BERLIN (dpa) — Die Energie­kri­se betrifft nicht nur den Gas‑, sondern auch den Strom­markt — und damit wirklich alle. Immer mehr Versor­ger wälzen die gestie­ge­nen Großhan­dels­prei­se jetzt auf die Verbrau­cher ab. Die Folge: Mancher­orts werden die Strom­prei­se mehr als verdoppelt.

In viele Haushal­te sind jüngst Preis­er­hö­hun­gen ihrer Strom­ver­sor­ger geflat­tert — mit teils drasti­schen Anhebun­gen. So verlangt etwa das Kölner Unter­neh­men Rhein­ener­gie ab Januar in der Grund­ver­sor­gung pro Kilowatt­stun­de rund 55 Cent — 77 Prozent mehr als zuvor.

Rhein­ener­gie ist kein Einzel­fall: «Das neue Jahr beginnt mit einer massi­ven Preis­er­hö­hungs­wel­le beim Strom», sagt der Energie­ex­per­te des Vergleichs­por­tals Verivox, Thors­ten Storck. Grund­ver­sor­ger müssten nun die höheren Markt­prei­se nach und nach an ihre Kundin­nen und Kunden weitergeben.

Rhein­ener­gie verweist denn auch auf die hohen Beschaf­fungs­kos­ten, die sich immer stärker in der langfris­ti­gen Einkaufs­stra­te­gie des Unter­neh­mens nieder­schlü­gen. «Im Vergleich zum Vorjahr sind die Preise an den Strom­bör­sen um mehr als 300 Prozent gestie­gen, in der Spitze hatten sie sich mehr als verzehn­facht. Zusätz­lich steigen auch die Netzent­gel­te», begrün­det das Unter­neh­men den Preissprung.

Als eine Haupt­ur­sa­che für die gestie­ge­nen Strom­prei­se gilt der extrem gestie­ge­ne Gaspreis infol­ge des russi­schen Angriffs­kriegs gegen die Ukrai­ne. Im Börsen­groß­han­del bestimmt die inzwi­schen teure Strom­erzeu­gung durch Gaskraft­wer­ke oft den Strom­preis für alle anderen Erzeugungsarten.

Dem Vergleichs­por­tal Check24 sind schon mehr als 580 Fälle von Strom­preis­er­hö­hun­gen in der Grund­ver­sor­gung zum Jahres­wech­sel bekannt gewor­den. «Davon sind rund 7,3 Millio­nen Haushal­te betrof­fen», berich­tet das Unter­neh­men. Die Erhöhun­gen betrü­gen im Schnitt 60,5 Prozent. Verivox kommt wegen einer anderen Daten­grund­la­ge auf ein durch­schnitt­li­ches Plus von 54 Prozent.

«Die Strom­preis­er­hö­hun­gen zum Jahres­wech­sel fallen teils drastisch aus», sagt auch der Energie­ex­per­te der Verbrau­cher­zen­tra­le Nordrhein-Westfa­len, Udo Siever­ding. «Leider sind die Neukun­den­ta­ri­fe über die Vermitt­lungs­por­ta­le noch höher, so dass ein Anbie­ter­wech­sel in den meisten Tarif­ge­bie­ten keine Erspar­nis bringt.» Dies dürfte sich erst im Laufe der nächs­ten Monate ändern. Kunden in der Grund­ver­sor­gung hätten momen­tan daher keine Wahl.

«Kunden außer­halb der Grund­ver­sor­gung sollten bei Preis­er­hö­hun­gen sogar in Erwägung ziehen, vom Sonder­kün­di­gungs­recht Gebrauch zu machen und sich in die Grund­ver­sor­gung fallen zu lassen», rät der Verbrau­cher­schüt­zer. Der Grund­ver­sor­gungs­ta­rif galt früher als eher teurer Tarif. Mancher­orts liegt er schon jetzt unter­halb von Sonder­ta­ri­fen anderer Anbieter.

