WASHINGTON (dpa) — Inner­halb weniger Tage zerstört das US-Militär vier Flugob­jek­te: einen mutmaß­li­chen Spiona­ge­bal­lon aus China und drei andere rätsel­haf­te Flugkör­per, über die noch nicht viel bekannt ist. Was steckt dahinter?

Das Myste­ri­um am Himmel über Nordame­ri­ka wird immer größer: Das US-Militär hat gestern ein weite­res nicht identi­fi­zier­tes Flugob­jekt abgeschos­sen. Diesmal holte ein Kampf­jet vom Typ F‑16 einen Flugkör­per über dem Huron­see im Bundes­staat Michi­gan vom Himmel, wie das US-Vertei­di­gungs­mi­nis­te­ri­um in Washing­ton mitteilte.

Das Penta­gon beton­te, noch lägen keine Infor­ma­tio­nen dazu vor, woher der Flugkör­per stamm­te und was er zum Ziel hatte. Ominö­se Flugob­jek­te über Nordame­ri­ka geben den USA und der Welt seit Tagen Rätsel auf — und sorgen zuneh­mend für Unruhe.

Der neue Abschuss

Das Nordame­ri­ka­ni­sche Luftver­tei­di­gungs­kom­man­do Norad habe das Flugob­jekt am Sonntag­mor­gen entdeckt und es visuell sowie per Radar verfolgt, erklär­te das Penta­gon. Es sei in einer Höhe von etwa sechs Kilome­tern unter­wegs gewesen. Flugbahn und Flughö­he hätten Anlass zur Sorge gegeben, dass das Objekt eine Gefahr für die zivile Luftfahrt sein könnte.

Auch poten­zi­el­le Überwa­chungs­mög­lich­kei­ten des Objekts hätten ein Risiko darge­stellt. Präsi­dent Joe Biden habe daher die Anwei­sung zum Abschuss gegeben. Die Überres­te des Flugob­jekts sollten nun gebor­gen werden, um mehr über die Hinter­grün­de zu erfahren.

Die anderen Fälle

US-Kampf­jets hatten bereits am Freitag und Samstag zwei nicht näher identi­fi­zier­te Flugob­jek­te abgeschos­sen: eines vor der Küste des US-Bundes­staats Alaska, das andere über dem Norden Kanadas. Bislang ist unklar, um was für Objek­te genau es sich handel­te, woher sie kamen und welches Ziel sie verfolg­ten. Die Bergung von Trümmer­tei­len soll auch in diesen Fällen Antwor­ten über die Hinter­grün­de geben — sie gestal­tet sich bislang aller­dings schwierig.

Eine Woche zuvor hatte die US-Luftwaf­fe vor der Küste des Bundes­staa­tes South Caroli­na einen mutmaß­lich zur Spiona­ge einge­setz­ten chine­si­schen Ballon vom Himmel geholt. Die US-Regie­rung wirft China vor, es habe mit dem Ballon Militär­ein­rich­tun­gen ausspio­nie­ren wollen. Peking sprach dagegen von einem zivilen Forschungs­bal­lon, der vom Kurs abgekom­men sei.

Dutzen­de chine­si­sche Militär­bal­lons sind nach einem Medien­be­richt in den vergan­ge­nen Jahren auch in den taiwa­ne­si­schen Luftraum einge­drun­gen — viel mehr als bisher bekannt. «Sie kommen sehr häufig, der letzte erst vor ein paar Wochen», sagte ein hoher taiwa­ni­scher Beamter nach Angaben der «Finan­cial Times». Eine andere Person sagte demnach, solche Überflü­ge habe es durch­schnitt­lich einmal im Monat gegeben.

Bisher hatte das Vertei­di­gungs­mi­nis­te­ri­um in Taipeh nur einen solchen Zwischen­fall vor einem Jahr mit einer ganzen Reihe von Ballons über dem Norden des Insel bestä­tigt. Nach Angaben des US-Militärs hat China eine ganze Flotte von Beobach­tungs­bal­lons im Einsatz. Das Überwa­chungs­pro­gramm erstre­cke sich über mehr als 40 Länder auf fünf Kontinenten.

Der Vorfall in den USA sorgte für weite­re Spannun­gen im ohnehin belas­te­ten Verhält­nis beider Länder — auch weil Washing­ton China beschul­di­gen, mit Ballons dieser Art ein großes Überwa­chungs­pro­gramm zu betrei­ben, mit dem sie mehr als 40 Länder auf fünf Konti­nen­ten ins Visier genom­men hätten.

