BONN (dpa) — Bisher gibt es die babyblau­en Rauten­ta­blet­ten und ähnli­che Präpa­ra­te nur auf Rezept. Künftig kann man Viagra und andere Potenz­mit­tel vielleicht einfach so in der Apothe­ke bekom­men. Das hätte Vortei­le — wäre aber auch mit großen Risiken verbunden.

«Einmal Nasen­trop­fen, eine Flasche Husten­saft und noch eine Packung Viagra.» Derar­ti­ge Bestel­lun­gen könnten in Apothe­ken vielleicht schon bald Alltag sein.

Am 25. Januar berät ein Exper­ten­gre­mi­um der Arznei­mit­tel­be­hör­de BfArM in Bonn über die Entlas­sung des Wirkstoffs Sildena­fil aus der Verschrei­bungs­pflicht. Sollte die Empfeh­lung so kommen und sich das Bundes­ge­sund­heits­mi­nis­te­ri­um daran halten, würden Viagra und andere Potenz­mit­tel rezept­frei werden. Eine gute Idee?

Wirksam gegen den Schwarzmarkt

Prof. Frank Sommer, Präsi­dent der Deutschen Gesell­schaft für Mann und Gesund­heit, sieht Vor- und Nachtei­le. Das größte Pro wäre in seinen Augen, dass dem Schwarz­markt im Inter­net der Boden entzo­gen würde. «Wir haben vor einigen Jahren eine Studie gemacht, da haben wir 22 Produk­te, die man im Inter­net frei bestel­len kann, unter­sucht und festge­stellt, dass bei über 80 Prozent nicht das drin war, was angege­ben war. Wir hatten zum Beispiel eine Gruppe, da war die Dosis viermal so hoch.» Wenn man das regel­mä­ßig einneh­me, habe man ein sehr hohes Risiko für Herzschä­di­gun­gen. Zudem stell­ten die Wissen­schaft­ler Verun­rei­ni­gun­gen etwa mit Schwer­me­tal­len fest.

Vom Schwarz­markt mit gefälsch­ten Marken­pro­duk­ten zu unter­schei­den sind Online-Angebo­te von Ärzten, bei denen der Inter­es­sent zunächst einen medizi­ni­schen Frage­bo­gen ausfüllt und dann gegebe­nen­falls Viagra oder ein anderes Mittel verschrie­ben und aus dem Ausland zugeschickt bekommt. Dabei kann man laut Sommer im Regel­fall zumin­dest davon ausge­hen, dass man das Origi­nal­pro­dukt erhält. Der Preis ist aller­dings nicht ohne: Vier der babyblau­en Viagra-Rauten­ta­blet­ten können ungefähr 60 Euro kosten.

Sommer, der 2005 als erster Arzt zum Profes­sor für Männer­ge­sund­heit berufen wurde, sieht auch einige Nachtei­le, falls Sildena­fil künftig rezept­frei sein sollte. «Eine Erekti­ons­stö­rung ist, wenn sie gefäß­be­dingt ist, Vorbo­te eines Herzin­farkts oder Schlag­an­falls. Wir erken­nen das bei der Unter­su­chung der Blutge­fä­ße ungefähr acht Jahre vorher. Und da hat man dann eben noch Zeit, entspre­chend gegen­zu­steu­ern. Kommt es aber erst gar nicht zum Arztbe­such, fällt das weg.»

Erekti­ons­stö­run­gen lassen sich behandeln

Werde die Grund­er­kran­kung nicht behan­delt, verschlim­me­re sich die Erekti­ons­schwä­che immer weiter. «Da können Nerven geschä­digt sein, die Infra­struk­tur des Penis, die Blutge­fä­ße, die zum Penis führen — es gibt viele Ursachen, und deshalb dauert es auch bis zu drei Stunden, das heraus­zu­fin­den. Wenn das aber nicht geschieht, verschlim­mert sich das Leiden immer weiter. Und man braucht deshalb eine immer höhere Dosis, um doch noch eine Erekti­on zu errei­chen. Bis irgend­wann auch die höchs­te nicht mehr reicht. Wenn man aber dann erst zum Arzt geht, ist es für eine Heilung oft zu spät.»

Ein weite­res Risiko: Der Patient hat mögli­cher­wei­se keinen Überblick darüber, welche Medika­men­te mit Sildena­fil nicht verträg­lich sind. «Es gibt Herzme­di­ka­men­te, die Nitra­te haben.» Wenn diese gemein­sam mit Sildena­fil einge­nom­men würden, könne ein zum Tod führen­der sogenann­ter hypoto­ner Schock die Folge sein.

Die Entschei­dung über die Entlas­sung aus der Rezept­pflicht stellt also eine schwie­ri­ge Abwägung dar. «Ich würde dazu raten, sich beide Seiten anzuhö­ren», sagt Sommer. «Die Pharma­sei­te, die die Freiga­be befür­wor­tet, aber eben auch die unabhän­gi­gen Wissenschaftler.»

Körper­li­che Ursachen und die Versa­gens­angst «on top»

Insge­samt sei die Entde­ckung von Sildena­fil als Potenz­mit­tel durch den US-Konzern Pfizer «ein Geschenk des Himmels» gewesen, sagt Sommer. Zum einen deshalb, weil das Thema Erekti­ons­schwä­che infol­ge der umfang­rei­chen Bericht­erstat­tung in den Medien aus der Tabuzo­ne heraus­ge­kom­men sei. Und zum zweiten, weil dies eine Serie von wissen­schaft­li­chen Unter­su­chun­gen zur Folge gehabt habe.

«Da hat sich dann eben erst gezeigt, dass der Zustand der Penis­ge­fä­ße einen Herzin­farkt voraus­sa­gen kann. Auch Zucker­er­kran­kun­gen werden seitdem viel früher diagnos­ti­ziert.» Noch in den 80er Jahren herrsch­te dagegen die Ansicht vor, dass 90 Prozent der Erekti­ons­stö­run­gen psychisch bedingt seien. «Heute ist Stand der Wissen­schaft, dass es genau umgekehrt ist: 80 bis 90 Prozent haben körper­li­che Ursachen, und dann kommt die Versa­gens­angst vielleicht noch oben drauf.»

Von Chris­toph Dries­sen, dpa