Die Preis­er­hö­hun­gen zum Jahres­be­ginn fallen bundes­weit sehr unter­schied­lich aus. So erhöhen beispiels­wei­se die Stadt­wer­ke in Potsdam (Branden­burg) die Preise um rund 22 Prozent auf 46,5 Cent je Kilowatt­stun­de. Bei MVV Energie in Mannheim (Baden-Württem­berg) sind in der Grund­ver­sor­gung ab Januar knapp 45 Cent fällig — statt bisher 27 Cent. Der ostdeut­sche Energie­ver­sor­ger EnviaM (Chemnitz, Sachsen) verlangt künftig 48,1 Cent, 20,3 Cent mehr als bisher. Neben Köln fällt auch in München die Erhöhung saftig aus: In der Grund­ver­sor­gung der Stadt­wer­ke kostet die Kilowatt­stun­de ab Neujahr 61,9 Cent. Bisher waren es 25 Cent.

Die deutli­chen Erhöhun­gen zum Jahres­wech­sel sind nicht die ersten in der jünge­ren Vergan­gen­heit: Nach Berech­nun­gen von Check24 zahlte ein Muster­haus­halt mit einem Jahres­ver­brauch von 5000 Kilowatt­stun­den (kWh) im Novem­ber 2020 im Schnitt 29,4 Cent pro kWh. Ein Jahr später waren es 31,6 Cent. Derzeit (Novem­ber 2022) liegt der Durch­schnitt bei 42,7 Cent.

Die Belas­tun­gen durch die hohen Strom­prei­se dämpfen soll die Strom­preis­brem­se, die am Freitag vom Bundes­ka­bi­nett beschlos­sen wurde. Dabei soll bei Haushal­ten und kleine­ren Unter­neh­men für 80 Prozent des Vorjah­res­ver­brauchs der Preis gedeckelt werden, und zwar auf 40 Cent je Kilowatt­stun­de. Verbraucht der Kunde mehr, zahlt er den norma­len Vertrags­preis. Dies soll einen Sparan­reiz geben. Die Versor­ger sollen die Strom­preis­brem­se ab März in den Abschlä­gen berück­sich­ti­gen. Rückwir­kend soll die Bremse dann auch für Januar und Febru­ar gelten. Der Gesetz­ent­wurf geht nun in die parla­men­ta­ri­sche Beratung.

Verbrau­cher­schüt­zer Siever­ding befürch­tet auch Missbrauch. «Wir schlie­ßen nicht aus, dass das ein oder andere Unter­neh­men die Preis­brem­sen auch nutzt, um mehr zu erhöhen als unbedingt nötig.» Zwar gebe es das Missver­brauchs­ver­bot im Geset­zes­ent­wurf. «Aber wer soll das ernst­haft überprü­fen? Und außer­dem konnten die Anbie­ter ja nun schon zum Januar erhöhen, bevor das Gesetz in Kraft tritt.»

Und wie geht es mit den Strom­prei­sen weiter? Der Strom­markt-Exper­te Mirko Schloss­ar­c­zyk vom Beratungs­un­ter­neh­men Enervis geht nicht davon aus, dass die Strom­prei­se für Haushal­te in den kommen­den Jahren wieder auf das Niveau vor dem Ukrai­ne-Krieg sinken werden. Er rechnet damit, dass die Verbrau­cher­prei­se 2023 und 2024 im Schnitt deutlich über 40 Cent je Kilowatt­stun­de brutto betra­gen werden. Auch in den Jahren danach würden 40 Cent wohl nicht unter­schrit­ten, verein­zelt seien sogar 50 Cent möglich, sagte er der Deutschen Presse-Agentur dpa.

«Wir sehen auch langfris­tig an den Energie­han­dels­märk­ten ein konstant hohes Preis­ni­veau.» Zwar könnten die Großhan­dels-Strom­prei­se infol­ge eines perspek­ti­visch sinken­den Gaspreis­ni­veaus und dem verstärk­ten Ausbau erneu­er­ba­rer Energien künftig auch wieder deutli­cher zurück­ge­hen. Den spürbar größe­ren Anteil am Endkun­den­preis hätten aller­dings Abgaben, Umlagen, Entgel­te und Steuern. «32 Cent in den kommen­den Jahren werden wir allein wegen des derzeit vergleichs­wei­se hohen Großhan­dels­strom­preis­ni­veaus und bereits angekün­dig­ter Erhöhun­gen der Netzent­gel­te nicht mehr sehen.»

Von Helge Toben, dpa