osten des Landes. Selen­skyj fordert schär­fe­re Sanktio­nen, um die Aggres­si­on zu stoppen. Die Entwick­lun­gen im Überblick.

Der ukrai­ni­sche Präsi­dent Wolodym­yr Selen­skyj hat den Westen zu härte­ren Sanktio­nen gegen Russland aufge­ru­fen. Er forder­te ein Embar­go auf russi­sches Erdöl und einen vollstän­di­gen Ausschluss des russi­schen Banken­sys­tems vom inter­na­tio­na­len Finanzwesen.

Sollte es kein «wirklich schmerz­haf­tes Sankti­ons­pa­ket» und keine Liefe­run­gen der von Kiew gefor­der­ten Waffen an die Ukrai­ne geben, werde Russland dies als «Erlaub­nis zum Vormarsch» sehen, sagte Selen­skyj in einer in der Nacht veröf­fent­lich­ten Videoansprache.

Zugleich warnte Selen­skyj vor einer großen Offen­si­ve des russi­schen Militärs im Osten der Ukrai­ne. Moskau baue weiter Kampf­kraft auf, um seine Ambitio­nen im Donbass-Gebiet zu verwirk­li­chen. Die Regie­rung in Kiew rief Menschen in den Gebie­ten Luhansk, Donezk und Charkiw bereits zur Flucht auf. Sie rechnet damit, dass von der Haupt­stadt Kiew abgezo­ge­ne russi­sche Truppen im Osten einge­setzt werden. Selen­skyj beton­te: «Wir werden kämpfen und uns nicht zurück­zie­hen». Das ukrai­ni­sche Militär melde­te weite­re Kämpfe und Angrif­fe aus dem Osten des Landes.

«Waffen, Wafen, Waffen»

Der ukrai­ni­sche Außen­mi­nis­ter Dmytro Kuleba hat zum Auftakt von Beratun­gen mit Kolle­gen der Nato-Staaten die Forde­run­gen nach Waffen zur Vertei­di­gung gegen Russland bekräf­tigt und dabei zu lange Entschei­dungs­pro­zes­se in Deutsch­land beklagt. Seine Agenda für das Treffen habe drei Punkte, sagte Kuleba am Donners­tag in Brüssel: «Es sind Waffen, Waffen, Waffen.» Der beste Weg, der Ukrai­ne nun zu helfen, sei, dem Land alles Notwen­di­ge zu stellen, um den russi­schen Präsi­den­ten Wladi­mir Putin in die Schran­ken zu weisen und die russi­sche Armee in der Ukrai­ne zu besie­gen, damit der Krieg nicht weiter ausufere.

Deutsch­land könne mit Blick auf Waffen­lie­fe­run­gen «angesichts seiner Reser­ven und Kapazi­tä­ten» mehr machen, sagte Kuleba. Man arbei­te mit der deutschen Regie­rung zusam­men. Das Problem, das ihn am meisten beunru­hi­ge, sei die Dauer der Verfah­ren und Entschei­dungs­fin­dung in Berlin. «Während Berlin Zeit hat, hat Kiew keine.»

Ukrai­ne: Elf Leichen in Kiewer Vorort gefunden

In einer Garage im Kiewer Vorort Hosto­mel wurden nach dem Abzug russi­scher Truppen ukrai­ni­schen Angaben zufol­ge elf Leichen gefun­den. Die Polizei habe diese am Mittwoch entdeckt, berich­te­te die «Ukrajins­ka Prawda» und berief sich auf einen Telegram-Eintrag des ehema­li­gen Innen­mi­nis­ters Arsen Awakow. Demnach soll es sich bei den Getöte­ten um Zivilis­ten handeln, die von russi­schen Solda­ten getötet worden seien. Die Angaben ließen sich nicht unabhän­gig prüfen. Das nordwest­lich der Haupt­stadt gelege­ne Hosto­mel mit dem nahen Flugplatz war seit Beginn des Kriegs schwer umkämpft. Der Großteil der ursprüng­lich 16 000 Einwoh­ner floh. Der lokalen Militär­ver­wal­tung zufol­ge wurden rund 400 Bewoh­ner von Hosto­mel vermisst.

Bürger­meis­ter von Charkiw: Keine Massen­eva­ku­ie­rung nötig

Nach Aufru­fen zur Flucht aus dem Osten der Ukrai­ne angesichts einer mögli­chen russi­schen Großof­fen­si­ve versucht der Bürger­meis­ter von Charkiw zu beruhi­gen. Weder er noch das Militär hielten es momen­tan für notwen­dig, eine zentra­li­sier­te Evaku­ie­rung aus der zweit­größ­ten Stadt des Landes durch­zu­füh­ren, sagte Ihor Terechow in einer Video­bot­schaft. Die Stadt Charkiw sei gut mit Waffen ausge­stat­tet und zur Vertei­di­gung bereit. Der Aufruf zu einer Evaku­ie­rung treffe aber im Gebiet Charkiw auf südli­che Bezir­ke zu. Charkiw hatte vor dem Krieg rund 1,5 Millio­nen Einwoh­ner. Der Gebiets­ver­wal­tung zufol­ge verließ ein großer Teil der Bewoh­ner in den ersten Kriegs­wo­chen die Stadt. Charkiw wird seit Beginn der russi­schen Invasi­on Ende Febru­ar fast ununter­bro­chen aus der Luft und mit Artil­le­rie angegriffen.

