BERLIN (dpa) — Kann die Ukrai­ne den Krieg womög­lich gewin­nen? Ihre Erfol­ge auf dem Schlacht­feld beflü­geln in Deutsch­land die Fanta­sie. Der russi­sche Botschaf­ter spricht derweil von einer «roten Linie».

Die Erfol­ge der Ukrai­ne bei der Zurück­schla­gung der russi­schen Invasi­ons­trup­pen lassen in Deutsch­land den Ruf nach mehr Waffen für das angegrif­fe­ne Land wieder lauter werden. In der Koali­ti­on dringen vor allem Grüne und FDP auf die Liefe­rung schwe­rer Waffen.

«Alle in der Regie­rung wissen indes, dass noch mehr möglich wäre», sagte Grünen-Chef Omid Nouri­pour der «Augsbur­ger Allge­mei­nen». «Da sollte nicht nur im Ringtausch, sondern wo möglich auch direkt aus den Bestän­den von Bundes­wehr und Indus­trie gelie­fert werden.»

Beim Ringtausch rüstet Deutsch­land osteu­ro­päi­sche Nato-Partner mit Leopard-Kampf­pan­zern und Schüt­zen­pan­zern Marder aus, die dafür ältere Panzer sowje­ti­scher Bauart an die Ukrai­ne abgeben.

Strack-Zimmer­mann mahnt Scholz und Lambrecht

Die Vorsit­zen­de des Vertei­di­gungs­aus­schus­ses, Marie-Agnes Strack-Zimmer­mann, appel­lier­te an Bundes­kanz­ler Olaf Scholz und Vertei­di­gungs­mi­nis­te­rin Chris­ti­ne Lambrecht (beide SPD), ihre Zurück­hal­tung bei Kampf­pan­zer-Liefe­run­gen aus Deutsch­land an die Ukrai­ne aufzu­ge­ben. «Ich wünsch­te mir, dass der Bundes­kanz­ler seine Linie ändert. Ich wünsch­te mir, dass die Vertei­di­gungs­mi­nis­te­rin ihre Linie ändert», sagte die FDP-Politi­ke­rin am Montag im ARD-«Morgenmagazin». Erfor­der­lich sei die Liefe­rung des Schüt­zen­pan­zers Marder und auch des Kampf­pan­zers Leopard 2. «Das ist unglaub­lich wichtig und sollte sofort passie­ren», meinte Strack-Zimmerman.

Der FDP-Vertei­di­gungs­exper­te Marcus Faber forder­te die direk­te Liefe­rung von Marder-Schüt­zen­pan­zern. «Mit unseren Panzern würde die Befrei­ung schnel­ler voran­kom­men, und weniger Ukrai­ner müssten sterben», sagte er der «Bild»-Zeitung. Der Finanz­mi­nis­ter, FDP-Chef Chris­ti­an Lindner, sagte «Bild» angesichts des Etappen­siegs der Ukrai­ne: «Wir müssen jeden Tag prüfen, ob wir noch mehr tun können, um ihr in diesem Krieg beizustehen.»

Bisher hält sich vor allem Bundes­kanz­ler Scholz bei direk­ten Liefe­run­gen zurück — mit dem Hinweis darauf, dass auch die großen Nato-Partner keine Panzer direkt liefern und Deutsch­land keine Allein­gän­ge unter­neh­men will. Auch Nouri­pour sagte: «Wir müssen uns im Verbund mit unseren Alliier­ten bewegen. Das ist wichti­ger als die Debat­te um einzel­ne Waffensysteme.»

US-Botschaf­te­rin: Erwar­tun­gen an Deutsch­land sind höher

Die US-Botschaf­te­rin in Deutsch­land spricht sich aber vorsich­tig für mehr deutsche Unter­stüt­zung für Kiew aus. Sie begrü­ße und bewun­de­re, was die Deutschen für die Ukrai­ne täten, sagte Amy Gutmann am Sonntag­abend im ZDF. «Dennoch: Meine Erwar­tun­gen sind noch höher an Deutsch­land.» Deutsch­land wolle hier eine größe­re Führungs­rol­le einneh­men. «Wir hoffen und erwar­ten, dass Deutsch­land das auch erfül­len wird.» Und: «Wir müssen alles machen, wozu wir in der Lage sind», sagte sie, vermied aber auf mehre­re Nachfra­gen eine konkre­te Festle­gung, ob Deutsch­land mehr schwe­re Waffen liefern soll.

