TUTTLINGEN — In über mehr als 40 Jahren widmete sich der promovierte Veterinärmediziner Karl Schwab den Rechten der Tiere. So stand sein Engagement stets unter dem verfassungsrechtlichen Ziel, dass Tiere als Mitgeschöpfe des Menschen zu achten sind. Zum Ende seiner beruflichen Laufbahn als Amtstierarzt des Landkreises Tuttlingen zieht er Bilanz.
Herr Dr. Schwab, Sie haben von 1976 bis 1981 Tiermedizin an der Ludwig-Maximilian-Universität München studiert, anschließend haben Sie den Doktortitel erworben. Warum wollten Sie Tierarzt werden?
Ich bin auf dem Land – in unmittelbarerer Nähe zur Landwirtschaft – aufgewachsen und hatte schon früh Kontakt zu zahlreichen Haus- und Nutztierarten. In der Schulzeit entwickelte sich darüber hinaus mein Interesse für naturwissenschaftliche Zusammenhänge. Entscheidend für meine Berufswahl war, dass der Vater eines Schulfreundes eine Großtierpraxis hatte und er mir die Möglichkeit gab, ihn zu begleiten und ihm bei seiner Arbeit über die Schulter zu schauen. Daraus entwickelte sich schlussendlich mein Berufswunsch Tierarzt zu werden.
Von 1983 bis 1986 haben Sie als Tierarzt praktiziert, sind dann aber in den tierärztlichen Staatsdienst gewechselt. Was hat Sie an der amtstierärztlichen Tätigkeit gereizt?
Ich denke, dass die allermeisten angehenden Tierärzte das Ziel verfolgen später als Tierarzt zu praktizieren. Zwar bekommt man durch das Studium tiefergehende Informationen und Einblicke über die vielfältigen Möglichkeiten, doch für mich persönlich war immer klar, dass ich zunächst in der tierärztlichen Praxis Erfahrungen sammeln wollte. Dies war mir in einer Großtierpraxis für Rinder, Schweine und Pferde in Bayern möglich. In dieser Praxis behandelte man außerdem auch Kleintiere, so dass ich mir einen guten Eindruck verschaffen konnte. Für meinen späteren Wechsel in die Veterinärverwaltung Baden-Württemberg haben sich diese hinzugewonnen praktischen Erfahrungen als unverzichtbar erwiesen. Ich persönlich bin der Auffassung, dass Praxiskenntnisse unerlässlich sind, um als Amtstierarzt den Gesundheitszustand von Tieren, die Notwendigkeit von Behandlungen oder auch Haltungsbedingungen beurteilen zu können. Im vielfältigen Aufgabenspektrum des Amtstierarztes habe ich meine Berufung und nicht zuletzt auch meine Erfüllung gefunden. Besonders gereizt hat mich immer, veterinärmedizinische Fachkenntnisse und Verwaltungsaufgaben in Einklang zu bringen.
Unter anderem wurden Sie 1989 an das Haupt- und Landgestüt Marbach abgeordnet. Welche Aufgaben haben Sie hier übernommen?
Zunächst absolvierte ich den Tierärztlichen Staatskurs. Diese Prüfung besteht aus einem schriftlichen und einem mündlichen Teil und es werden die Fachgebiete Lebensmittel, Tiergesundheit, Tierschutz, Tierarzneimittel und Verwaltung geprüft. Während der Abfohlsaison konnte ich den Gestütstierarzt bei der Betreuung der Stuten und der Fohlen sowie bei der Behandlung der Gestütspferde unterstützen. Dies war eine besondere Chance, mich im Bereich der Pferdemedizin und Pferdezucht weiter zu qualifizieren.
In über 40 Jahren haben Sie in verschiedenen Funktionen, zum Beispiel als praktizierender Tierarzt, Amtstierarzt, Veterinärdirektor, Vorstandsmitglied der Landestierärztekammer, das Thema Tierschutz im Wandel der Zeit erlebt. Welche, aus Ihrer Sicht, wesentlichen und wichtigen Änderungen hat es im Sinne des Tierschutzes gegeben?