Die Paral­le­len und die Unterschiede

Der chine­si­sche Ballon flog nach Angaben der US-Regie­rung in einer Höhe von etwa 18 Kilome­tern und damit weit über der Höhe, in dem der zivile Flugver­kehr operiert. Er hatte demnach die Größe von zwei bis drei Bussen und war mit bloßem Auge zu sehen. Die Ameri­ka­ner ordne­ten den Ballon sehr schnell China zu — und klassi­fi­zier­ten ihn als Spionagemittel.

Bei den anderen drei Flugob­jek­ten ist bis jetzt offen, wer sie auf den Weg geschickt hat und wozu. Sie waren nach offizi­el­len Angaben deutlich kleiner als der Ballon Chinas — und in niedri­ge­ren Höhen unterwegs.

Die Flugob­jek­te über Alaska und Kanada wurden in rund zwölf Kilome­tern Höhe abgeschos­sen. Der demokra­ti­sche Mehrheits­füh­rer im Senat, Chuck Schumer, sagte am Sonntag unter Berufung auf den Natio­na­len Sicher­heits­rat, derzeit gehe man davon aus, dass es sich auch um Ballons gehan­delt habe. Der Norad-Leiter Glen VanHer­ck wies das aber zurück: «Ich werde sie nicht als Ballons einstu­fen — wir nennen sie nicht ohne Grund ‘Objek­te’.»

Die Häufung an Abschüssen

VanHer­ck, der auch Befehls­ha­ber des Nördli­chen US-Komman­dos ist, sagte, seinem Wissen nach sei es zuvor noch nie vorge­kom­men, dass das US-Militär Flugob­jek­te im ameri­ka­ni­schen Luftraum abschie­ßen musste. Nun plötz­lich vier Mal inner­halb von acht Tagen.

Auf die Frage, ob sich die US-Bevöl­ke­rung nun auf eine ganze Serie weite­rer Abschüs­se einstel­len müsse, sagte der General: «Alles, was sich Nordame­ri­ka nähert, werde ich, wenn es unbekannt ist, identi­fi­zie­ren — und einschät­zen, ob es eine Bedro­hung darstellt. Wenn es eine Bedro­hung ist, schie­ße ich es ab.» Derzeit verfol­ge Norad keine weite­ren Objek­te. «Das heißt nicht, dass es nicht irgend­wann in der Zukunft weite­re geben könnte, aber im Moment sehen wir nichts.»

Aus der Penta­gon-Führung hieß es, nach dem Abschuss des chine­si­schen Ballons habe das US-Militär den ameri­ka­ni­schen Luftraum auch in großen Höhen genau­er in den Blick genom­men und Radar­tech­ni­ken verbes­sert. Das erklä­re zumin­dest teilwei­se die gehäuf­te Entde­ckung solcher Objek­te. Ob das im Umkehr­schluss heißt, dass zuvor schon viele solcher Flugkör­per über US-Terri­to­ri­um unter­wegs waren und schlicht nicht bemerkt wurden, blieb offen.

Die Theorien

Das Fehlen an belast­ba­ren Infor­ma­tio­nen zu Herkunft und Hinter­grund der Flugob­jek­te gibt Raum für Mutma­ßun­gen aller Art. In sozia­len Medien wird bereits über eine mögli­che Invasi­on von Aliens speku­liert. Auf die Frage einer Repor­te­rin, ob das US-Vertei­di­gungs­mi­nis­te­ri­um ausschlie­ßen könne, dass Außer­ir­di­sche hinter den ominö­sen Flugkör­pern steck­ten, antwor­te­te VanHer­ck: «Ich überlas­se es den Geheim­diens­ten und der Spiona­ge­ab­wehr, das heraus­zu­fin­den. Ich habe zum jetzi­gen Zeitpunkt noch nichts ausgeschlossen.»

Ob die Aussa­ge geeig­net ist, die Speku­la­tio­nen einzu­däm­men, ist fraglich. Kongress­ab­ge­ord­ne­te beider Partei­en jeden­falls fordern eindring­lich mehr Infor­ma­tio­nen zu den Vorfäl­len, um zu verhin­dern, dass sich weiter wilde Theorien verbreiten.

Von Chris­tia­ne Jacke, dpa