BERLIN (dpa) — Die hefti­gen Preis­sprün­ge an den Super­markt­kas­sen fachen die Debat­te über Steuer­ent­las­tun­gen bei Nahrungs­mit­teln an. Beson­ders im Blick stehen Produk­te wie Obst und Gemüse — nicht nur aus Kostengründen.

Das Umwelt­bun­des­amt hat eine generel­le Abschaf­fung der Mehrwert­steu­er für pflanz­li­che Lebens­mit­tel gefor­dert. «Eine stärker pflan­zen­ba­sier­te Ernäh­rung entlas­tet die Umwelt und ist obendrein gesund», sagte Präsi­dent Dirk Messner der Deutschen Presse-Agentur.

Daher sei es sinnvoll, pflanz­li­che Lebens­mit­tel komplett von der Mehrwert­steu­er zu befrei­en — zumal angesichts der stark gestie­ge­nen Preise für Obst und Gemüse. «Eine gesun­de Ernäh­rung sollte sich jede und jeder leisten können, auch bei niedri­gen Einkommen.»

Die Debat­te über Preis-Entlas­tun­gen für bestimm­te Lebens­mit­tel hat angesichts der hohen Infla­ti­on wieder Fahrt aufge­nom­men. Sozial- und Verbrau­cher­ver­bän­de forder­ten die Bundes­re­gie­rung auf, neue EU-Regeln zu nutzen und für Lebens­mit­tel wie Obst und Gemüse die Mehrwert­steu­er auf null Prozent zu setzen. Bundes­agrar­mi­nis­ter Cem Özdemir (Grüne) unter­stütz­te die Forde­run­gen. In der Ampel-Koali­ti­on stoßen sie aber verbrei­tet auf Skepsis. Verwie­sen wird auf zwei bereits auf den Weg gebrach­te Milli­ar­den­pa­ke­te mit anderen Entlastungsmaßnahmen.

Messner sagte, eine Mehrwert­steu­er­be­frei­ung für pflanz­li­che Produk­te wäre eine gute Ergän­zung dazu. «Denn sie entlas­tet auch jene Gruppen, die bisher von den Entlas­tungs­pa­ke­ten kaum profi­tiert haben, zum Beispiel Rentne­rin­nen und Rentner mit gerin­gen Einkommen.»

Umfas­sen­des Konzept vonnöten

Generell wäre es aber zu kurz gesprun­gen, eine Mehrwert­steu­er­re­form hierauf zu beschrän­ken, machte Messner deutlich. Nötig sei ein umfas­sen­des Konzept, das syste­ma­tisch umwelt­freund­li­che Produk­te entlas­te und Steuer­ver­güns­ti­gun­gen für beson­ders umwelt­be­las­ten­de Produk­te besei­ti­ge. Die EU-Mehrwert­steu­er­richt­li­nie biete dafür nun neue Chancen, die genutzt werden sollten. Das Umwelt­bun­des­amt werde dazu in Kürze Vorschlä­ge vorlegen.

Die Umwelt­schutz­or­ga­ni­sa­ti­on Green­peace sprach sich dafür aus, nicht nur Obst und Gemüse von der Mehrwert­steu­er zu befrei­en, sondern gleich­zei­tig Vergüns­ti­gun­gen für Fleisch und Milch zu strei­chen. Dadurch könne «die Bundes­re­gie­rung gleicher­ma­ßen wirkungs­voll die Menschen unter­stüt­zen, die jetzt den Druck der Infla­ti­on spüren, und zugleich die Erder­hit­zung bekämp­fen», sagte Green­peace-Exper­te Matthi­as Lambrecht den Zeitun­gen der Funke-Medien­grup­pe (Montag).

Die Mehrwert­steu­er beträgt in der Regel 19 Prozent. Ein reduzier­ter Satz von 7 Prozent subven­tio­niert Produk­te, die dem Gemein­wohl dienen — darun­ter sind auch Grund­nah­rungs­mit­tel wie Milch, Fleisch, Obst, Gemüse und Backwaren.

Neue EU-Regel zur Mehrwertsteuer

Weitge­hend unbemerkt war vor gut zwei Wochen eine Änderung der sogenann­ten EU-Mehrwert­steu­er­sys­tem­richt­li­nie in Kraft getre­ten. Der regulä­re Steuer­satz muss demnach mindes­tens bei 15 Prozent liegen, der ermäßig­te bei mindes­tens 5 Prozent. Gänzli­che Steuer­be­frei­un­gen sind nur in bestimm­ten Berei­chen möglich — und zwar seit der Änderung nun auch bei Lebens­mit­teln und anderen Gütern zum Decken der Grundbedürfnisse.

Die Indus­trie­ge­werk­schaft Bauen-Agrar-Umwelt (IG Bau) fordert aber bereits, dass sich Bundes­fi­nanz­mi­nis­ter Chris­ti­an Lindner (FDP) für eine Auswei­tung des Spiel­raums einsetzt. «Der Mehrwert­steu­er­satz für den Bau von Sozial­woh­nun­gen sollte schnellst­mög­lich auf 7 Prozent gesenkt und in einem zweiten Schritt komplett auf null Prozent reduziert werden, sobald dies EU-weit möglich ist», sagte der Bundes­vor­sit­zen­de der Gewerk­schaft, Robert Feiger, den Zeitun­gen der Funke-Medien­grup­pe (Samstag). Der sozia­le Wohnungs­bau brauche dringend einen kräfti­gen Schub. Andern­falls könne das Ziel der Bundes­re­gie­rung verfehlt werden, jährlich 100 000 Sozial­woh­nun­gen neu zu bauen.

Um Missbrauch vorzu­beu­gen, müssten Steuer­ver­güns­ti­gun­gen jedoch daran gekop­pelt werden, dass die geför­der­ten Sozial­woh­nun­gen auch auf Dauer Sozial­woh­nun­gen bleiben, forder­te Feiger: «Nach dem Prinzip: einmal Sozial­woh­nung — immer Sozial­woh­nung.» Zudem müsse der Umbau von vorhan­de­nen Gebäu­den deutlich verein­facht werden.