Ein wichtiger Meilenstein wurde in den 1980er Jahren gelegt, als das Tierschutzgesetz Eingang in unser Grundgesetz gefunden hat und man somit den Tieren erstmals eine gesetzlich verankerte Stimme gegeben hat. Der Gesetzgeber legte fest, dass Tiere Mitgeschöpfe der Menschen sind. Konkret heißt es da, dass „aus der Verantwortung des Menschen für das Tier als Mitgeschöpf dessen Leben und Wohlbefinden zu schützen“ sind. Mit der Aufnahme des Tierschutzes als Verfassungsziel in unser Grundgesetz im Jahr 2002 hat man die Rechte der Tiere noch einmal geschärft. Zunächst war es wichtig, Begriffe und Formulierungen zu finden, die einen wesentlichen Beitrag dazu geleistet haben, das Bewusstsein der Menschen zu verändern und einen Wertewandel herbeizuführen. Zu den wichtigen Erfolgen zählt beispielsweise das Verbot zur Käfighaltung von Hühnern. Bei dieser Haltungsart war es den Tieren nicht möglich wesentliche arteigene Verhaltensweisen ausleben zu können. Somit konnten Grundbedürfnisse nicht erfüllt werden. Auch kleine Veränderungen wie Flächenanforderungen für Schweine und Kälber wirken sich positiv aus. Staatlich geschaffene Anreize und Förderungen führen ebenfalls zu einer deutlichen Verbesserung der Haltungsbedingungen. Im Gegensatz zu den alten, engen, dunklen und niedrigen Ställen verfügen die neu gebauten Milchviehställe über viel Licht, frische Luft und ausreichend Bewegungsraum für die Tiere. Hier zeigt sich deutlich, dass früher nicht alles besser war.
An welche Themen sollte man zeitnah noch ran bzw. wo ist bis heute zu wenig passiert?
Großen Handlungsbedarf sehe ich noch bei den Regelungen für Langstreckentransporte – auch aus unserer Region werden jede Woche vier Wochen alte Kälber auf eine mehrere tausende kilometerlange Reise geschickt, weil sich hierzulande die Aufzucht nicht lohnt. Nach Einschätzung tierärztlicher Sachverständiger sind diese Kälbertransporte nicht tierschutzgerecht durchzuführen, die Gerichte sehen das zum Teil anders und verpflichten die Veterinärämter, die Transporte abzufertigen. Weiteren Handlungsbedarf sehe ich bei der chirurgischen Kastration männlicher Ferkel. Was hier im Sinne eines wirksamen Tierschutzes zu leisten wäre, ist aus meiner Sicht bei Weitem nicht erfüllt. Die Ferkel dürfen inzwischen zwar nur noch mit Betäubung blutig kastriert werden, doch im Grunde wäre den Tieren die gesamte Prozedur zu ersparen, würde man die Impfung der Mastschweine gegen den Ebergeschlechtsgeruch – dies ist eine erprobte und wenig belastende Methode – seitens der Fleischwirtschaft und Politik fördern. Es ist wichtig, dass die zukünftige Generation von Amtstierärzten dranbleibt und sich weiterhin für Veränderungen stark macht. Im Bereich des Tierschutzes habe ich bei der Aus- und Weiterbildung des amtstierärztlichen Nachwuchses über viele Jahre aktiv mitgearbeitet. Die ältere Generation versucht den folgenden Generationen ja immer etwas mit auf den Weg zu geben, so dass diese weiter- und es bessermachen können.
Wie stehen Sie dazu, dass Hundehalter in Baden-Württemberg künftig einen sogenannten „Führerschein“ machen müssen? Erachten sie diesen als sinnvoll, weil künftige Hundehalter angehalten sind, sich frühzeitig mit Haltungsanforderungen, Bedürfnissen und finanziellen Belastungen auseinander zu setzen oder empfinden Sie dies als zu große Einflussnahme seitens des Gesetzgebers?
