Schüler in Baden-Württem­berg sollten mehr über das Thema sexuel­le Vielfalt sprechen. Das Vorha­ben der Landes­re­gie­rung hatte 2015/16 hefti­ge Protes­te ausge­löst. Nun sind die umstrit­te­nen Bildungs­plä­ne in geänder­ter Fassung in Kraft. Aber nicht alle sind zufrieden.

Der Lesben- und Schwu­len­ver­band (LSVD), die Bildungs­ge­werk­schaft GEW in Baden-Württem­berg und die Grünen im Landtag fordern Studi­en zum Thema sexuel­le Vielfalt an Schulen. Gut fünf Jahre nach den Protes­ten gegen eine Bildungs­plan­re­form und der Einfüh­rung der sogenann­ten Leitper­spek­ti­ve «Bildung für Toleranz und Akzep­tanz von Vielfalt», die an allge­mein­bil­den­den Schulen für alle Fächer gelten soll, sehen sie große Defizi­te bei der Umsetzung.

Für Lehrer gebe es kaum Hilfen, kriti­sier­te die GEW. Das Thema habe auch bei den Fortbil­dun­gen zur Einfüh­rung der Bildungs­plä­ne keine Rolle gespielt. Daher sei umgehend eine fundier­te Evalua­ti­on wichtig. Nicht akzep­ta­bel sei, dass weder in einem Leitfa­den Demokra­tie­bil­dung noch in einer Broschü­re zur Gewalt- und Mobbing­prä­ven­ti­on Themen zu Homo‑, Bi‑, Trans- und Inter­se­xu­el­len sowie Trans­gen­der und Queeren (LSBTTIQ) Erwäh­nung fänden. «Dies ist vor dem Hinter­grund der eindeu­ti­gen Forschungs­be­fun­de, dass sexuel­le und geschlecht­li­che Identi­tät ein wesent­li­cher Diskri­mi­nie­rungs­grund an Schulen sei, nicht nachvoll­zieh­bar», beklagt die Gewerkschaft.

«Schwu­le Sau darf nicht länger eines der am meisten benutz­ten Schimpf­wör­tern auf deutschen Schul­hö­fen sein», sagte GEW-Landes­chefin Monika Stein. Um das Thema kompe­tent behan­deln zu können, bräuch­ten Lehrer dringend Schulun­gen, Materia­li­en, Beispiel-Curri­cu­la und Medien­lis­ten sowie Koope­ra­tio­nen mit außer­schu­li­schen Projekten.

Die Grünen-Abgeord­ne­te Brigit­te Lösch hält eine Studie für sinnvoll, die die Situa­ti­on von Jugend­li­chen an Schulen unter­sucht. «Denn wo fundier­te Infor­ma­tio­nen vorlie­gen, können wir gezielt handeln», sagte die Spreche­rin der Frakti­on für Belan­ge von LSBTTIQ und Vorsit­zen­de des Bildungs­aus­schus­ses. Schul­psy­cho­lo­gen und Beratungs­leh­rer bräuch­ten dringend eine Handrei­chung zum Umgang mit LSBTTIQ. «Das Projekt lag im Kultus­mi­nis­te­ri­um jahre­lang auf Eis. Das zeigt doch, welch gerin­gen Stellen­wert das Thema für die Kultus­mi­nis­te­rin hat.»

Es sei wichtig, LSBTTIQ-Lebens­wei­sen auch in der Schule sicht­bar zu machen. «Das Gespräch darüber im Unter­richt kann klarma­chen: Ja, es gibt Menschen, die das gleiche Geschlecht lieben. Ja, es gibt Kinder, die mit einem Geschlecht aufwach­sen, in dem sie sich nicht heimisch fühlen», sagte Lösch. Das sei wichtig gegen Vorur­tei­le und Mobbing.

Nach Auskunft des Minis­te­ri­ums soll in Kürze eine Handrei­chung für Schul­psy­cho­lo­gen und Beratungs­leh­rer fertig sein. Ferner seien Schul­psy­cho­lo­gen zu sexuel­ler Vielfalt und Identi­tät fortge­bil­det worden, um auch Lehrer bei solch sensi­blen Fragen zu unter­stüt­zen. Wegen Corona sei aller­dings ein Lehrgang dazu abgesagt worden.

Als die grün-rote Vorgän­ger­re­gie­rung mit einem neuen Bildungs­plan regeln wollte, dass im Unter­richt stärker über das Thema sexuel­le Vielfalt gespro­chen wird, hatte dies 2015/16 hefti­ge Protes­te ausge­löst. Das Aktions­bünd­nis «Für Ehe und Familie — Stoppt Gender-Ideolo­gie und Sexua­li­sie­rung unserer Kinder!» rief zu «Demos für alle» auf. Gegen­de­mons­tran­ten unter­stütz­ten die Politik zur Gleich­stel­lung von Homo- und Hetero­se­xu­el­len. In den Bildungs­plä­nen heißt es inzwi­schen unter anderem, Schüler könnten sich «mit verschie­de­nen Formen von Liebe und Sexua­li­tät im Spannungs­feld von Freiheit, Verant­wor­tung und Selbst­be­stim­mung auseinandersetzen».

Kerstin Fritz­sche aus dem LSVD-Vorstand sagte: «Wir wissen überhaupt nicht, ob das umgesetzt wird.» Es gebe immer wieder Hinwei­se, dass es nicht so sei. Um das zu überprü­fen, brauche es eine Studie. «Die Vermu­tung liegt nahe, dass sich nichts verbes­sert hat», so Fritz­sche. Auch hätten Schüler und Lehrer nach wie vor Angst, sich zu outen.