BONN (dpa) — Die Deutsche Post DHL eilt von einem Höchst­wert zum nächs­ten, immer wieder hat sie in den vergan­ge­nen Jahren ihre Progno­se angeho­ben. Doch im deutschen Stamm­ge­schäft droht ein langwie­ri­ger Arbeitskampf.

Für die Post ist es ein Tag mit zwei Seiten: Am Donners­tag­vor­mit­tag steht die Verkün­dung eines Rekord­ergeb­nis­ses auf dem Programm — für Firmen­chef Frank Appel ist das Grund zur Freude. Doch nur wenige Stunden später könnte der Manager einen Dämpfer bekom­men: Dann will die Gewerk­schaft Verdi das Ergeb­nis ihrer Urabstim­mung bei dem Bonner Logis­ti­ker bekannt­ge­ben — und könnte danach einen unbefris­te­ten Streik ausru­fen, wenn drei Viertel der befrag­ten Post-Beschäf­tig­ten das Tarif­an­ge­bot ihres Arbeit­ge­bers abgelehnt haben.

Warum droht nun ein Streik?

Verdi wollte in Tarif­ver­hand­lun­gen ein Entgelt­plus von 15 Prozent in einem einjäh­ri­gen Vertrag durch­set­zen und begrün­de­te das unter anderem mit der hohen Infla­ti­on. Die Post lehnte die Forde­rung als wirtschaft­lich nicht tragbar ab. Sie bot einen zwei Jahre laufen­den Vertrag an, der eine Tarif­er­hö­hung in zwei Stufen ab 2024 vorsieht. Nach ihren Berech­nun­gen würde sich die Bezah­lung der Beschäf­tig­ten um durch­schnitt­lich 11,5 Prozent verbes­sern. Separat hierzu sollen die Beschäf­tig­ten schon ab diesem Jahr schritt­wei­se 3000 Euro netto bekom­men, die als Infla­ti­ons­aus­gleichs­prä­mie fließen.

Wann gab es zuletzt einen Streik bei der Post?

Warnstreiks gab es immer mal wieder, zuletzt im Febru­ar. Solche Arbeits­nie­der­le­gun­gen sind zeitlich befris­tet und örtlich begrenzt. Einen unbefris­te­ten Streik nach Abbruch der Verhand­lun­gen gab es zuletzt 2015 bei der Post, damals sorgte die Ausgrün­dung von Paket-Tochter­fir­men mit niedri­ge­rer Bezah­lung für Unmut. Streik ist eine Selten­heit beim Gelben Riesen und ein gravie­ren­der Schritt, den Verdi ginge.

Welche Folgen hätte ein Streik für Verbrau­che­rin­nen und Verbraucher?

Bei den jüngs­ten Warnstreiks im Januar und Febru­ar blieben Millio­nen Briefe und Pakete zwischen­zeit­lich liegen. Im Verhält­nis zu den Gesamt­men­gen waren das aber nur gerin­ge Prozent­wer­te. Mancher Empfän­ger hatte Pech und musste zwei, drei Tage warten, andere bekamen die Warnstreik-Folgen gar nicht mit. Beim Streik wäre das aller Voraus­sicht nach anders: Es dürfte erheb­li­che Verzö­ge­run­gen geben. Laut Verdi sind von den 200.000 Beschäf­tig­ten im Stamm­ge­schäft mehr als 100.000 Verdi-Mitglie­der — rechne­risch wäre also circa jeder Zweite streik­be­rech­tigt. Tatsäch­lich dürfte die Betei­li­gung aber schwan­ken und je nach Region unter­schied­lich ausfallen.

Wie sehr würde ein mögli­cher Streik die Post treffen?

Die Post müsste Extra­kos­ten stemmen, um den Sendungs­fluss mit Ach und Krach aufrecht­zu­er­hal­ten. Grob gesagt: Mangels Perso­nals dürften sich große Mengen an Paketen und Briefen in den Stand­or­ten stapeln. Die Firma müsste exter­ne Lager anmie­ten und Perso­nal von exter­nen Dienst­leis­tern einset­zen. Eine teure Sache. Beim Streik im Jahr 2015 bezif­fer­te die Post die Kosten auf 100 Millio­nen Euro.

