CAMBRIDGE/BIRMINGHAM (dpa) — Wissen­schaft­ler warnen eindring­lich davor, die Gefahr eines massi­ven Vulkan­aus­bruchs noch immer sträf­lich zu vernach­läs­si­gen. Das könnte womög­lich drasti­sche Folgen haben.

Ein massi­ver Vulkan­aus­bruch könnte die Welt in eine Krise von ähnli­chem finan­zi­el­lem Ausmaß stürzen wie die Corona-Pande­mie. Davor warnen Wissen­schaft­ler des Centre for the Study of Existen­ti­al Risk (CSER) an der Univer­si­tät Cambridge und von der Uni Birmingham.

In einem Paper, das die Forscher im Fachma­ga­zin «Nature» veröf­fent­lich­ten, mahnen sie eindring­lich, die Gefahr ernst zu nehmen und mehr Geld in die Beobach­tung von Vulka­nen und die Vorbe­rei­tung auf den Ernst­fall zu stecken. Die Welt sei «bedau­erns­wert unvor­be­rei­tet» für einen massi­ven Vulkan­aus­bruch und die wahrschein­li­chen Folgen für globa­le Liefer­ket­ten, Klima und Nahrungs­mit­tel, heißt es darin.

Den Wissen­schaft­lern zufol­ge liegt die Wahrschein­lich­keit für einen Ausbruch der Stärke 7 oder größer in 100 Jahren bei einem Sechs­tel. Die Analy­se von Schwe­fel­kon­zen­tra­tio­nen in Eisbohr­ker­nen ergab demnach, dass solche Ausbrü­che statis­tisch gesehen alle 625 Jahre auftreten.

Extre­me Klima­ver­än­de­run­gen möglich

Eruptio­nen dieses Ausma­ßes hätten in der Vergan­gen­heit abrup­te Klima­ver­än­de­run­gen und den Kollaps ganzer Zivili­sa­tio­nen ausge­löst, warnte die Risiko-Exper­tin Lara Mani vom CSER einer Mittei­lung zufol­ge. Sie vergleicht die klima­ti­schen Folgen eines massi­ven Vulkan­aus­bruchs mit dem Einschlag eines Astero­iden von einem Kilome­ter Durch­mes­ser auf der Erde.

Obwohl das kombi­nier­te Risiko einer Astero­iden- oder Kometen­kol­li­si­on mit der Erde nur ein Hunderts­tel der eines massi­ven Vulkan­aus­bruchs betra­ge, werde sehr viel mehr Geld in die Beobach­tung von Astero­iden gesteckt als in die Erfor­schung von Vulka­nen, bemän­geln die Forscher. «Das muss sich dringend ändern. Wir unter­schät­zen das Risiko für unsere Gesell­schaf­ten durch Vulka­ne massiv», sagte Mani.

Als Weckruf sollte den Forschern zufol­ge der Ausbruch auf der Südsee­insel Tonga im Januar dieses Jahres dienen. Hätte sie länger angedau­ert, mehr Asche und Gas emittiert oder in einer Region mit mehr kriti­scher Infra­struk­tur statt­ge­fun­den, wie dem Mittel­meer, wären die Folgen wohl verhee­rend gewesen, so die Wissenschaftler.

Hungers­nö­te und Epide­mien als Folge

Der letzte Ausbruch der Stärke 7 ereig­ne­te sich im Jahr 1815 in Indone­si­en und hatte drama­ti­sche klima­ti­sche Folgen, die auch in Europa zu spüren waren und zu Hungers­nö­ten, gewalt­sa­men Aufstän­den und Epide­mien führten. Das auf diesen Ausbruch des Vulkans Tambo­ra folgen­de Jahr 1816 wird auch als «Jahr ohne Sommer» bezeich­net. «Wir leben jetzt in einer Welt mit der achtfa­chen Bevöl­ke­rung und dem vierzig­fa­chen Handel von damals. Unsere komple­xen Netzwer­ke könnten uns noch empfind­li­cher machen für die Erschüt­te­run­gen eines großen Ausbruchs», sagte Co-Autor Mike Cassidy und Vulka­no­lo­ge von der Univer­si­tät Birmingham.

Abhil­fe erhof­fen sich die Exper­ten von einer besse­ren Überwa­chung vulka­ni­scher Aktivi­tät und der Erfor­schung von Metho­den, um Ausbrü­che und ihre Folgen abzumil­dern. Beispiels­wei­se fordern sie einen Satel­li­ten, der nur für die Überwa­chung vulka­ni­scher Aktivi­tä­ten bestimmt ist.

Die Forscher warnen, es könne noch Dutzen­de gefähr­li­che Vulka­ne geben, von denen die Mensch­heit nichts wisse, beson­ders in bisher von der Wissen­schaft vernach­läs­sig­ten Regio­nen wie Südost­asi­en. Bei weniger als einem Drittel der Vulkan­aus­brü­che seit 1950 seien Seismo­me­ter zur Erfas­sung der Boden­schwin­gun­gen in der Nähe gewesen und wieder­um nur ein Drittel der erfass­ten Daten sei bislang in eine globa­le Daten­bank eingeflossen.

Zudem mahnen sie mehr Forschung in Geo-Enginee­ring-Metho­den an, um beispiels­wei­se von Vulka­nen ausge­sto­ße­nen Aeroso­len etwas entge­gen­zu­set­zen oder Magma-Kammern unter aktiven Vulka­nen zu beein­flus­sen. Das Risiko für einen massi­ven Ausbruchs, der die globa­le Gesell­schaft zerstö­re, sei erheb­lich, sagte Mani und fügte hinzu, der aktuel­le Mangel an Inves­ti­tio­nen sei «einfach verantwortungslos».

Von Chris­toph Meyer, dpa