Der ukrai­ni­sche Präsi­dent Wolodym­yr Selen­skyj hat in einem dring­li­chen Appell vor beiden Kammern des US-Kongres­ses mehr Unter­stüt­zung der westli­chen Verbün­de­ten gefordert.

Es müsse jede Woche neue Sanktio­nen gegen Russland geben, während die Ukrai­ne dringend mehr Waffen und eine Flugver­bots­zo­ne brauche, sagte Selen­skyj am Mittwoch per Video­link aus Kiew vor US-Senato­ren und Abgeord­ne­ten des Reprä­sen­tan­ten­hau­ses in Washing­ton. «Jetzt, in der dunkels­ten Stunde für unser Land und für ganz Europa, forde­re ich Sie auf, mehr zu tun», sagte er einer engli­schen Überset­zung zufolge.

«Russland hat den ukrai­ni­schen Himmel zur Quelle des Todes für Tausen­de Menschen gemacht», sagte Selen­skyj. Die russi­schen Streit­kräf­te hätten bereits etwa 1000 Raketen auf die Ukrai­ne abgefeu­ert und «zahllo­se Bomben», sagte er. Eine «humani­tä­re Flugver­bots­zo­ne» sei notwen­dig, damit Russland die ukrai­ni­schen Städte nicht mehr «terro­ri­sie­ren» könne. «Das ist ein Terror wie ihn Europa seit 80 Jahren nicht mehr erlebt hat», sagte Selenskyj.

«Ich wünsche Ihnen, der Anfüh­rer der Welt zu sein»

«Das ukrai­ni­sche Volk vertei­digt nicht nur die Ukrai­ne, es kämpft für die Werte Europas und der Welt», fügte er hinzu. Mit ihrer Hilfe unter­stütz­ten Ameri­ka­ner nicht nur die Ukrai­ne, «sondern Europa und die Welt». An die Adres­se von US-Präsi­dent Joe Biden sagte Selen­skyj: «Ich wünsche Ihnen, der Anfüh­rer der Welt zu sein. Der Anfüh­rer der Welt zu sein bedeu­tet, der Anfüh­rer des Friedens zu sein.»

Die Abgeord­ne­ten und Senato­ren reagier­ten mit stehen­dem Applaus auf Selen­sky­js Rede. Eine Rede vor beiden Kammern des US-Kongres­ses zu halten, gilt als beson­de­re — und selte­ne — Ehre.

Selen­skyj erinner­te die Ameri­ka­ner bei seinem Hilfs­ap­pell auch an ihren eigenen Kampf gegen Angrei­fer. «Erinnern Sie sich an Pearl Harbor», sagte er mit Blick auf den japani­schen Angriff 1941. «Erinnern Sie sich an den 11. Septem­ber», fügte er mit Blick auf die Terror­an­schlä­ge von New York und Washing­ton hinzu. «Wir brauchen Sie jetzt.»

Warum der Westen eine Flugver­bots­zo­ne ablehnt

Eine Flugver­bots­zo­ne würde es der russi­schen Luftwaf­fe erschwe­ren, Ziele in der Ukrai­ne anzugrei­fen. Die Durch­set­zung einer Flugver­bots­zo­ne durch die USA oder das Vertei­di­gungs­bünd­nis Nato gilt derzeit aller­dings als ausge­schlos­sen. Biden und andere haben wieder­holt gewarnt, dass eine solche Maßnah­me zu einer direk­ten Konfron­ta­ti­on zwischen Nato-Kräften und dem russi­schen Militär führen könnte, was eine Eskala­ti­on des Krieges nach sich ziehen könnte. Aus diesem Grund hatte Biden auch die von Polen vorge­schla­ge­ne Überga­be von Kampf­flug­zeu­gen vom Typ MiG-29 an die Ukrai­ne abgelehnt.

Mehr Erfolg dürften Selen­sky­js Appel­le nach weite­ren Waffen­lie­fe­run­gen haben. Die US-Regie­rung hat die Ukrai­ne seit Anfang vergan­ge­nen Jahres mit rund 1,2 Milli­ar­den US-Dollar Militär­hil­fen unter­stützt — davon 550 Millio­nen Dollar seit Beginn des russi­schen Angriffskriegs.

US-Medien­be­rich­ten zufol­ge wollte Biden noch an diesem Mittwoch weite­re Militär­hil­fen in Höhe von rund 800 Millio­nen US-Dollar ankün­di­gen. Andere Länder, darun­ter auch Deutsch­land, haben der Ukrai­ne ebenfalls bereits Waffen gelie­fert oder zugesagt, darun­ter auch Flugab­wehr­ra­ke­ten und Panzerabwehrlenkwaffen.

Selen­skyj bat in seiner Rede auch expli­zit um das S‑300 Flugab­wehr­sys­tem russi­scher Bauart. Der Nato-Staat Slowa­kei verfügt noch über solche Syste­me. Die Bundes­wehr begann am Mittwoch mit der Verle­gung des Flugab­wehr­ra­ke­ten­sys­tems Patri­ot US-ameri­ka­ni­scher Bauart in die Slowa­kei. Dies könnte als Ersatz dienen, falls die Slowa­kei ihre S‑300 Syste­me an die Ukrai­ne abgeben sollte.

Drohun­gen zwischen Washing­ton und Moskau

Die US-Regie­rung warnte Russland unter­des­sen vor dem Einsatz chemi­scher oder biolo­gi­scher Waffen in der Ukrai­ne. Dies würde für Moskau «Folgen» haben, warnte Bidens Natio­na­ler Sicher­heits­be­ra­ter Jake Sulli­van in einem Gespräch mit Russlands Sicher­heits­rats­chef Nikolai Patru­schew. Das Weiße Haus erklär­te, Sulli­van habe deutlich gemacht, dass die USA die Ukrai­ne weiter­hin unter­stüt­zen würden, zu weite­ren Straf­maß­nah­men gegen Russland bereit seien und auch die Vertei­di­gung der osteu­ro­päi­schen Nato-Staaten weiter stärken würden.

Falls Russland «ernst­haft» an einer diplo­ma­ti­schen Lösung inter­es­siert sei, sollte es aufhö­ren, «ukrai­ni­sche Städte und Dörfer zu bombar­die­ren», sagte Sulli­van der Mittei­lung zufol­ge weiter.

Dagegen warf der russi­sche Präsi­dent Wladi­mir Putin dem Westen vor, die Ukrai­ne zu einer Fortset­zung des Blutver­gie­ßens zu drängen. Die «westli­chen Schutz­her­ren» liefer­ten Waffen, Infor­ma­tio­nen und schick­ten Söldner in das Nachbar­land, sagte Putin in Moskau.

Am Donners­tag will sich Selen­skyj mit einer Video­an­spra­che auch an den Deutschen Bundes­tag wenden.