Wie lange würde ein mögli­cher Streik dauern?

2015 dauer­te es vier Wochen, bis der unbefris­te­te Streik vorbei war — zuvor hatte es mehre­re Monate lang immer mal wieder Warnstreiks gegeben. Wie lange ein mögli­cher Streik nun dauern könnte, ist unklar. Beide Seiten betonen, dass sich der andere bewegen müsse. Bis die Bereit­schaft zum Kompro­miss reift, dürfte es noch dauern.

Wie läuft das Geschäft bei der Deutschen Post?

Alles in allem glänzend. Die Fracht- und Express-Sparten boomen, und auch der Paket­ver­sand im Ausland und Liefer­ket­ten-Dienst­leis­tun­gen laufen gut. Laut einer Firmen­pro­gno­se vom Oktober 2022 erwar­tet der Logis­ti­ker für das vergan­ge­ne Jahr bis zu 8,4 Milli­ar­den Euro Betriebs­ge­winn und damit über fünf Prozent mehr als 2021. Da das Unter­neh­men diese Einschät­zung seither nicht geändert hat, dürfte es die Vorga­be in etwa erfüllt haben.

Wie hat sich die Post verändert?

Das einst­mals urdeut­sche Unter­neh­men hat sich zum globa­len Großkon­zern mit breitem Portfo­lio entwi­ckelt. Als Frank Appel 2008 Vorstands­vor­sit­zen­der wurde, machten der Brief- und Paket­ver­sand in Deutsch­land circa 85 Prozent des opera­ti­ven Gewinns (Ebit) aus, der Rest kam nur auf 15 Prozent. Seither hat der Konzern enormes Wachs­tum hinter sich und die Verhält­nis­se haben sich umgekehrt: Das Stamm­ge­schäft kommt nur noch auf grob gesagt 15 Prozent des opera­ti­ven Gewinns und der Rest auf 85. Das macht deutlich: Die Musik spielt im Ausland.

Wie ist die Lage im Inland?

Circa ein Drittel der Beleg­schaft ist in der Sparte Post & Paket Deutsch­land tätig — rund 200.000 Menschen. Hier macht sich der Struk­tur­wan­del bemerk­bar: Die Brief­men­gen sinken, weil die Menschen immer stärker auf digita­le Kommu­ni­ka­ti­on setzen. Die Paket­men­gen steigen hinge­gen, in den Corona­jah­ren kam es hier zu einem Extra-Schub wegen des Versand­han­dels­booms. Inzwi­schen hat sich der Zuwachs an Paketen norma­li­siert. Im Vergleich zu anderen Konzern­tei­len ist Post & Paket Deutsch­land nur mäßig profi­ta­bel. Als «Univer­sal­dienst­leis­ter» hat die Firma staat­li­che Pflich­ten zu erfül­len. In der anste­hen­den Reform des veral­te­ten Postge­set­zes hofft die Firma auf Lockerungen.

Was passiert im Vorstand?

Seit 15 Jahren steht der frühe­re McKin­sey-Berater Frank Appel an der Konzern­spit­ze. In zwei Monaten ist Schluss: Dann räumt der 61-Jähri­ge seinen Chefpos­ten und der 47 Jahre alte Vorstands­kol­le­ge Tobias Meyer übernimmt. Künftig wird sich Appel auf seine Tätig­keit als Telekom-Aufsichts­rats­vor­sit­zen­der konzen­trie­ren. Damit bleibt er einem anderen Teil der frühe­ren Bundes­post erhal­ten. Sein Nachfol­ger Meyer kennt die Post gut, von 2019 bis 2022 leite­te er das Stamm­ge­schäft des Logis­ti­kers, den Konzern­be­reich Post & Paket Deutsch­land. Meyer war früher ebenfalls bei McKin­sey tätig, seit 2013 ist er beim Bonner Konzern.