LEIPZIG (dpa) — Deutsch­land will mehr für Radfah­rer tun. Doch wenn Autofah­rer Raum abgeben sollen, kommt es oft zu Konflik­ten. Auf der weltgröß­ten Radver­kehrs­kon­fe­renz in Leipzig geht es um Lösun­gen für die Zukunft.

Kurzer Radweg, große Diskus­si­on: Seit Wochen wird in Leipzig um einen grünen Fahrstrei­fen vor dem Haupt­bahn­hof gestrit­ten. Radfah­rer haben dort im April einen neuen Weg bekom­men — auf Kosten von Autospu­ren. Die Maßnah­me war Teil eines Konzepts, mit dem die Stadt unter anderem die Sicher­heit erhöhen wollte. Doch das Projekt stieß auf Wider­stand. Wirtschafts­ver­bän­de protes­tier­ten, eine Petiti­on wurden gestar­tet. Bislang hält die Stadt am Radweg fest.

Die Debat­te um den Radweg kochte vor einem für Leipzig wichti­gen Termin hoch — der Weltrad­ver­kehrs­kon­fe­renz «Velo-City». Von Diens­tag bis Freitag (9.–12. Mai) treffen sich auf der Leipzi­ger Messe mehr als 1500 Teilneh­mer aus über 50 Ländern. Das Motto lautet «Leading the transi­ti­on». Es geht um Stadt­ent­wick­lung, nachhal­ti­ge Mobili­tät und besse­re Infra­struk­tur für Fahrräder.

«Das Fahrrad ist eine einfa­che Lösung für die kompli­zier­tes­ten Proble­me der Welt», heißt es auf der Inter­net­sei­te der Konfe­renz. Klingt vielver­spre­chend. Doch in der Praxis — das zeigt nicht nur der Streit um den Radweg vor dem Leipzi­ger Haupt­bahn­hof — kommt es oft zu Konflikten.

Gerich­te entschei­den über Radwege

Manch­mal müssen Gerich­te über die Fälle entschei­den. Der Allge­mei­ne Deutsche Fahrrad­club (ADFC) nennt mehre­re Beispie­le aus den vergan­ge­nen Jahren. Demnach wies etwa das Oberver­wal­tungs­ge­richt Berlin-Branden­burg die Klage eines Politi­kers gegen provi­so­ri­sche Radfahr­strei­fen zurück.

In Düssel­dorf hinge­gen musste die Stadt laut ADFC ein Projekt rückgän­gig machen, weil für einen Radweg Lkw-Parkplät­ze wegge­fal­len waren und die Stadt die Notwen­dig­keit ihrer Maßnah­me nicht mit Unfall­zah­len belegen konnte.

Deutsch­land — eine Fahrradnation?

Zu solchen Proble­men kommt es, obwohl in Deutsch­land mehr oder weniger Konsens darüber herrscht, dass eine Verkehrs­wen­de notwen­dig ist, um den Ausstoß von CO2 zu reduzie­ren. So wurde bereits 2021 der Natio­na­le Radver­kehrs­plan beschlos­sen, mit dem Deutsch­land bis 2030 zum «Fahrrad­land» werden soll. Der Plan sah unter anderem mehr Radschnell­ver­bin­dun­gen vor, außer­dem mehr Rücksicht auf Lasten­rä­der und einen Ausbau von Fahrradparkplätzen.

Zwar hat der Radver­kehr nach Angaben des ADFC in den vergan­ge­nen Jahren zugenom­men. Doch zugleich sind in Deutsch­land so viele Autos wie noch nie zugelas­sen. Laut dem Statis­ti­schen Bundes­amt waren Anfang des vergan­ge­nen Jahres 48,5 Millio­nen Pkw regis­triert. Der Kfz-Verkehr sei stärker gewor­den, sagt ein ADFC-Sprecher. Und: «Der häufigs­te Unfall­geg­ner von Radfah­ren­den ist der Pkw.»

Auch der Ausbau der Radver­kehrs­in­fra­struk­tur habe mit dem steigen­den Radver­kehr nicht Schritt gehal­ten. Beim Fahrrad­kli­ma-Test 2022, einer Umfra­ge des ADFC, hat Deutsch­land die Schul­no­te 4 erhal­ten. 80 Prozent der Teilneh­mer klagten über zu schma­le Radwe­ge, 70 Prozent fühlten sich beim Radfah­ren nicht sicher.

Auch die Autolob­by sieht Nachholbedarf

Selbst beim ADAC, dem Lobby­ver­band der Autofah­rer, ist man der Ansicht, dass mehr für Radfah­rer getan werden sollte. Zwar hätten Umfra­gen gezeigt, dass nur jeder dritte Autofah­rer die Umwand­lung von Verkehrs­flä­chen unter­stützt. Aber: «Grund­sätz­lich denke ich, dass es notwen­dig ist, an der einen oder anderen Stelle Raum abzuge­ben», sagt Ronald Winkler, Fachre­fe­rent für Stadtverkehr.

Der Umbau sollte demnach fair ablau­fen, also nicht von heute auf morgen passie­ren, wie bei den sogenann­ten Pop-Up-Radwe­gen, die in der Corona-Pande­mie etwa in Berlin angelegt wurden. Es sei wichtig, die Inter­es­sen aller Verkehrs­teil­neh­mer mit einzu­be­zie­hen. Wo es möglich ist, sollten Rad- und Autover­kehr räumlich getrennt werden, zum Beispiel durch Fahrradstraßen.

Die Entwick­lung einer besse­ren Fahrrad­in­fra­struk­tur werde aller­dings Zeit in Anspruch nehmen, sagt Winkler. Auch Fahrrad­hoch­bur­gen wie Münster hätten Jahrzehn­te gebraucht, um ein hochwer­ti­ges Netz aufzubauen.

Dieser Prozess, davon ist man beim ADFC überzeugt, wird weite­re Konflik­te mit sich bringen. «Wir hören aber aus Städten aus dem Ausland, die teilwei­se viel radika­le­re Einschrän­kun­gen des Autover­kehrs vorneh­men, dass die Änderun­gen nach kurzer Zeit akzep­tiert werden», sagt ein Sprecher.

Von Chris­toph Pengel, dpa