BERLIN (dpa) — Das Thema Luftfil­ter gehört zu den heißen Streit­the­men in der Pande­mie. Bei Schulen, Kitas und Kindern kochen die Emotio­nen beson­ders hoch. Mancher­orts wurde viel inves­tiert, anders­wo nicht. Dabei ist Luftfil­ter nicht gleich Luftfilter.

Der folgen­de Dialog ist typisch für die Debat­te: «Was machen eigent­lich die Luftfil­ter für Klassen­räu­me? Mein Kind friert», schrieb Twitter-Nutzer oder ‑Nutze­rin «kohond­ter­fay» vor wenigen Tagen.

Die Präsi­den­tin der Kultus­mi­nis­ter­kon­fe­renz (KMK) Karin Prien (CDU) antwor­te­te: «Und genau da liegt das Problem: hat Ihnen tatsäch­lich jemand weiß gemacht, dass Luftfil­ter das Lüften ersetzen?»

Prien, die schles­wig-holstei­ni­sche Bildungs­mi­nis­te­rin und diesjäh­ri­ge KMK-Präsi­den­tin, und ihre Kolle­gin­nen und Kolle­gen in den Ländern betonen immer wieder, dass es auf keinen Fall mehr zu großen Schul­schlie­ßun­gen kommen soll. In der politi­schen Debat­te wird ihnen dann aber vorge­hal­ten, sie hätten Schulen für durch­ge­hen­den Präsenz­un­ter­richt nicht sicher genug gemacht. Ein immer wieder­keh­ren­der Vorwurf dabei: Es fehlen Luftfilter.

Vorwurf «Durch­seu­chung»

Schüler­ver­tre­ter hatten zuletzt mit einem offenen Beschwer­de­brief im Netz unter #WirWer­den­laut der Politik einen «Durch­seu­chungs­plan» vorge­wor­fen. Auch in diesem Brief werden «Luftfil­ter für Klassen‑, Fach- und Sanitär­räu­me in allen Schulen» gefor­dert. TV-Satiri­ker Jan Böhmer­mann, dem fast zweiein­halb Millio­nen Menschen bei Twitter folgen, schrieb Anfang des Monats: «Frage mich, wie die Pande­mie wohl aussä­he, hätte in Deutsch­land die Luftfil­ter­in­dus­trie so eine mächti­ge Lobby wie die Autoindustrie.»

Filter ist nicht gleich Filter

Den Luftfil­ter gibt es nicht. Die politi­sche Debat­te dreht sich vor allem um mobile Geräte. Daneben gibt es «raumluft­tech­ni­sche Anlagen (RLT)», wie es in der Fachspra­che heißt. Das sind fest instal­lier­te Zu- und Abluft­sys­te­me direkt in der Außen­wand oder Decke oder zentra­le Lüftungs­sys­te­me die im ganzen Gebäu­de über Lüftungs­schäch­te dauer­haft verbrauch­te Luft nach außen und frische Luft nach innen leiten.

Milli­ar­de für feste Anlagen, Millio­nen für mobile Geräte

Der Bund hat in der Corona-Pande­mie für den Neu- und Umbau solcher festen Anlagen in Schulen und Kitas nach Regie­rungs­an­ga­ben gut eine Milli­ar­de Euro Förder­gel­der bereit­ge­stellt, die auch beantragt oder abgeru­fen wurden.

Für die Anschaf­fung mobiler Geräte in Räumen, die sich schlecht lüften lassen, weil etwa Fenster nur angekippt werden können, wurden zusätz­lich 200 Millio­nen Euro bereitgestellt.

Hamburg hat nach eigenen Angaben mehr als 21.000 mobile Lüfter für 92 Prozent der Klassen­räu­me im Wert von über 21 Millio­nen Euro angeschafft. In Bayern sind nach Angaben von Bildungs­mi­nis­ter Micha­el Piazo­lo (Freie Wähler) mehr als 70 Prozent der Klassen­räu­me damit ausge­stat­tet. Der Freistaat habe im Vergleich zu anderen Bundes­län­dern gegen­wär­tig die meisten Luftreinigungsgeräte.

Kein großer Unterschied?