SPD-Chef Lars Kling­beil verschloss sich dem zumin­dest nicht und beton­te die Notwen­dig­keit inter­na­tio­na­ler Abstim­mung. «Natür­lich müssen wir im westli­chen Bündnis auch bewer­ten: Muss es jetzt weite­re Waffen­lie­fe­run­gen geben? Und das muss schnell passie­ren», sagte er am Sonntag in der ARD. «Das muss jetzt unter den Staats- und Regie­rungs­chefs bespro­chen werden angesichts der Forde­run­gen aus der Ukrai­ne, angesichts auch der Erfol­ge, die die Ukrai­ne gerade hat.»

Nouri­pour sagte: «Wir müssen den Bedarf der Ukrai­ne nach Fähig­kei­ten in den Mittel­punkt stellen. Gerade jetzt, bevor der Winter kommt, müssen wir die Ukrai­ne dabei unter­stüt­zen, in diesem Jahr noch so viel wie möglich von ihrem eigenen Land zu befrei­en.» Er ließ offen, ob dies etwa Leopard-Kampf­pan­zer beinhal­ten sollte. Kiew hat sowohl um Leopard‑2 gebeten als auch um Schüt­zen­pan­zer Marder, die die deutsche Rüstungs­in­dus­trie sofort liefern könnte; das Kanzler­amt hat dafür aber bisher kein grünes Licht gegeben.

Vertei­di­gungs­mi­nis­te­rin: Einsatz­be­reit­schaft fraglich

Bei Liefe­run­gen aus Bestän­den der Bundes­wehr sträubt sich Vertei­di­gungs­mi­nis­te­rin Lambrecht. Im Online­ma­ga­zin Politi­co wies sie auf die Nato-Überein­kunft zur Verstär­kung der Ostflan­ke hin, die Deutsch­land sehr ernst nehme. Aber: «Ich muss in der Lage sein, Materi­al nach Litau­en zu verle­gen. Und ich sag es noch mal: Ich habe viel Gerät auf dem Papier — aber wenn ich mir die Einsatz­be­reit­schaft anschaue, dann sieht die ganz anders aus.» Dies liege an der frühe­ren Unter­fi­nan­zie­rung der Bundes­wehr. Nato-General­se­kre­tär Jens Stolten­berg hatte es jüngst jedoch als wichti­ger einge­stuft, die Ukrai­ne zu unter­stüt­zen, als nach Plan gefüll­te Waffen­la­ger in Nato-Staaten zu haben.

Auch die Union macht wieder mehr Druck. «Die aktuel­le Entwick­lung in der Ukrai­ne zeigt, mit den nötigen Mitteln kann Putins Invasi­ons­drang erfolg­reich zurück­ge­schla­gen werden», sagte der vertei­di­gungs­po­li­ti­sche Frakti­ons­spre­cher Flori­an Hahn (CSU) den Zeitun­gen der Funke-Medien­grup­pe. «Berlin muss endlich seine Zurück­hal­tung aufge­ben und mehr Waffen liefern.» Der CDU-Außen­po­li­ti­ker Norbert Röttgen sagte «Bild»: «Dazu zählen insbe­son­de­re auch Panzer aus den Bestän­den der Bundes­wehr. Nirgend­wo sonst werden sie gegen­wär­tig zur Wieder­her­stel­lung des Friedens gebraucht.»

Russi­scher Botschaf­ter: Berlin überschrei­tet «rote Linie»

Der russi­sche Botschaf­ter in Berlin, Sergej Netscha­jew, erhebt schwe­re Vorwür­fe gegen Deutsch­land wegen der Waffen­lie­fe­run­gen zur Vertei­di­gung der Ukrai­ne. «Allein die Liefe­rung tödli­cher Waffen an das ukrai­ni­sche Regime, die nicht nur gegen russi­sche Solda­ten, sondern auch gegen die Zivil­be­völ­ke­rung im Donbass einge­setzt werden, ist eine “rote Linie”, die die deutsche Regie­rung (…) nicht hätte überschrei­ten dürfen», sagte Netscha­jew in einem am Montag erschie­ne­nen Inter­view der russi­schen Tages­zei­tung «Iswes­ti­ja». Er verwies dabei auf die «morali­sche und histo­ri­sche Verant­wor­tung Deutsch­lands für die Verbre­chen des Nazis­mus im Zweiten Weltkrieg».

Die deutsche Regie­rung habe im Zuge der Ukrai­ne-Krise die guten bilate­ra­len Bezie­hun­gen zu Russland zerstört und höhle den Versöh­nungs­pro­zess zwischen den Völkern aus. Laut Netscha­jew ist Deutsch­land eine der treiben­den Kräfte bei der Sankti­ons­po­li­tik des Westens gegen Russland. Der Botschaf­ter sprach deswe­gen Berlin eine Vermitt­ler­rol­le in dem Konflikt ab.