BERLIN/MAINZ (dpa) — Kurz nach der Flutka­ta­stro­phe im Ahrtal im Sommer 2021 fährt Famili­en­mi­nis­te­rin Spiegel für vier Wochen in den Urlaub. «Ein Fehler», sagt die damali­ge rhein­land-pfälzi­sche Umwelt­mi­nis­te­rin nun.

Es war ein emotio­na­ler und ungewöhn­li­cher Auftritt: Bundes­fa­mi­li­en­mi­nis­te­rin Anne Spiegel (Grüne) bittet am späten Sonntag­abend für ihren vierwö­chi­gen Famili­en­ur­laub nach der schreck­li­chen Flutka­ta­stro­phe in Rhein­land-Pfalz um Entschuldigung.

Die damali­ge rhein­land-pfälzi­sche Umwelt­mi­nis­te­rin begrün­de­te die Reise mit familiä­ren Gründen und hoher beruf­li­cher Belas­tung. «Das war ein Fehler, dass wir so lange in Urlaub gefah­ren sind und ich bitte für diesen Fehler um Entschul­di­gung», sagte die 41-Jähri­ge in Berlin. Zuvor hatte unter anderem CDU-Chef Fried­rich Merz ihre Entlas­sung gefordert.

«Ungewöhn­li­cher Schritt»

Die 41-Jähri­ge ging darauf aber nicht ein, sondern räumte am Abend mit stocken­der Stimme Fehler ein. Ihre Entschei­dung für den Urlaub begrün­de­te die Famili­en­mi­nis­te­rin — um Fassung ringend — «in einem ungewöhn­li­chen Schritt» mit «priva­ten Details». Ihre vier Kinder — eins im Kita- und drei im Grund­schul­al­ter — seien nicht gut durch die Pande­mie gekom­men. Und ihr Mann habe nach einem Schlag­an­fall unbedingt Stress vermei­den müssen. Ihre Familie habe Urlaub gebraucht.

Die zusätz­li­che Übernah­me des Umwelt­res­sorts in Rhein­land-Pfalz im Januar 2021 sei zuviel gewesen und haben ihre Familie «über die Grenze gebracht». Sie habe einen Schritt gemacht, «der im Nachhin­ein ein Fehler war, weil er zu viel war.»

Die damali­ge Landes­mi­nis­te­rin für Familie, Integra­ti­on und Verbrau­cher­schutz hatte das Umwelt­mi­nis­te­ri­um nach dem Rücktritt von Ulrike Höfken (auch Grüne) wegen rechts­wid­ri­gen Beför­de­run­gen übernom­men. Zugleich zog Spiegel als Spitzen­kan­di­da­tin ihrer Partei in den Wahlkampf und übernahm nach der gewon­nen Wahl im März das neu zugeschnit­te­ne und größe­re Klima­schutz­mi­nis­te­ri­um in Mainz.

Unmit­tel­bar nach der Flut habe sie aber einen Krisen­stab einge­setzt und weite­re Maßnah­men auf den Weg gebracht, sagte Spiegel am Sonntag. Die Abwägung zwischen ihrer Verant­wor­tung als Minis­te­rin und als Mutter sei ihr schwer gefal­len. Während ihres Urlaubs sei sie immer erreich­bar gewesen, habe Telefo­na­te geführt und sich infor­miert. Wenn es einen Anlass gegeben hätte, den Urlaub abzubre­chen, dann hätte sie dies getan, sagte Spiegel.

Schar­fe Kritik von Merz

Bei der Flutka­ta­stro­phe Mitte Juli 2021 sind in Rhein­land-Pfalz und Nordrhein-Westfa­len mehr als 180 Menschen ums Leben gekom­men, davon 134 im Ahrtal. Rund 750 Menschen wurden in Rhein­land-Pfalz verletzt und große Teile der Infra­struk­tur sowie Tausen­de Häuser zerstört. Viele Menschen leben noch immer in Not- oder Ausweichquartieren.

CDU-Chef Merz sagte vor dem State­ment der «Bild»-Zeitung: «Es beweist sich erneut: Für Frau Spiegel waren Urlaub und das eigene Image wichti­ger als das Schick­sal der Menschen an der Ahr. Der Bundes­kanz­ler muss sie entlas­sen.» Unions-Frakti­ons­ge­schäfts­füh­rer Thors­ten Frei (CDU) sagte der «Rheini­schen Post»: «Wenn es um Verant­wor­tung geht, ist sie nicht erreich­bar oder verreist.» Er könne sich nicht vorstel­len, dass Bundes­kanz­ler Olaf Scholz (SPD) «so ein Amtsver­ständ­nis gut findet».

Spiegel sei als Minis­te­rin untrag­bar, fügte der CDU-Landes­vor­sit­zen­de Chris­ti­an Baldauf hinzu. «Eine Landes­mi­nis­te­rin, die während dieser schwe­ren Katastro­phe vier Wochen Urlaub macht, setzt die falschen Priori­tä­ten.» CSU-General­se­kre­tär Stephan Mayer sagte: «Spiegel sollte sich ein Beispiel an Heinen-Esser nehmen und ihr Amt zur Verfü­gung stellen.»

Kurznach­rich­ten-Wechsel nach Hochwassernacht

In Nordrhein-Westfa­len hatte die dorti­ge Umwelt­mi­nis­te­rin Ursula Heinen-Esser ihr Amt am Donners­tag nieder­ge­legt, nachdem bekannt­ge­wor­den war, dass sich die 56-jähri­ge Minis­te­rin wenige Tage nach der Flutka­ta­stro­phe auf der Ferien­in­sel für ein Wochen­en­de mit weite­ren Regie­rungs­mit­glie­dern getrof­fen hatte, um den Geburts­tag ihres Mannes zu feiern.

Spiegel war bereits in die Kritik geraten, weil sie sich in einem Kurznach­rich­ten-Wechsel mit ihren Mitar­bei­tern direkt nach der Hochwas­ser­nacht um ihr politi­sches Image gesorgt hatte. Dazu hatte die Grünen-Politi­ke­rin im Unter­su­chungs­aus­schuss des Landtags in Mainz gesagt, die Hilfe für die Betrof­fe­nen im Ahrtal sei für sie von höchs­ter Bedeu­tung gewesen. «Es ist absolut falsch und ich weise entschie­den zurück, dass ich irgend­wann eine andere Priori­tät hatte.»

Von Ira Schai­b­le, dpa