Die ausführliche Beschäftigung mit den verschiedenen Themen im Vorfeld, also bevor man sich ein Tier respektive einen Hund anschafft, ist immer sinnvoll. Ob man bei Menschen, die sich aus Langeweile oder anderen eigennützigen Gründen („Corona-Hund“, Homeoffice, Einsamkeit) ein Haustier anschaffen, zum Nach- oder Umdenken bewegt – da bin ich eher skeptisch. Es wird wie immer im Leben sein: bei den Vernünftigen fallen Informationen und Anregungen auf einen fruchtbaren Boden, bei den anderen stößt man auf wenig Gehör und Verständnis.
Tierarzt bleibt man ein Leben lang. Als Amtsleiter waren Sie jedoch nicht nur im Auftrag der Tiere unterwegs, sondern verantworteten überdies den wichtigen Bereich der Lebensmittelkontrolle. Wo lagen die Schwerpunkte Ihrer Arbeit in diesem Bereich?
Das Hauptaugenmerk in der Lebensmittelüberwachung liegt nach wie vor auf der Einhaltung der Hygienevorgaben in den verschiedenen Produktionsstufen. Mit der Etablierung betrieblicher Eigenkontrollen hat sich auch das Aufgabenfeld der Überwachung geändert. Kontrolliert wird heute, ob die Eigenkontrolle funktioniert. Wenn wir die Ergebnisse bewerten und die Plausibilität prüfen, können wir uns auf die praktische Erfahrung unserer Lebensmittelkontrolleure und die Beurteilung durch die tierärztlichen Sachverständigen im Veterinäramt stützen — diese enge Zusammenarbeit hat sich aus meiner Sicht bewährt. Ein neues Aufgabenfeld, das auch die EU priorisiert hat, ist der Kampf gegen den Lebensmittelbetrug. Hier geht es oft um Vorteile, die durch nichtzutreffende Herkunftsbezeichnungen erzielt werden. Der Verbraucher setzt heute wieder mehr auf Produkte mit regionalem Bezug und ist auch bereit, für diese Lebensmittel mehr zu bezahlen. So konnten wir nachweisen, dass ein Eiergroßhändler Konsumeier mit der Herkunft Baden-Württemberg in Umlauf brachte, tatsächlich stammten die Eier jedoch aus Nordrhein-Westfalen. Baden-Württemberger Eier erzielen hier in der Region höhere Preise und Cent-Beträge summieren sich zu ordentlichen Gewinnen. Am Schluss erging gegen den Eierhändler ein Strafbefehl in Höhe von mehreren Tausend Euro wegen irreführender Angaben. Möglich wurde dieser “Erfolg” durch ein abgestimmtes Vorgehen verschiedener Lebensmittelüberwachungsbehörden, die vergleichende Probenahme im Handel und direkt in Erzeugerbetrieben durchführten und die anschließenden aufwendigen Untersuchungen im Chemischen und Veterinäruntersuchungsamt Freiburg veranlassten. Dort wurde schließlich der Nachweis über die betrügerische Kennzeichnung der Lebensmittel erbracht. Dies ist ein Beispiel, wie aktuelle Entwicklungen auch neue spannende Aufgaben mit sich bringen.
Abschließend: Haben Sie selbst Tiere und wenn ja, welche? Was bedeutet für Sie das Zusammensein mit Tieren?
Wir hatten 15 Jahre lang einen Rauhaardackel als Familienhund. Vor einigen Jahren mussten wir ihn einschläfern lassen. Für meine Frau und mich gehören Tiere, in unserem Fall Hunde, zu unserem Alltag dazu. Ein Hund bereichert unser Leben. Mit meinem Ruhestand ist es auch schon konkreter geworden: wir werden uns im kommenden Jahr wieder einen Hund anschaffen.