YANQING (dpa) — Früher war Chris­to­pher Grotheer Skisprin­ger, nun rast er mit seinem Skele­ton­schlit­ten kopfüber durch den Eiska­nal. Der Weltmeis­ter gewinnt bei den Winter­spie­len in China eine histo­ri­sche Medaille.

Nach seiner Fahrt in die Geschichts­bü­cher hatte Chris­to­pher Grotheer seine Gefüh­le unter Kontrol­le wie zuvor seinen Schlit­ten im Eiska­nal von Yanqing.

Ergrif­fen sang Deutsch­lands erster Skele­ton-Olympia­sie­ger die Hymne mit, kämpf­te nach der Fortset­zung der deutschen Gold-Festspie­le erfolg­reich gegen die Freuden­trä­nen an. Einen Tag nach dem Ende der Rodel-Wettbe­wer­be mit insge­samt vier Goldme­dail­len raste der Weltmeis­ter vor seinem Teamkol­le­gen Axel Jungk zum größten Erfolg seiner Karrie­re. Bronze gewann der Chine­se Yan Wengang.

«Ich habe jahre­lang davon geträumt. Das ist alles noch so irreal, aber ich bin stolz auf mich. Dieses Gold habe ich im Kopf gewon­nen», sagte Grotheer in ruhigem Ton und versprach: «Nach zwei Bier bin ich auch ein bisschen lockerer.»

Olympia-Gold ist für den Thürin­ger mit konstan­tem Ruhepuls der absolu­te sport­li­che Jackpot. Und die 20.000 Euro Siegprä­mie kann er gleich auf zwei Großpro­jek­te auftei­len: Für das neue Haus in der Nähe von Oberhof und für die Hochzeit mit seiner schwan­ge­ren Freun­din Mary Ann im Mai, die zu Hause ganz ergrif­fen war und am ARD-Mikro sagte: «Ich bin so stolz auf das, was er geleis­tet hat. Nicht viele haben an ihn geglaubt.»

Speed-Freak Grotheer — privat fährt er eine 200 PS starke Kawasa­ki — war in der Bahn nördlich von Peking unantast­bar. «Die ersten drei Läufe waren der Wahnsinn, im vierten Lauf ging er auf Nummer sicher», sagte Cheftrai­ner Chris­ti­an Baude in der ARD. Am Ende lag Grotheer 0,66 Sekun­den vor Jungk. Jahre­lang galten Baudes Schütz­lin­ge bei Olympia als die Abgehäng­ten, die nicht ablie­fer­ten. In Yanqing war alles anders. «Alle waren mega heiß. Wir hatten super­gei­le letzte zwei Jahre und wollten zeigen, dass wir auch bei Olympia Medail­len gewin­nen können», sagte Grotheer.

Jungk musste lange um Teilnah­me bangen

Ähnlich hoch wie der Triumph des Polizei­be­am­ten ist die Silber­me­dail­le von Jungk einzu­schät­zen. Der 30-Jähri­ge vom BSC Oberbä­ren­burg hatte sich nach dem Weltcup­fi­na­le in St. Moritz mit dem Corona­vi­rus infiziert, zitter­te lange um die Olympia-Teilnah­me und konnte sich nicht wie geplant vorbe­rei­ten. Auch bei der Einrei­se nach China lief aufgrund seiner Erkran­kung nicht alles reibungs­los. «Es hat sich alles ausge­zahlt, die ganzen körper­li­chen Proble­me. Das war es wert. Es ist einfach ein unglaub­lich schönes Gefühl», sagte Jungk.

Schon am Samstag könnte es bei den Skele­ton­pi­lo­tin­nen die nächs­te deutsche Medail­le geben. Nach zwei von vier Läufen liegt das Trio Hannah Neise, Tina Hermann und Jacque­line Lölling auf den Plätzen zwei, drei und fünf. Olympia-Debütan­tin Neise aus Winter­berg hat als Zweite 0,21 Sekun­den Rückstand auf die führen­de Austra­lie­rin Jaclyn Narra­cott. Weltmeis­te­rin Tina Hermann vom WSV Königs­see fuhr am Freitag auf Rang drei und liegt nur zwei Hunderts­tel­se­kun­den hinter Neise. Die Entschei­dung im Medail­len­kampf fällt im vierten Lauf am Samstag (14.55 Uhr MEZ).

Grotheer wollte mit 15 noch Skisprin­ger werden

Das Edelme­tall hatte Grotheer am Freitag­abend (Ortszeit) bereits um den Hals hängen. Und das nur zwei Jahre, nachdem er sich nicht einmal für das deutsche Weltcup-Team quali­fi­ziert hatte. Gerad­li­nig war die Karrie­re des Routi­niers aber ohnehin nicht. Mit 15 Jahren wollte Grotheer noch Skisprin­ger werden. Weil er dafür aller­dings zu schwer wurde, wechsel­te er in den Eiska­nal, wo er seit 2012 im Weltcup unter­wegs ist.

Bei seiner Olympia-Premie­re vor vier Jahren in Pyeongchang war Grotheer noch Achter gewor­den. Für das Projekt Gold ging der erfah­re­ne Pilot ganz eigene Wege, stell­te sogar den Olympia-Schlit­ten in die Ecke. Mit seinem alten Schlit­ten lief es für Grotheer deutlich besser. Mit über 130 km/h hatte Grotheer auf dem alten Modell schon am ersten Tag die Spitzen­ge­schwin­dig­keit im Feld gesetzt und in 1:00,00 Minuten einen Bahnre­kord aufgestellt.

Von Frank Kastner und Tom Bachmann, dpa