USA liefern weite­re Panzer­ab­wehr­waf­fen und Drohnen

Die USA wollen die Ukrai­ne beson­ders mit weite­ren Panzer­ab­wehr­waf­fen vom Typ Javelin unter­stüt­zen wollen. Dazu sollen 100 Millio­nen Dollar (91,3 Mio Euro) genutzt werden, die die US-Regie­rung für weite­re Waffen­lie­fe­run­gen geneh­migt hatte, sagte Penta­gon-Sprecher John Kirby. Man sei außer­dem mit den Ukrai­nern im Gespräch über die Liefe­rung weite­rer Drohnen vom Typ Switch­bla­de. Davon seien bereits 100 geschickt worden. Die Switch­blades sind Mini-Drohnen, die lange über dem Boden kreisen können, um dort auf ein Ziel zu lauern und gezielt anzugrei­fen. Dabei zerstö­ren sie sich dann selbst.

UN: Bis zu 47 Millio­nen mehr Hungernde

Wegen des Ukrai­ne-Kriegs rechnet das Welternäh­rungs­pro­gramm mit Dutzen­den Millio­nen Menschen mehr in Hunger und Armut. «Je nach Dauer des Krieges könnten zwischen 33 und 47 Millio­nen Menschen zusätz­lich in Hunger und Armut abrut­schen», sagte der Direk­tor des Welternäh­rungs­pro­gramms der Verein­ten Natio­nen (WFP) in Deutsch­land, Martin Frick, der Deutschen Presse-Agentur. Die Zahl der akut Hungern­den habe schon vor Beginn des Krieges mit 276 Millio­nen Menschen auf einem trauri­gen Rekord­ni­veau gelegen.

Welthun­ger­hil­fe rechnet mit mehr Flüchtlingen

Die Lebens­mit­tel­kri­se als Folge des Ukrai­ne-Kriegs wird nach Einschät­zung der Welthun­ger­hil­fe zu neuen Flücht­lings­be­we­gun­gen aus ärmeren Ländern führen. «Wir sehen ganz real in den Ländern, in denen wir arbei­ten, wie drama­tisch die Lage ist. Die Menschen werden keine andere Möglich­keit für sich sehen, als sich auf den Weg zu machen», sagte der General­se­kre­tär der Deutschen Welthun­ger­hil­fe, Mathi­as Mogge, der «Rheini­schen Post». Hinter­grund seien unter anderem die Preis­sprün­ge von bis zu 70 Prozent für Getrei­de, das bisher zu einem großen Teil aus der Ukrai­ne und aus Russland impor­tiert wird.

47 Holocaust-Überle­ben­de aus der Ukrai­ne in Deutschland

Deutsch­land nahm 47 pflege­be­dürf­ti­ge jüdische Holocaust-Überle­ben­de aus der Ukrai­ne auf. Dies sei «in unserer beson­de­ren Verant­wor­tung als Deutsche» gesche­hen, sagte Bundes­in­nen­mi­nis­te­rin Nancy Faeser der Funke-Medien­grup­pe. «Wir geben ihnen eine vorüber­ge­hen­de Heimat.» Die Berich­te über Gräuel­ta­ten an Hunder­ten Bewoh­nern ukrai­ni­scher Städte kommen­tier­te die Bundes­in­nen­mi­nis­te­rin scharf. «Ich bin Juris­tin. Natür­lich soll man nieman­den vorver­ur­tei­len. Aber es deutet alles darauf hin, dass Wladi­mir Putin und seine Armee in der Ukrai­ne furcht­ba­re Kriegs­ver­bre­chen begehen.»

Das wird heute wichtig

Die Außen­mi­nis­ter der 30 Nato-Staaten beraten an diesem Donners­tag über eine weite­re Unter­stüt­zung der Ukrai­ne und eine Verstär­kung der Vertei­di­gungs­fä­hig­kei­ten im östli­chen Bündnis­ge­biet. Am Rande des Treffens wollen auch die Außen­mi­nis­ter der G7-Staaten zusam­men­kom­men. In Deutsch­land beraten Minis­ter­prä­si­den­ten der Bundes­län­der mit Kanzler Olaf Scholz darüber, wie Kosten für die Versor­gung ukrai­ni­scher Kriegs­flücht­lin­ge aufge­teilt werden sollen. Die UN-Vollver­samm­lung soll über eine Suspen­die­rung der Mitglied­schaft Russlands im UN-Menschen­rechts­rat abstim­men. Die EU will über ein weite­res Sankti­ons­pa­ket beraten, das auch ein Import­ver­bot für russi­sche Kohle enthal­ten soll.