STUTTGART (dpa/lsw) — Für länge­re Akw-Laufzei­ten, aber gegen Frack­ing: Das Land müsse sich dringend für eine Energie­kri­se im Winter wappnen, fordert der Chef der Südwest-CDU. Und schlägt ein Tausch­ge­schäft mit dem Nachbarn vor.

Baden-Württem­bergs Innen­mi­nis­ter Thomas Strobl hält länge­re Laufzei­ten der Atomkraft­wer­ke wegen der Energie­kri­se für unabding­bar und die Argumen­te dagegen für vorge­scho­ben. Der CDU-Landes­chef sagte der Deutschen Presse-Agentur in Stutt­gart: «Es hat mir nie einge­leuch­tet, dass in der höchs­ten Not, mitten im Winter, Neckar­west­heim II vom Netz genom­men werden soll, obwohl es weiter­lau­fen und Strom erzeu­gen und uns damit helfen könnte, durch den Winter zu kommen.» Es gehe im Südwes­ten darum, Neckar­west­heim II einige Wochen oder allen­falls wenige Monate weiter­lau­fen zu lassen. «Es geht ausdrück­lich nicht um einen Wieder­ein­stieg in die Kernener­gie», stelle Strobl klar.

Strobl mahnt Habeck: Keine ideolo­gi­sche Entscheidung

Der CDU-Mann warnte Bundes­wirt­schafts­mi­nis­ter Robert Habeck (Grüne) davor, den Stress­test ideolo­gisch aufzu­la­den und länge­re Laufzei­ten zu verhin­dern. «Das wäre fahrläs­sig und falsch angesichts der gigan­ti­schen Heraus­for­de­run­gen, die wir im Energie­sek­tor in diesem Winter haben.» Man müsse in dieser schwie­ri­gen Lage alles pragma­tisch und ideolo­gie­frei anschau­en. «Wir hätten schon vor fünf Monaten mit dem Streck­be­trieb begin­nen können, die Leistung von Neckar­west­heim II etwas stärker zu drosseln, um dann höhere Kapazi­tä­ten über den Winter reali­sie­ren zu können. Insofern wurden fünf Monate leider vertän­delt, es waren fünf verlo­re­ne Monate.»

Kleine Retour­kut­sche gegen Kretschmann

In einem Seiten­hieb auf Minis­ter­prä­si­dent Winfried Kretsch­mann (Grüne) sagte der Vize-Regie­rungs­chef: «Es freut mich, dass ich inzwi­schen auch von den Grünen andere Überschrif­ten lese als noch vor einigen Wochen.» Im Juni hatte Kretsch­mann zu der Forde­rung der Südwest-CDU nach länge­ren Laufzei­ten gesagt: «Mit Überschrif­ten allein kommt man da nicht weiter.» Es gehe nicht so, wie die CDU sich das vorstel­le. Am Wochen­en­de hatte Grünen-Landtags­frak­ti­ons­chef Andre­as Schwarz seine Bereit­schaft erklärt, Neckar­west­heim II gegebe­nen­falls weiter­lau­fen zu lassen. Auch Kretsch­mann will das Ergeb­nis des Stress­tests akzeptieren.

Die Bundes­re­gie­rung prüft derzeit in einem Stress­test mit Blick auf den kommen­den Winter die Sicher­heit der Strom­ver­sor­gung. Auf dieser Grund­la­ge will sie darüber entschei­den, ob die drei verblie­be­nen Atomkraft­wer­ke, die eigent­lich zum Jahres­en­de abgeschal­tet werden sollen, noch etwas länger laufen sollen.

Wie wichtig ist Neckar­west­heim II für die Energieversorgung?

Strobl beklag­te, es gebe «eine Reihe wirklich dümmli­cher Argumen­te» gegen länge­re Laufzei­ten, die auch von den Grünen kommen. So sei es Unsinn zu behaup­ten, der Beitrag von Neckar­west­heim II zur Energie­ver­sor­gung sei verschwin­dend gering. «Richtig ist: Neckar­west­heim II hat im vergan­ge­nen Jahr 11,2 Milli­ar­den Kilowatt­stun­den Strom erzeugt. Das ist rechne­risch der Strom­be­darf der Hälfte der baden-württem­ber­gi­schen Haushal­te.» Selbst in einem gedros­sel­ten Betrieb sei die Leistung noch eine beacht­li­che Größenordnung.

Strobl schlägt Tausch­ge­schäft mit Frank­reich vor: Strom gegen Gas

Der CDU-Landes­chef verwies darauf, dass für viele Baden-Württem­ber­ger auch der Strom-Grund­ver­sor­gung­ta­rif um über 30 Prozent im Schnitt anstei­gen werde. Deswe­gen sei er der Meinung: «Alles, was Energie spart und alles, was sicher und günstig Energie produ­ziert, hilft.» Die franzö­si­schen Nachbarn hätten kein Verständ­nis dafür, «dass wir Kraft­wer­ke abschal­ten, die wir mögli­cher­wei­se im Winter brauchen. Die Franzo­sen hätten wegen Instand­hal­tungs­pro­ble­men bei ihren AKW «ein sehr großes Strom­pro­blem, wir haben ein Gaspro­blem». Strobl meinte deshalb: «Wir könnten mögli­cher­wei­se den Franzo­sen mit Strom helfen und die Franzo­sen helfen uns dafür im Winter mit ihrem Gas.»

Strobl sprach sich dagegen strikt gegen die Förde­rung von Erdgas durch die Frack­ing-Techno­lo­gie aus. «Frack­ing bringt uns für diesen und im Übrigen auch für den nächs­ten Winter ganz sicher gar nichts.» Zunächst müssten die recht­li­chen Voraus­set­zun­gen geschaf­fen werden und dann seien Probe­boh­run­gen nötig. Die Diskus­si­on über Frack­ing, die vor allem die FDP führe, sei absei­tig und sehr zum Nachteil Baden-Württem­bergs. «Denn die mögli­chen Gasvor­kom­men liegen vor allem im Nordos­ten des Boden­sees. Aus dem Boden­see kommt aber für vier Millio­nen Menschen das Trink­was­ser.» Strobl stell­te klar: «Der Boden­see ist absolut tabu. Hände weg vom Bodensee.»

Die Ampel und das «Tohuwa­bo­hu»

Den Umgang der Ampel-Regie­rung mit der Energie­kri­se kriti­sier­te Strobl als «Tohuwa­bo­hu». «Jeden Tag ein neuer Vorschlag, jeden Tag von jemand anderem. Das ist eine Ampel-Kakopho­nie, aber kein verläss­li­ches Krisen­ma­nage­ment und kein verläss­li­ches Regie­ren.» Längst hätte es aus seiner Sicht einen natio­na­len Energie­gip­fel geben müssen. Er forder­te die Regie­rung auf, nicht nur Gasgroß­händ­ler zu stabi­lie­ren, sondern auch für Stadt­wer­ke einen Rettungs­schirm aufzuspannen.

Der Vize-Regie­rungs­chef schwor die Bevöl­ke­rung auf einen harten Winter ein. «Es gehört zur Wahrheit, den Menschen zu sagen, dass wir unseren Konsum nicht endlos ausdeh­nen können. Ich denke auch, dass das gar kein Fehler sein muss. Die Ressour­cen auf unserer Erde, Wasser, Luft und Boden­schät­ze, sind nunmal endlich. Und deswe­gen ist es vielleicht gar kein Fehler, wenn wir sorgfäl­ti­ger und bewuss­ter damit umgehen. Mögli­cher­wei­se sind wir in diesem Winter auch ein stück­weit dazu gezwungen.»