STUTTGART (dpa/lsw) — Manche Tierhei­me führen schon Warte­lis­ten: Viele Tierhal­ter sind überfor­dert mit ihren Vierbei­nern oder mit exoti­schen Tieren, die sie während der Pande­mie erwor­ben haben. Die Futter­kos­ten steigen, viele anderen Preise auch. Nun schlägt der Tierschutz­bund Alarm.

Der Deutsche Tierschutz­bund befürch­tet eine Schlie­ßung von bundes­weit jedem vierten Tierheim. «Ein Viertel wackelt, weil so viele Proble­me zusam­men­kom­men», sagt der Präsi­dent des Verban­des, Thomas Schröder.

Die Situa­ti­on sei aus mehre­ren Gründen katastro­phal. So sehe die neue Gebüh­ren­ord­nung für Veteri­nä­re zum Teil eine Verdopp­lung der Honora­re vor, die nicht nur die Tierhei­me in Bedräng­nis bringe, sondern auch Halter, die wegen unbezahl­ba­rer Behand­lungs­kos­ten ihre langjäh­ri­gen Gefähr­ten schwe­ren Herzens im Tierheim abgeben würden. «Das hat uns kalt erwischt», sagte Schröder.

Überdies kommen die Tierhei­me wegen steigen­der Energie- und Perso­nal­kos­ten in die Bredouil­le. Schrö­der fordert Bund und Kommu­nen auf, die Finan­zie­rung der Häuser zu verbes­sern. 380 Millio­nen Euro einma­lig reich­ten aus, um sie auf Vorder­mann zu bringen. Der Tierschutz­bund vertritt die Inter­es­sen von 540 Mitglieds­hei­men in Deutschland.

Verbands­chef Schrö­der wirft an diesem Samstag gemein­sam mit Bundes­land­wirt­schafts­mi­nis­ter Cem Özdemir (Grüne) in einem Stutt­gar­ter Tierheim einen Blick auf die tägli­che Praxis. Die baden-württem­ber­gi­sche Landes­tier­schutz­be­auf­trag­te Julia Stuben­bord teilt Schrö­ders Diagno­se: «Die Tierhei­me stehen unter Druck.»

Neben dem höheren Mindest­lohn schla­gen die gestie­ge­nen Energie­kos­ten massiv zu Buche. Schrö­der erklär­te, die meisten Heime seien alt und energe­tisch nicht auf dem neues­ten Stand — mancher­orts hätten sich die Energie­kos­ten verfünf­facht. Dabei sei der Wärme­be­darf groß: Verletz­te Igel und Eichhörn­chen dürften nicht ausküh­len. Beson­ders viel Energie verschlin­gen die Terra­ri­en für Warane, Schlan­gen, Spinnen und Klein­kro­ko­di­le. Schrö­der rechnet mit einer Abgabe­flut von kostspie­li­gen Reptilien.

«Die in der Corona­kri­se spontan erwor­be­nen Tiere sind teils schon wieder im Tierheim gelan­det, und die steigen­den Kosten halten mögli­che Halter von der Anschaf­fung ab», sagte Stuben­bord. Zudem seien die abgesto­ße­nen Tiere oft unerzo­gen; Hunde seien Leinen und Gehor­sam nicht gewöhnt oder aggres­siv zu Mensch und Tier. Verhal­tens­ge­stör­te Vierbei­ner hätten aber wenig Chancen auf eine Vermitt­lung an neue Halter. Das Training mit ihnen bedeu­te für die Mitar­bei­ter einen enormen Aufwand, sagte Schröder.

Abhil­fe könne nur die Politik schaf­fen. Seit Jahren verwei­ger­ten die Kommu­nen mehr Mittel, weil sie die abgege­be­nen Tiere nicht als Fundtie­re und damit förde­rungs­wür­dig anerken­nen würden. Das kann der Tierschüt­zer nicht nachvoll­zie­hen. «Jedes Tier ist ein Fundtier, denn nähmen wir es nicht auf, wäre es ein Fundtier.»

Die Finan­zie­rung der Tierhei­me sei in jeder Kommu­nen anders: So gebe es Städte mit einer tierar­ten­schar­fen Abrech­nung, anders­wo an der Einwoh­ner­zahl orien­tier­te Pauscha­len oder einen Erlass der Pacht städti­scher Flächen. «Wir wollen eine kosten­de­cken­de einheit­li­che Finan­zie­rung», verlang­te Schrö­der und fügte hinzu: «Wenn es keine Tierhei­me mehr gibt, fällt die Aufga­be ohnehin an die Kommu­nen — töten können wir die Tiere ja nicht.»

Weite­re Punkte auf seinem Wunsch­zet­tel sind ein Gebot für eine Kastra­ti­on von streu­nen­den Katzen, ein Verbot für den Online-Handel mit Tieren sowie eine Positiv­lis­te mit Tieren, die privat gehal­ten werden dürfen. «In Deutsch­land darf ich eine sechs Meter lange Schlan­ge im Vorgar­ten halten», kriti­siert er.

Um nötige Inves­ti­tio­nen vorzu­neh­men und den Winter zu überste­hen, forder­te Schrö­der für die Tierhei­me 160 Millio­nen Euro aus der Hunde­steu­er und ebenso viel aus dem 200 Milli­ar­den Euro Entlas­tungs­pa­ket der Bundesregierung.

Das Minis­te­ri­um für den Ländli­chen Raum in Stutt­gart appel­lier­te an poten­zi­el­le Tierhal­ter, sich die Verant­wor­tung für ein Tier bereits vor der Anschaf­fung bewusst zu machen. «Ein Haustier aus seinem vertrau­ten Umfeld heraus zu nehmen und dieses ins Tierheim abzuschie­ben, ist in jedem Fall eine enorme Belas­tung für das betrof­fe­ne Tier und die Tierhei­me», meinte Ressort-Chef Peter Hauk (CDU). Die Landes­re­gie­rung stellt für die Sanie­rung von über 70 bestehen­den Tierhei­men und den Bau neuer jährlich 500.000 Euro bereit. Seit dem Start des Program­mes im Jahr 2010 wurden über 80 Vorha­ben mit mehr als 4,5 Millio­nen Euro unterstützt.

Stuben­bord schlägt in einem ersten Schritt eine Energie­pau­scha­le vor, damit zumin­dest die Heizkos­ten gedeckt werden könnten. Ansons­ten drohe die Schlie­ßung kleiner spenden­fi­nan­zier­ter Heime. Aber jedes werde gebraucht, um die Ordnung aufrecht zu erhal­ten und streu­nen­de Katzen und Hunde­ru­del zu vermeiden.