Anders­wo, wie in Mecklen­burg-Vorpom­mern, hat man auf große Kaufpro­gram­me verzich­tet. Die Geräte seien zu laut, nicht nachhal­tig und würden nach der Pande­mie vermut­lich nicht mehr benutzt, hatte es im Norden geheißen.

Vertre­ter der Kommu­nen sehen sich nun bestä­tigt. Der Einsatz der Geräte schei­ne keinen sehr großen Unter­schied zu machen, sagte Arp Fittschen vom Städte- und Gemein­de­tag Mecklen­burg-Vorpom­mern der Deutschen Presse-Agentur mit Blick auf die niedri­ge­ren Corona-Zahlen bei Kindern und Jugend­li­chen in seinem Bundes­land im Vergleich zu Hamburg. Und vergleicht man die Inziden­zen bei Kindern und Jugend­li­chen in Bayern, wo viele Geräte angeschafft wurden, mit den bundes­wei­ten Zahlen, sind auch keine großen Unter­schie­de erkennbar.

Was die Exper­ten sagen

Mobile Filter also eine Fehlin­ves­ti­ti­on? Aus Sicht von Hajo Zeeb vom Leibniz-Insti­tut für Präven­ti­ons­for­schung und Epide­mio­lo­gie in Bremen wäre das zu kurz gedacht. «Die Wirksam­keit mobiler Luftfil­ter ist nicht aus dem einfa­chen Blick auf die nun herrschen­den Inziden­zen quer über Bundes­län­der abzulei­ten, dazu sind geziel­te Studi­en nötig.» Die Geräte seien eine von vielen Maßnah­men in Schulen, die zur Sicher­heit beitra­gen könnten. «Aller­dings ist es durch die hohe Dynamik bei Omikron offen­sicht­lich kaum mehr möglich, die Infek­ti­ons­häu­fig­kei­ten bei Kindern und Jugend­li­chen auf niedri­gem Niveau zu halten.»

Die Aerosol­for­sche­rin Birgit Wehner vom Leibniz-Insti­tut für Tropo­sphä­ren­for­schung sagt: «Grund­sätz­lich helfen Luftfil­ter immer, das Infek­ti­ons­ri­si­ko zu senken. Aller­dings werden sie ja norma­ler­wei­se mit anderen Maßnah­men wie Masken und Lüften kombi­niert und aus dieser Kombi­na­ti­on ergibt sich das indivi­du­el­le Risiko. Daher sind die Effek­te einzel­ner Fakto­ren schwer nachzuweisen.»

Umwelt­bun­des­amt empfiehlt feste Anlagen

Bildungs­po­li­ti­ker verwei­sen bei dem Thema auf die Einschät­zun­gen des Umwelt­bun­des­am­tes und auf die sogenann­te S3-Leitli­nie für Schulen. Darin bewer­ten verschie­de­ne wissen­schaft­li­che Fachge­sell­schaf­ten bestimm­te Corona-Maßnah­men. Bei mobilen Luftfil­tern bleiben die Exper­ten vage: «Insge­samt überwie­gen (…) weder die positi­ven noch die negati­ven Wirkun­gen, so dass die Maßnah­me erwogen werden kann», aller­dings auch nur als «ergän­zen­de Maßnah­me» zum Lüften. Ein mobiler Luftfil­ter im Klassen­zim­mer würde demnach auch nicht verhin­dern, dass Kinder mit Daunen­ja­cke im Klassen­zim­mer sitzen müssen.

Das Umwelt­bun­des­amt hält mobile Lüfter, dort wo Fenster nur gekippt werden können, für «sinnvoll», um während der Pande­mie «die Wahrschein­lich­keit indirek­ter Infek­tio­nen zu minimieren».

Schritt­wei­se empfiehlt das Amt aller­dings, die Schulen im Land mit festen RLT-Anlagen auszu­stat­ten. Dies sei die «nachhal­tigs­te Maßnah­me zur Verbes­se­rung der Innen­raum­luft­hy­gie­ne» auch für die Zeit nach der Pande­mie. Der Deutsche Lehrer­ver­band fordert, solche Lösun­gen sollten bei Schul­sa­nie­run­gen und Schul­haus­neu­bau­ten der künfti­ge Standard sein.

Von Jörg Ratzsch, dpa