STUTTGART (dpa/lsw) — Nun nimmt die Opposi­ti­on den Regie­rungs­chef selbst im U‑Ausschuss zur Polizei­af­fä­re in die Zange. Aber wie viel wusste und weiß Kretsch­mann? Aus Sicht der SPD nimmt der Grünen-Politi­ker die ganze Sache bislang nicht ernst genug.

Die SPD hat Minis­ter­prä­si­dent Winfried Kretsch­mann vor seinem Auftritt im Unter­su­chungs­aus­schuss zur Polizei­af­fä­re aufge­for­dert, sich aktiv an der Aufklä­rung der Themen zu betei­li­gen. «Ich hielte es für äußerst schwie­rig, wenn der Minis­ter­prä­si­dent sich wie sein Stell­ver­tre­ter Thomas Strobl nur auf Erinne­rungs­lü­cken zurück­zieht», sagte SPD-Innen­po­li­ti­ker Sascha Binder der Deutschen Presse-Agentur in Stutt­gart. Kretsch­mann selbst habe immer wieder darauf hinge­wie­sen, dass der Ausschuss aufklä­ren solle. «Ich gehe davon aus, dass sich der Minis­ter­prä­si­dent an der Aufklä­rung betei­ligt und Angaben macht.»

Kretsch­mann muss am heuti­gen Montag (ab ca. 14.00 Uhr) als Zeuge im Unter­su­chungs­aus­schuss zur sogenann­ten Polizei­af­fä­re auftre­ten. Nach zwei Befra­gun­gen von Innen­mi­nis­ter Thomas Strobl (CDU) muss nun auch der grüne Regie­rungs­chef zu verschie­de­nen Vorgän­gen Rede und Antwort stehen. Der Ausschuss dreht sich um sexuel­le Beläs­ti­gung in Landes­be­hör­den, um Beför­de­rungs­prak­ti­ken bei der Polizei und um die Weiter­ga­be eines Anwalts­schrei­bens durch Strobl.

Ein inzwi­schen suspen­dier­ter Inspek­teur der Polizei soll Ermitt­lun­gen zufol­ge vor fast einem Jahr in Stutt­gart eine Polizei­be­am­tin sexuell beläs­tigt haben. Die Staats­an­walt­schaft Stutt­gart hat kürzlich Ankla­ge wegen sexuel­ler Nötigung erhoben. Strobl hatte ein Schrei­ben des Anwalts des Inspek­teurs an einen Journa­lis­ten weiter­ge­reicht — und war deshalb ebenfalls unter Druck geraten. Die Ermitt­lun­gen gegen Strobl werden aber gegen Zahlung einer Geldauf­la­ge von 15.000 Euro eingestellt.

Kretsch­mann dürfte wohl kaum mit guter Laune in den Ausschuss spazie­ren. Aus seiner Sicht schießt die Opposi­ti­on in der Causa Strobl weit übers Ziel hinaus. Sie habe die Weiter­ga­be des Anwalts­schrei­bens «ziemlich aufge­bla­sen», hatte Kretsch­mann erst vor wenigen Tagen gesagt. «Wir leben in sehr, sehr schwie­ri­gen Zeiten, da würde ich mir schon wünschen, dass die Dinge besser dimen­sio­niert werden.» Die Vorkomm­nis­se hätten zudem das Regie­rungs­han­deln «zu keinem Zeitpunkt ernst­haft beeinträchtigt».

Binder wies die Kritik des Regie­rungs­chefs zurück. «Wenn die Dinge falsch laufen, laufen sie falsch — da kann man sie nicht mit multi­plen Krisen in der Welt abschwä­chen», sagte Binder. «Ich bin überrascht, wie er versucht, die Vorkomm­nis­se herunterzuspielen.»

Der SPD-Abgeord­ne­te sagte, er gehe davon aus, dass Kretsch­mann die Vorgän­ge bei der Befra­gung ernst nehme und «nicht so lapidar abtut, wie er es bisher in Presse­kon­fe­ren­zen getan hat». Außer­dem wider­spre­che Kretsch­mann Strobl mit seiner Argumen­ta­ti­on, dass die Causa um das Anwalts­schrei­ben bisher keinen Einfluss auf das Regie­rungs­han­deln gehabt habe. Strobl habe der Einstel­lung gegen Geldauf­la­ge zugestimmt, um ein langwie­ri­ges Verfah­ren zu vermei­den und sich auf die Regie­rungs­ar­beit konzen­trie­ren zu können.

Man werde den Minis­ter­prä­si­den­ten zu den Vorwür­fe gegen den Inspek­teur und zu dessen Beför­de­rung, aber auch zur Weiter­ga­be des Schrei­bens durch Strobl befra­gen, sagte Binder. Auch sexuel­le Beläs­ti­gung in Landes­be­hör­den soll demnach erörtert werden im Ausschuss. Im von Kretsch­mann geführ­ten Staats­mi­nis­te­ri­um habe es bis zuletzt dazu keine Dienst­ver­ein­ba­rung gegeben, sagte Binder.

Die innen­po­li­ti­sche Spreche­rin der FDP, Julia Goll, sagte, man werde konkret nachfra­gen, inwie­weit im Staats­mi­nis­te­ri­um Sachver­hal­te eigen­stän­dig geprüft und bewer­tet wurden. «Bishe­ri­ge Äußerun­gen des Minis­ter­prä­si­den­ten deuten darauf hin, dass er sich allein auf die Angaben Strobls, er habe keinen Rechts­ver­stoß began­gen, verlas­sen hat», sagte Goll. «Politisch stellt sich insge­samt die Frage, ob der Minis­ter­prä­si­dent genau genug hinschaut und seiner Gesamt­ver­ant­wor­tung gerecht wird.»

Vor der Befra­gung des Minis­ter­prä­si­den­ten wird am Montag auch der Journa­list, der bei den «Stutt­gar­ter Nachrich­ten» arbei­tet, im Ausschuss befragt. Die Behör­de hatte gegen ihn wegen des Verdachts verbo­te­ner Mittei­lun­gen über Gerichts­ver­hand­lun­gen ermit­telt. Das Verfah­ren gegen den Journa­lis­ten wurde ebenfalls einge­stellt. Die Befra­gung des Journa­lis­ten werde inter­es­sant, weil man nun in der Frage der Weiter­ga­be des Anwalts­schrei­bens den anderen Betei­lig­ten höre, sagte Binder. «Wir werden sehen, ob es Wider­sprü­che gibt.»