Kann ein Rock-Super­star wie Bruce Springsteen auch noch mit über 70 als Live-Musiker stunden­lang «liefern»? Der «Boss» hat da keine Zweifel. In einer Inter­view­run­de zum neuen Album schwärmt er von seiner E Street Band — und kündigt einen Nachschlag an.

«Zur Hölle, ja», sagt der Sänger auf eine Frage der Deutschen Presse-Agentur, ob es größe­re Konzert­plä­ne für die Zeit nach Corona gebe. Ihm gehe es fabel­haft. «Ich fühle mich vitaler als je zuvor im Leben, die Band ist auf der Höhe ihrer Kunst.»

Es sei «frustrie­rend, dass wir nicht sofort losle­gen können. Aber wenn es soweit ist, wird das eine neue Explo­si­on auf der Bühne sein», kündigt Springsteen an. Auftrit­te mit seiner seit 1975 bestehen­den E Street Band waren stets mehrstün­di­ge Ereig­nis­se. Der durch­trai­niert wirken­de Front­mann scheint solche schweiß­trei­ben­den Gigs auch künftig nicht zu scheu­en. Zuletzt war Springsteen mit der E Street Band 2016 auf Stadi­onbüh­nen in Deutsch­land zu sehen.

Ein wesent­li­cher Grund für die Live-Eupho­rie des 20-fachen Grammy-Gewin­ners: das am Freitag (23. Oktober) erschei­nen­de Studio­al­bum «Letter To You» (Columbia/Sony). Es markiert nach den melan­cho­li­schen Folkpop-Klängen des Nummer-eins-Solowerks «Western Stars» (2019) die Rückkehr zu einem roheren Band-Sound.

«Es gibt nichts Schöne­res, als mit alten Freun­den ins Studio zu gehen und was Wunder­ba­res gesche­hen zu lassen», sagt Springsteen («Born To Run», «Born In The U.S.A.», «The Rising»), als er am Donners­tag­abend aus seinem Aufnah­me­stu­dio im US-Bundes­staat New Jersey mit einem kleinen Kreis europäi­scher Musik­jour­na­lis­ten spricht. «Letter To You» umfasst zwölf Songs, die einen Bogen bis zurück zu seinen Anfän­gen in den frühen 70er Jahren schlagen.

Die Lieder wurden allesamt Ende 2019 inner­halb weniger Tage live einge­spielt. Dabei hatte Springsteen vorher lange Zeit gar nicht mehr mit der E Street Band im Studio musiziert, das Vorgän­ger­al­bum «High Hopes» liegt nun sechs Jahre zurück.

Die Band mit altbe­währ­ten Haude­gen wie Roy Bittan (Piano), Steven Van Zandt (Gitar­re) oder Max Weinberg (Schlag­zeug) sei «ein wunder­ba­res Erleb­nis derzeit», sagt Springsteen, mit rund 130 Millio­nen verkauf­ten Tonträ­gern einer der erfolg­reichs­ten Musiker der Welt. Er vergisst aber auch nicht, die vor einigen Jahren gestor­be­nen Mitglie­der zu würdi­gen: «Danny (Federi­ci) und Clarence (Clemons) sind natür­lich immer bei uns, sie werden immer Teil der Band sein.»

Zum Ausgangs­punkt von «Letter To You» wurde indes der Tod eines alten Freun­des, mit dem Springsteen schon in den 60er Jahren gespielt hatte. «Als er starb, war ich der letzte Überle­ben­de meiner ersten Band», sagt der Sänger und Gitar­rist. Aus diesem «sonder­ba­ren Gefühl» entstand das Lied «Last Man Standing». Danach habe es mit dem Songschrei­ben inner­halb weniger Tage wie von selbst geklappt.

Die Musik an sich, der Rock’n’Roll, die vergan­ge­nen Zeiten, Freun­de, Familie «und der Spaß am Leben» — all das fand schließ­lich Eingang in die Texte. Dazu erzählt Springsteen die hübsche Geschich­te einer Gitar­re, die ihm ein unbekann­ter Fan bei einem Solokon­zert geschenkt habe: «Die meisten Songs von “Letter To You” entstan­den dann auf dieser Gitar­re. Es ist ein bisschen magisch.»

Zudem enthält das Album drei zuvor unver­öf­fent­lich­te Stücke aus den 70er Jahren. Beson­ders «Janey Needs A Shooter» hat es Springsteen jetzt angetan, weil es so schön den Geist von Bob Dylan und des eigenen Schlüs­sel­werks «Darkness On The Edge Of Town» (1978) vereine.

Das brand­neue Lied «House Of A Thousand Guitars» zählt der Musiker gar zu den besten seiner 50-jähri­gen Karrie­re. Es spiege­le «diese ganze Welt und diese Werte, die ich über die Jahre zusam­men mit meiner Hörer­schaft geschaf­fen habe». Der Song enthält aber auch — die Ausnah­me auf einem nostal­gi­schen Album — einige vernich­ten­de Textzei­len gegen US-Präsi­dent Donald Trump, den «krimi­nel­len Clown».

Springsteen, von vielen liebe­voll «The Boss» genannt, will mit dem musika­li­schen Brief an die Fans «Eure Füße, Eure Herzen und beson­ders Eure Seelen errei­chen». Und er deutet einen Nachschlag mit weite­ren Songs an: «Ich habe noch eine ganze Menge davon.»

Beglei­tet wird «Letter To You» — wie schon «Springsteen On Broad­way» und «Western Stars» — von einer Dokumen­ta­ti­on. Der Film von Thom Zimny soll zeitgleich mit der Album­pre­mie­re am 23. Oktober auf Apple TV+ zu sehen sein. Die abend­fül­len­de Doku ermög­li­che «einen Blick hinter die Kulis­sen des kreati­ven Prozes­ses», hieß es vorab — mit Live-Aufnah­men und Archiv­ma­te­ri­al als «Hommage an die Rockmu­sik selbst und an die Rolle, die sie in Springsteens Leben gespielt hat».