US-Präsi­dent Joe Biden hat angesichts des Ukrai­ne-Kriegs den Wert der Demokra­tie beschwo­ren und zugleich den Macht­ver­bleib des russi­schen Staats­chefs Wladi­mir Putins in Frage gestellt.

«Um Gottes willen, dieser Mann kann nicht an der Macht bleiben», sagte Biden am Samstag­abend in einer Rede vor histo­ri­scher Kulis­se im Innen­hof des Warschau­er Königsschloss.

Bidens Auftritt in der polni­schen Haupt­stadt markier­te den Abschluss seiner Europa-Reise, die im Zeichen des russi­schen Angriffs­kriegs gegen die Ukrai­ne stand. Russland habe die Demokra­tie «erwürgt» und versu­che dies auch anders­wo zu tun, so Biden. «Ein Dikta­tor, der ein Imperi­um wieder aufbau­en will, wird die Freiheits­lie­be eines Volkes niemals auslöschen.»

Applaus flammt immer wieder auf

Tausen­de Menschen versam­mel­ten sich am Samstag­nach­mit­tag in Warschau im und um das Königs­schloss, um Bidens Rede zu hören. Sie wurde auch vor dem Schloss übertra­gen. Immer wieder flamm­te Applaus auf. Viele Menschen hielten ukrai­ni­sche Flaggen in den Händen, einige wedel­ten auch mit der US-Flagge. Der US-Präsi­dent bezeich­ne­te Putin mehrfach als «Dikta­tor» oder «Tyrann». Erst ganz am Ende seiner Anspra­che sagte er aber den entschei­den­den Satz über Putins Macht.

Das Weiße Haus ruder­te umgehend zurück. Ein rangho­her Vertre­ter des Weißen Hauses bemüh­te sich zu betonen, dass der Präsi­dent mit seiner Äußerung nicht direkt zum Sturz Putins aufge­ru­fen habe. «Die Botschaft des Präsi­den­ten war es, dass es Putin nicht erlaubt sein darf, Macht über seine Nachbarn oder die Region zu haben. Er sprach nicht über Putins Macht in Russland oder einen Sturz der Regie­rung», sagte er weiter. Es wurde darüber speku­liert, ob Bidens Satz so zuvor im Redema­nu­skript stand oder ob der 79-Jähri­ge ihn spontan hinzu­ge­fügt hat.

Biden warnt Putin

Biden warnte Putin auch mit eindring­li­chen Worten vor einem Angriff auf das Nato-Bündnis­ge­biet. «Denken Sie nicht mal daran, gegen einen Zenti­me­ter Nato-Gebiet vorzu­ge­hen.» Die USA und ihre Nato-Partner hätten eine «heili­ge Verpflich­tung», das Bündnis­ge­biet mit der geball­ten Macht aller Mitglie­der zu vertei­di­gen. «Wir halten zu Euch», sagte der US-Präsi­dent an die Menschen in der Ukrai­ne gerich­tet. «Gebt die Hoffnung niemals auf, werdet nicht müde, lasst euch nicht entmu­ti­gen und habt keine Angst». Gleich­zei­tig schwor er die Welt auf einen langen Konflikt um die künfti­ge inter­na­tio­na­le Ordnung ein. Es gehe um eine «große Schlacht zwischen Demokra­tie und Autokratie».

Biden hat sich in Warschau nicht irgend­ei­nen Ort für seine Anspra­che ausge­sucht. Das Warschau­er Königs­schloss gilt als Symbol der im Zweiten Weltkrieg einst von Nazi-Deutsch­land großteils zerstör­ten und später wieder­auf­ge­bau­ten Stadt. Nach seiner Reise nach Brüssel war Biden am Freitag nach Polen weiter­ge­reist. Der Nachbar­staat der Ukrai­ne blickt mit großer Sorge auf Russlands Aggres­si­on. Polen trage mit Blick auf die Geflüch­te­ten aus der Ukrai­ne die Haupt­last, hieß es vor Bidens Reise aus dem Weißen Haus. Knapp 2,27 Millio­nen Menschen aus der Ukrai­ne sind bislang nach Polen einge­reist. Es gibt derzeit keine offizi­el­len Angaben dazu, wie viele von ihnen in Polen geblie­ben und wie viele bereits in andere Staaten weiter­ge­reist sind.

Besuch von Flücht­lin­gen in Stadion

Biden besuch­te vor seiner Rede das Warschau­er Natio­nal­sta­di­on, um sich einen Eindruck von dem Hilfs­ein­satz für Geflüch­te­te zu verschaf­fen und selbst mit Ukrai­nern zu sprechen. Auch hier fand er wieder deutli­che Worte für Putin und nannte ihn einen «Schläch­ter».

Zuvor standen politi­sche Gesprä­che auf Bidens Programm — etwa mit dem polni­schen Präsi­den­ten Andrzej Duda. Am Vormit­tag hatte sich Biden auch mit dem ukrai­ni­schen Außen­mi­nis­ter Dmytro Kuleba und Vertei­di­gungs­mi­nis­ter Olexij Resni­kow beraten. Diese hatten sich in Warschau mit ihren jewei­li­gen US-Amtskol­le­gen getrof­fen. Eine Teilnah­me Bidens an Gesprä­chen auf Minis­ter­ebe­ne ist ungewöhn­lich — und ließ darauf schlie­ßen, dass Biden damit eine Botschaft der Solida­ri­tät für die Ukrai­ne senden wollte.

Biden spricht Presse­frei­heit an

Vor seiner Reise nach Polen stand auch die Frage im Raum, ob Biden kriti­sche Worte für Polens Regie­rung finden wird. Zuletzt hatte die US-Regie­rung ein geplan­tes Medien­ge­setz, gegen das Präsi­dent Duda schließ­lich sein Veto einge­legt hat, mit deutli­chen Worten als Gefahr für die Medien­frei­heit einge­stuft. Biden ging nun nicht direkt in die Offen­si­ve, kam aber indirekt auf das Thema zu sprechen. In seiner Anspra­che sprach Biden über die essen­zi­el­len Prinzi­pi­en einer «freien Gesell­schaft» und nannte auch die Presse­frei­heit. An dieser Stelle seiner Rede war der Applaus im Warschau­er Königs­schloss ganz beson­ders inten­siv. «Wir alle, auch hier in Polen, müssen jeden Tag die harte Arbeit der Demokra­tie leisten. Auch in meinem Land.»

Am Samstag­abend brach Biden schließ­lich wieder zurück in die USA auf. Damit ging seine zweitä­gi­ge Reise in den Nato-Partner­staat zu Ende. Am Freitag war der US-Präsi­dent ins südost­pol­ni­sche Rzeszow gereist und hatte dort statio­nier­te US-Truppen besucht. Die Stadt liegt nur rund 90 Kilome­ter von der ukrai­ni­schen Grenze entfernt.

Von Julia Naue, Doris Heimann, Jürgen Bätz und Verena Schmitt-Roschmann