AL RAJJAN (dpa) — Das deutsche Team erlebt den nächs­ten WM-Auftakt­schock. Wie 2018 geht die erste Partie verlo­ren. Beim 1:2 gegen Japan rächt sich der Chancen­wu­cher. Vor der Partie zeigt Manuel Neuer & Co. eine vielbe­ach­te­te Geste.

Morali­scher Erfolg für Deutsch­land — aber Riesen­frust über den nächs­ten WM-Auftakt­schock: Nach dem 1:2 (1:0) gegen Japan droht der deutschen Natio­nal­mann­schaft wie 2018 in Russland schon wieder das Vorrunden-Aus.

Zwei Joker-Tore des Freibur­gers Ritsu Doan (75. Minute) und des Bochu­mers Takuma Asano (83.) rissen Bundes­trai­ner Hansi Flick und sein Team aus allen Träumen. Die zahlrei­chen verge­be­nen Chancen nach dem Elfme­ter­tor von Ilkay Gündo­gan (33.) rächten sich brutal. Vor dem Anpfiff punkte­ten die Fußball-Natio­nal­spie­ler noch mit einer vielsa­gen­den Geste gegen die FIFA. Nach dem Verbot der «One Love»-Binde hielten sich Kapitän Manuel Neuer und seine zehn Teamkol­le­gen beim Mannschafts­fo­to vor dem Anpfiff demons­tra­tiv die Hand vor den Mund.

Ein starkes Bild, das da vor 42.608 Zuschau­ern aus dem Chali­fa-Inter­na­tio­nal Stadi­um in die Welt hinaus­ging. Auch auf dem Platz präsen­tier­te sich das DFB-Team lange gut, auch wenn Flick in seiner großen Coaching Zone nur einmal jubeln durfte. Das Auslas­sen mehre­rer Topchan­cen, nicht nur beim Pfosten­schuss von Gündo­gan (60.), wurde am Ende brutal bestraft: Die Defen­si­ve zerfiel bis auf Torwart Neuer zusehends. Am Sonntag geht es gegen Spani­en schon um alles beim Kampf um den Einzug ins Achtelfinale.

Politi­scher Doppelpass

Zumin­dest ein politi­scher Doppel­pass gelang an diesem bemer­kens­wer­ten Mittwoch: Auf der VIP-Tribü­ne, wo FIFA-Präsi­dent Gianni Infan­ti­no saß, trug Bundes­in­nen­mi­nis­te­rin Nancy Faeser die für Neuer verbo­te­ne «One Love»-Binde für Vielfalt. Die SPD-Politi­ke­rin hatte sie erst unter ihrem pinken Blazer verbor­gen, den sie nach dem Anpfiff auszog.

Die Hand-vorm-Mund-Aktion der Natio­nal­spie­ler könnte der Auftakt zu den bekann­ten drei Affen gewesen sein: Diesmal nichts sagen — und dann womög­lich nichts hören und nichts sehen bei den weite­ren zwei Vorrundenspielen.

Sport­lich erinner­te das 1:2 an die WM vor vierein­halb Jahren, als ein 0:1 gegen Mexiko das schmach­vol­le Vorrun­den-Aus einlei­te­te. Bei allen bishe­ri­gen vier Weltmeis­ter­ti­teln konnte das deutsche Team sein Auftakt­spiel gewinnen.

Nach dem Symbol vor dem Anpfiff gab es auf dem Rasen direkt eine klare Rollen­ver­tei­lung. Die Japaner überlie­ßen dem DFB-Team komplett das Spiel und warte­ten ledig­lich auf die gefürch­te­ten Umschalt­mo­men­te nach eigenen Ballge­win­nen. Auch wenn Flick genau vor dieser Quali­tät gewarnt hatte, sorgte der vierma­li­ge Asien­meis­ter damit das erste Mal für Gefahr. Gündo­gan, der von Flick den Vorzug gegen­über Leon Goretz­ka erhal­ten hatte, verlor in der achten Minute den Ball in der gegne­ri­schen Hälfte. Die Japaner überbrück­ten rasant das Mittel­feld, Daizen Maeda stand bei seinem Treffer aber klar im Abseits.

