KÖLN (dpa) — Fragen stellen und bei den Antwor­ten gut zuhören: Was einfach klingt, ist die hohe Kunst des Fernseh-Gesprächs. Betti­na Böttin­ger hat sie über viele Jahre verfeinert.

Betti­na Böttin­ger ist Talkshow-Modera­to­rin, aber es ist gar nicht so einfach, sie zu einem Gespräch zu treffen. Der Termin­ka­len­der ist rappel­voll, Sendung hier, Verpflich­tung dort, irgend­wann will man ja auch noch kurz Urlaub machen.

«Ich kriege vom Leben nicht genug», sagt sie, als man dann doch noch — kurz vor ihrem 65. Geburts­tag am Sonntag — zusam­men­ge­fun­den hat. Und mit Leben meint sie nicht «Party», wie sie erklärt. Sondern «das Aufneh­men von Leben, von dieser rasan­ten Entwick­lung, die auch beängs­ti­gend sein kann». «Ich setze mich nicht in meinen Garten und schaue zu, wie die Rosen blühen.»

Die Lust an Gesprächen

Böttin­ger, geboren in Düssel­dorf, ist ein Gewächs des Westdeut­schen Rundfunks (WDR). Seit den 1980ern arbei­tet sie für den Sender — vor allem als Talke­rin. Wenn am Freitag­abend in den Dritten Program­men geplau­dert wird, gehört sie mit ihrem «Kölner Treff» seit Jahren zu den belieb­tes­ten Gastge­be­rin­nen und Gastge­bern. Dabei waren die Start­be­din­gun­gen gar nicht mal so gut. Die Lust an Gesprä­chen war in Böttin­gers Eltern­haus nicht ausge­prägt. «Es wurde schon disku­tiert — aber über Politik, über Sport, über gutes Essen. Nicht über persön­li­che Belan­ge», sagt sie. Das habe sie erst im Beruf gelernt.

Zu ihrer Parade­dis­zi­plin kam sie eher durch Zufall. 1993 habe der damali­ge WDR-Inten­dant Fried­rich Nowott­ny (92) gesagt, sie solle eine gerade konzi­pier­te Talkshow überneh­men, berich­tet Böttin­ger. Daraus wurde dann «B. trifft», ein großer Erfolg. Zwei Gäste, die vorher nicht wissen, wer der andere Gast ist, sprechen über ein verbin­den­des Thema. In der ersten Folge etwa «Affini­tät zu Affen».

«Eigent­lich war das damals nicht mein Plan. Ich hatte ja eine klassi­sche Laufbahn beim WDR», sagt Böttin­ger. Vielleicht wäre sie mal Auslands­kor­re­spon­den­tin gewor­den. Oder noch mehr. «Fritz Pleit­gen sagte mir später, er habe mich eigent­lich irgend­wann als Chefre­dak­teu­rin haben wollen», so Böttin­ger. «Aber das war mit einer Talkshow nur schwer zu vereinbaren.»

Die ganz große dauer­haf­te Talkshow in der ARD moderier­te sie gleich­wohl nicht. 1996 wird zwar «B. fragt» gezeigt, aber nach wenigen Ausga­ben wieder abgesetzt. 2019 wird der «Kölner Treff» im Wechsel mit anderen Talkshows dann Teil des ARD-Formats «Talk am Diens­tag» — Böttin­ger plaudert nun doch wieder im Ersten.

Genug­tu­ung? Nun ja. «Ich fand das sehr amüsant», sagt sie. «Ich habe schon das Selbst­be­wusst­sein zu sagen, dass ich zu den besten Talke­rin­nen im Fernse­hen gehöre. Dass ich dann im fortge­schrit­te­nen Alter in der ARD lande, war schon lustig. Zumal auf diese Art: Es war einfach eine struk­tu­rel­le Maßnah­me, die nicht viel kostete.»

Erzwun­ge­nes Coming-Out

Generell kann man sagen, dass sie vor selbst­be­wuss­ten Aussa­gen und auch Auftrit­ten nicht zurück­schreckt. 1995 fragte Harald Schmidt in seiner Sendung, was Böttin­ger mit einer Ausga­be der «Emma», Eierli­kör und einer Klobril­le gemein­sam habe. Seine Antwort: Kein Mann fasse sie freiwil­lig an. Böttin­ger beschrieb die Situa­ti­on später als «erzwun­ge­nes Coming-Out». Ihr Kniff: Sie gab Schmidt in seiner eigenen Show Kontra — und verließ sie vorzeitig.

Exakt am Tag ihres Geburts­tags strahlt der WDR einen Talk mit Böttin­ger und dem Titel «Queer in 2021» aus. Als queer bezeich­nen sich nicht-hetero­se­xu­el­le Menschen bezie­hungs­wei­se Menschen, die sich nicht mit dem tradi­tio­nel­len Rollen­bild von Mann und Frau oder anderen gesell­schaft­li­chen Normen rund um Geschlecht und Sexua­li­tät identi­fi­zie­ren. Mittler­wei­le hat sie auch einen Podcast zu dem Thema.

«Es ist bekannt, dass ich mit einer Frau zusam­men lebe. Ich habe daraus nie ein Geheim­nis gemacht», sagt Böttin­ger. «Ich habe das auch immer wieder einflie­ßen lassen, weil ich denke, dass Sicht­bar­keit wichtig ist.» Auch sei ihr immer wichtig gewesen, queere und diver­se Menschen einzu­la­den. Dennoch lässt sich heraus­hö­ren, dass sich in den vergan­ge­nen Jahren auch etwas verän­dert hat.

«Ich habe früher gesagt, dass ich nicht die Vorzei­ge-Lesbe vom Dienst im Fernse­hen sein will. Man muss ja immer aufpas­sen, dass man nicht in eine Schub­la­de gesteckt wird», sagt Böttin­ger. «Aber jetzt, da ich die “6” schon länger im Alter habe, muss ich sagen, dass ich keine Angst mehr vor Schub­la­den habe.»

Von Jonas-Erik Schmidt, dpa