Pendler und Bahnrei­sen­de müssen sich ab Ende April im Großraum Stutt­gart auf harte Zeiten einstel­len. Wegen Kabel­bau­ar­bei­ten für das neue europäi­sche Zugsi­che­rungs­sys­tem ETCS werden wichti­ge Bahnstre­cken rund um die Schwa­ben­me­tro­po­le über Wochen teilwei­se oder komplett gesperrt, wie die Deutsche Bahn (DB) am Freitag mitteil­te. In einem ersten Schritt sind Strecken nach Ulm, Tübin­gen, Aalen und Schwä­bisch Hall betrof­fen. Kritik an der kurzfris­ti­gen Ankün­di­gung des bundes­ei­ge­nen Unter­neh­mens kam von Stutt­garts Oberbür­ger­meis­ter Frank Nopper (CDU) und Landes­ver­kehrs­mi­nis­ter Winfried Hermann (Grüne).

Nopper sprach von einem «Riesen­är­ger­nis». Das sei eine ganz bitte­re Pille für uns alle, gerade auch für die Pendler und Bahnnut­zer. «Wir erwar­ten, dass die DB die Baumaß­nah­men zügig umsetzt und damit die Beein­träch­ti­gun­gen auf das geringst­mög­li­che Maß reduziert.» Verkehrs­mi­nis­ter Hermann äußer­te ebenfalls seinen Unmut über die Infor­ma­ti­ons­po­li­tik. «Wir sind von der Ankün­di­gung der DB völlig überrascht worden, schon in wenigen Wochen damit zu begin­nen, wichti­ge Zulauf­stre­cken auf Stutt­gart komplett zu sperren», monier­te er und beton­te: «Vollsper­rung heißt maxima­le Störung des Schienenverkehrs.»

In mehre­ren Etappen werden Gleise und Strecken gesperrt, wie das Unter­neh­men mitteil­te. Die Arbei­ten seien nicht im laufen­den Betrieb möglich, weil auch zahlrei­che Gleise und andere Bahnan­la­gen unter­quert werden müssten. Deshalb sollen im Bereich Bad Cannstatt/Waiblingen von 21. April bis Ende Juli und im zweiten Halbjahr 2023 im Bereich Vaihingen/Flughafen/Böblingen zeitwei­se die Verbin­dun­gen unter­bro­chen werden.

Die ersten Sperrun­gen haben laut Mittei­lung insbe­son­de­re Auswir­kun­gen auf die Remsbahn und die Murrbahn sowie auf den Bahnver­kehr von und nach Tübin­gen und Ulm. Der Bahnma­na­ger Olaf Drescher, der zugleich Stutt­gart 21 verant­wor­tet, sagte, man habe bis zuletzt mit Hochdruck alles versucht, um diese erheb­li­chen Sperrun­gen zu vermei­den. «Am Ende mussten wir zu dem Ergeb­nis kommen, dass die gravie­ren­den Eingrif­fe leider unabwend­bar sind.» Die Bahn arbei­te an geeig­ne­ten Ersatz­kon­zep­ten. Konkre­te Angaben dazu wurden — auch auf Nachfra­ge — zunächst nicht gemacht.

Nach Dreschers Angaben müssen allein in einem ersten Schritt im Bereich Waiblingen/Bad Cannstatt für die Digita­li­sie­rung rund 1200 Kilome­ter Kabel verlegt werden. Zudem sind mehr als 70 neue Kabel­que­run­gen unter Gleisen und in Bahnhö­fen zu bauen. Auch im Bereich Stutt­gart-Vaihin­gen, Flugha­fen und Böblin­gen seien Arbei­ten notwendig.

Vor diesem Hinter­grund wird es neben der bekann­ten Sperrung der Stamm­stre­cke der S‑Bahn in den Sommer­fe­ri­en zwischen Haupt­bahn­hof und Vaihin­gen zeitwei­se weite­re Unter­bre­chun­gen des Zugver­kehrs geben: Über 14 Wochen in unter­schied­li­chen Phasen zwischen dem 21. April und 29. Juli im Bereich Bad Cannstatt/Waiblingen. Der Bereich ist nach Aussa­gen von Drescher im Südwest­rund­funk für vier Wochen total gesperrt. «Das ist der größte Einschnitt. Und die anderen Sperr­pau­sen sind sind so organi­siert, dass wir eine Teilsper­rung haben. Das heißt, dort werden noch Züge verkeh­ren, aber deutlich eingeschränkt.»

Außer­dem gibt es elf Wochen nach Sperrung der Stamm­stre­cke in unter­schied­li­chen Phasen Einschrän­kun­gen auf den Strecken Rohr-Flugha­fen-Filder­stadt sowie Stutt­gart-Vaihin­gen-Böblin­gen zwischen Novem­ber und Anfang Dezem­ber, wie die Bahn weiter mitteilte.

Im Zuge des Bahnhofs­pro­jekts Stutt­gart 21 soll die Region Stutt­gart bis Ende 2025 der erste digita­li­sier­te Bahnkno­ten (DKS) in Deutsch­land werden. Vom Fahrplan­wech­sel im Dezem­ber 2025 an sollen die Züge des Fern‑, Regio­nal- und S‑Bahnverkehrs dann auf einem mit neuer Technik ausge­rüs­te­ten Netz fahren. Es ist dann mit digita­len Stell­wer­ken, dem Zugsys­tem ETCS und hochau­to­ma­ti­sier­tem Fahrbe­trieb ausgerüstet.

Da aber die Anpas­sung der Lokomo­ti­ven zum geplan­ten Start des Bahnkno­tens nicht beendet ist, müssen teilwei­se auch konven­tio­nel­le Signa­le neu gebaut werden. Das sorgt für zusätz­li­chen Aufwand. «Der Verviel­fa­chungs­ef­fekt bei der Verka­be­lung war so nicht vorher­seh­bar und ist dem Pilot­cha­rak­ter des DKS geschul­det, für den es keine Blaupau­sen gibt», sagte Drescher.

Hermann forder­te die Bahn auf, ihre Zusage einzu­hal­ten, den S21-Tiefbahn­hof Ende 2025 in Betrieb zu nehmen. Es dürfe nicht sein, dass jetzt extre­me Belas­tun­gen für die Fahrgäs­te vorge­nom­men werden und dann aus anderen Gründen die geplan­te Inbetrieb­nah­me doch noch scheitere.