Angst war zu spüren

Deutsch­land zeigte sich zunächst beein­druckt. Die Angst, ausge­kon­tert zu werden, war der Flick-Auswahl deutlich anzumer­ken. Erst Mitte der ersten Halbzeit wurde das Offen­siv­spiel mutiger, nach vorne ging es nur mit viel Laufbe­reit­schaft. Für sein 17. WM-Spiel war Thomas Müller recht­zei­tig fit gewor­den, im zentra­len Mittel­feld agier­te der 33-Jähri­ge sehr umtrie­big, seinen Aktio­nen fehlte aber die Präzision.

Torschüt­ze Gündo­gan und Joshua Kimmich als Doppel-Sechs kam eine enorme Bedeu­tung zu. Einer­seits mussten der Kapitän von Manches­ter City und sein Neben­mann des FC Bayern das deutsche Spiel gestal­ten, durften dabei aber auch nicht nach hinten aufma­chen. Vier Minuten nach der ersten deutschen Chance durch einen Kopfball von Abwehr­chef Antonio Rüdiger (16.) sorgte Kimmich per Distanz­schuss für die zweite Annähe­rung ans japani­sche Tor.

Ein feiner öffnen­der Ball des 27-Jähri­gen auf den Leipzi­ger Links­ver­tei­di­ger David Raum leite­te die verdien­te Führung ein. Nach siche­rer Ballan­nah­me war der WM-Debütant im Straf­raum von Japans Torwart Shuichi Gonda nur per regel­wid­ri­ger Grätsche zu stoppen. Gündo­gan verwan­del­te sicher und behielt mit dem siebten verwan­del­ten Elfme­ter im siebten Versuch seine 100-Prozent-Quote im Nationaltrikot.

Das 1:0 gab dem deutschen Team zunächst noch Sicher­heit. Mit flexi­blem Positi­ons­wech­sel agier­te die deutsche Offen­si­ve nun dominant. Kurz vor der Pause jubel­te Sturm­spit­ze Kai Havertz zunächst, bei seinem Treffer stand der Profi des FC Chelsea aber im Abseits.

Starker Musia­la

Bayern-Offen­siv­spie­ler Jamal Musia­la, nun viert­jüngs­ter DFB-Spieler bei einer WM, bewies mehrfach seine Extra­klas­se. Mit einem Solo im Straf­raum tanzte der 19-Jähri­ge gleich fünf Japaner aus, verpass­te aber die Krönung: Sein Schuss strich über das Tor (52.). Sein Münch­ner Teamkol­le­ge Serge Gnabry war hinge­gen nur selten zu sehen. Defen­siv erlaub­te sich vor allem Dortmunds Nico Schlot­ter­beck immer wieder Wackler und war dem WM-Niveau zunächst nicht gewachsen.

Das Spiel wurde offener, Japan wechsel­te offen­siv, brach­te unter anderem Doan sowie Asano und setzte nun auf eine Dreier­ket­te. Mit seiner Kunst am Ball leite­te Musia­la eine weite­re Großchan­ce ein, Gündo­gan traf jedoch nur den Außen­pfos­ten. Leon Goretz­ka und Jonas Hofmann anstel­le von Gündo­gan und Müller sollten für Frische sorgen. Der Gladba­cher Hofmann hatte direkt die Riesen­chan­ce zum 2:0, auch gegen Gnabry rette­te jedoch der japani­sche Keeper (70.).

Die Chancen­ver­wer­tung blieb der Kritik­punkt im deutschen Spiel — und dieser Wucher rächte sich: Mit einer Riesen­pa­ra­de rette­te Neuer zunächst noch gegen Junya Ito (73.). Wenig später war der Bayern-Keeper jedoch geschla­gen: Eine schar­fe Herein­ga­be konnte Neuer nur nach vorne klatschen lassen, der Freibur­ger Doan nutzte dies eiskalt und belohn­te die Japaner für ihre Drangphase.

Das deutsche Team war geschockt. Schlot­ter­beck stand nach langem Freistoß weit von Asano entfernt, agier­te zu zaghaft und konnte den Bochu­mer beim zweiten Gegen­tref­fer nicht stören. Ein letzter Versuch von Goretz­ka ging daneben — die nächs­te Auftakt-Schmach war perfekt.

Von Klaus Bergmann, Arne Richter, Patrick Reichardt und Flori­an Lütti­cke, dpa