WASHINGTON (dpa) — Die Ukrai­ne versucht Partner seit Monaten zur Liefe­rung von umstrit­te­ner Streu­mu­ni­ti­on zu bewegen. Nun hat Washing­ton entschie­den. Viele Länder ächten aller­dings den Einsatz dieser Munition.

Die US-Regie­rung will der Ukrai­ne umstrit­te­ne Streu­mu­ni­ti­on liefern und vertei­digt sich gegen Kritik an diesem Schritt. US-Präsi­dent Joe Biden sprach von einer Übergangs­lö­sung und sagte, dass ihm die Entschei­dung sehr schwer­ge­fal­len sei. Sein Sicher­heits­be­ra­ter Jake Sulli­van beton­te: «Es ist eine Entschei­dung, die wir aufge­scho­ben haben.»

Die Ankün­di­gung kommt kurz vor dem Nato-Gipfel in der kommen­den Woche. Die Ukrai­ne werde als Ergeb­nis des Gipfels nicht der Nato beitre­ten, stell­te Sulli­van weiter mit Blick auf Beitritts­hoff­nun­gen des von Russland angegrif­fe­nen Landes klar.

In einem am Freitag ausge­strahl­ten Inter­view­aus­schnitt mit dem US-Sender CNN beton­te Biden, er habe über den Schritt mit Verbün­de­ten und Mitglie­dern des US-Kongres­ses gespro­chen. Die USA seien — anders als Deutsch­land — zwar keine Unter­zeich­ner des Vertrags zur Ächtung von Streu­mu­ni­ti­on, dennoch habe es eine Weile gedau­ert, bis er überzeugt gewesen sei, die Streu­mu­ni­ti­on zu liefern. Er halte dies für notwen­dig, weil die Ukrai­ne die Muniti­on im Kampf gegen Russland benötige.

Selen­skyj dankt den USA

Die Streu­mu­ni­ti­on ist Teil eines neuen Militär­hil­fe-Pakets in Höhe von 800 Millio­nen US-Dollar (rund 729 Millio­nen Euro). «Russland hat seit Beginn des Krieges Streu­mu­ni­ti­on einge­setzt, um die Ukrai­ne anzugrei­fen», beton­te Sulli­van. «Wir sind uns bewusst, dass Streu­mu­ni­ti­on das Risiko birgt, dass Zivilis­ten durch nicht explo­dier­te Muniti­on zu Schaden kommen. Deshalb haben wir die Entschei­dung so lange aufge­scho­ben, wie wir konnten.» Die Ukrai­ne habe sich zu Minen­räu­mungs­maß­nah­men verpflich­tet, um mögli­chen Schaden für die Zivil­be­völ­ke­rung zu mindern.

Der ukrai­ni­sche Staats­chef Wolodym­yr Selen­skyj dankte den USA für das Hilfs­pa­ket mit der Streu­mu­ni­ti­on. «Der Ausbau der Vertei­di­gungs­fä­hig­kei­ten der Ukrai­ne wird neue Instru­men­te für die Befrei­ung unseres Landes schaf­fen und den Frieden näher bringen», teilte Selen­skyj bei Twitter mit. Er hielt sich in Istan­bul zu Gesprä­chen mit seinem türki­schen Kolle­gen Recep Tayyip Erdogan auf. Er lobte Washing­ton «für entschei­den­de Schrit­te, um die Ukrai­ne dem Sieg über den Feind und die Demokra­tie dem Sieg über die Dikta­tur näher zu bringen».

Forde­run­gen der Ukrai­ne schon älter

Die Ukrai­ne hatte immer wieder Streu­mu­ni­ti­on gefor­dert, um die Stellun­gen russi­scher Besat­zer effek­ti­ver zu zerstö­ren. Als Streu­mu­ni­ti­on werden Raketen und Bomben bezeich­net, die in der Luft über dem Ziel bersten und viele kleine Spreng­kör­per — sogenann­te Submu­ni­ti­on — verstreu­en oder freige­ben. Streu­mu­ni­ti­on ist vor allem deswe­gen umstrit­ten, weil ein erheb­li­cher Prozent­satz ihrer Spreng­kör­per nicht detoniert, sondern als Blind­gän­ger vor Ort verbleibt und so die Bevöl­ke­rung auch nach Ende eines Gefechts noch gefähr­det. Deutsch­land ist wie mehr als 100 weite­re Staaten einem Vertrag zur Ächtung von Streu­mu­ni­ti­on beigetre­ten — dem sogenann­ten Oslo-Überein­kom­men. Die USA haben das Abkom­men ebenso wie die Ukrai­ne nicht unterzeichnet.

Sulli­van beton­te mit Blick auf eine Frage zu Deutsch­lands Haltung, dass es keine «Risse» in der Einheit der Nato gebe. «Ganz im Gegen­teil: Wir glauben, dass es ein tiefes Verständ­nis inner­halb des Bündnis­ses gibt.» Die Bundes­re­gie­rung signa­li­sier­te am Freitag Verständ­nis für die Pläne der US-Regie­rung. «Wir sind uns sicher, dass sich unsere US-Freun­de die Entschei­dung über eine Liefe­rung entspre­chen­der Muniti­on nicht leicht gemacht haben», sagte Regie­rungs­spre­cher Steffen Hebestreit.

Keine weite­ren Details bekannt

Das Penta­gon beton­te, man werde der Ukrai­ne nur Streu­mu­ni­ti­on mit niedri­ger Blind­gän­ger­ra­te liefern. Kiew habe außer­dem zugesi­chert, die Geschos­se nicht in dicht besie­del­ten städti­schen Gebie­ten einzu­set­zen und festzu­hal­ten, wo die Muniti­on zum Einsatz komme. Weite­re Details zum Zeitplan und der exakten Menge der Liefe­rung wollte das Penta­gon nicht preis­ge­ben. Die Bereit­stel­lung solle aber so erfol­gen, dass sie für die bereits angelau­fe­ne ukrai­ni­sche Gegen­of­fen­si­ve relevant sei. Die USA haben nach eigenen Angaben Hundert­tau­sen­de der Geschos­se auf Lager.

Mit Blick auf den Nato-Gipfel in Vilni­us machte das Weiße Haus deutlich, dass man eine «Politik der offenen Tür» unter­stüt­ze. Das bedeu­te, dass die Nato-Mitglie­der gemein­sam mit der Ukrai­ne über die Aufnah­me in das Bündnis entschei­den. Die Ukrai­ne müsse aber weite­re Refor­men umset­zen, bevor sie Mitglied der Nato werden könne. Der Gipfel in Vilni­us sei auf diesem Weg ein wichti­ger Meilen­stein. Diskus­sio­nen gab es inner­halb der Nato bis zuletzt noch darüber, wie genau beim Gipfel auf die Beitritts­hoff­nun­gen der Ukrai­ne einge­gan­gen werden soll.

Die Verei­nig­ten Staaten gelten als wichtigs­ter Verbün­de­ter der Ukrai­ne im Abwehr­kampf gegen die russi­sche Invasi­on. Nach Penta­gon-Angaben haben die USA seit dem Kriegs­be­ginn Ende Febru­ar 2022 militä­ri­sche Hilfe im Umfang von mehr als 40 Milli­ar­den US-Dollar für Kiew bereit­ge­stellt oder zugesagt.