BERLIN (dpa) — Mit Berlin als Haupt­stadt sind die Deutschen mehrheit­lich zufrie­den, aber in Hamburg oder München würden sie lieber wohnen wollen. Und eigent­lich haben viele eher Landlust, zum Beispiel für den Ruhestand.

Berlin als Haupt­stadt ist okay — aber dort leben? Nein danke! So lassen sich Ergeb­nis­se einer reprä­sen­ta­ti­ven Umfra­ge des Meinungs­for­schungs­in­sti­tuts YouGov im Auftrag der Deutschen Presse-Agentur deuten. Das echte oder vermeint­li­che Weltstadt­flair ist vielen Bundes­bür­gern unwich­tig. Als ideal vor allem für Kinder und Rentner gelten zudem Klein­stadt und Dorf. Doch der Reihe nach.

Unter den fünf deutsch­spra­chi­gen Millio­nen­städ­ten haben die Erwach­se­nen in Deutsch­land recht eindeu­tig eine Lieblings­me­tro­po­le, und zwar Hamburg — die zweit­größ­te Stadt der Bundes­re­pu­blik ist laut Umfra­ge «am sympa­thischs­ten» (25 Prozent). Erst danach folgen München (19 Prozent), Wien (15 Prozent), Berlin (12 Prozent) und Köln (11 Prozent). Der Rest wollte sich für keine der Städte entscheiden.

Wenn die Leute gefragt werden, in welcher der zehn größten Städte Deutsch­lands sie am liebs­ten leben würden, dann sagt fast ein Drittel (31 Prozent): In keiner dieser Städte. Immer­hin je 16 Prozent sagen Hamburg oder München, 10 Prozent Berlin, 6 Prozent Köln und 5 Prozent Leipzig. Abgeschla­gen landen Frankfurt/Main, Stutt­gart, Düssel­dorf, Dortmund und Essen dahinter.

Ungleich­ge­wicht zwischen Stadt und Land

Anders als zum Beispiel in Frank­reich oder auch Öster­reich ist das Gefäl­le zwischen Metro­po­le und Provinz in Deutsch­land gerin­ger — wegen der födera­len Struk­tur mit 16 Landes­haupt­städ­ten und anderen wichti­gen Metro­po­len wie eben zum Beispiel Köln, Frank­furt, Leipzig, oder auch Nürnberg, Mannheim, Bonn und anderen.

Dennoch gibt es ein Ungleich­ge­wicht zwischen Stadt und Land — zum Beispiel auch in der media­len Präsenz. Anderer­seits ist es im dicht besie­del­ten Deutsch­land oft gar nicht so einfach zu sagen, wo Stadt überhaupt endet und wo das sogenann­te Land beginnt.

Dörfern und kleine­ren Städten im Umland von Großstäd­ten geht es oft recht gut, anders­wo aber leiden ganze Regio­nen unter Landflucht, vor allem in Ostdeutschland.

Berlin als Haupt­stadt im Osten belieb­ter als im Westen

Im Osten erfährt die dort liegen­de Haupt­stadt Berlin eine größe­re Beliebt­heit als im Westen. Auf die Frage «Sind Sie zufrie­den damit, dass Berlin Deutsch­lands Haupt­stadt ist?» antwor­ten im Osten 75 Prozent mit Ja (im Westen 66) — insge­samt sind es 68 Prozent. Unter­durch­schnitt­lich ist der Zustim­mungs­wert für Berlin als Haupt­stadt zum Beispiel in Bayern, Bremen und Nordrhein-Westfalen.

Das liegt womög­lich alles auch an einer jahrhun­der­te­al­ten Menta­li­tät. Die deutsche Geschich­te ist bekannt­lich die einer «verspä­te­ten Nation» (Sozio­lo­ge Helmuth Pless­ner). Lange war Deutsch­land in Klein­staa­ten zersplit­tert, hatte deshalb viele kleine Zentren.

Erst der preußi­sche Politi­ker Otto von Bismarck formte als sogenann­te klein­deut­sche Lösung, also ohne Öster­reich, mit «Eisen und Blut» den deutschen Natio­nal­staat — nach Siegen in Kriegen gegen Dänemark (1864), Öster­reich (1866) und Frank­reich (1870/71).

Födera­lis­mus geliebt aber auch als nervig empfunden

Nach den schreck­li­chen Irrwe­gen des Natio­nal­so­zia­lis­mus gründe­te sich das von den Alliier­ten befrie­de­te Deutsch­land (zumin­dest im Westen) sozusa­gen neu als Staaten­bund — als födera­le Bundes­re­pu­blik Deutsch­land. Ihr schlos­sen sich — ein Jahr nach dem Mauer­fall von 1989 — die in Ostdeutsch­land wieder­ge­grün­de­ten Länder an.

Der Födera­lis­mus wird bis heute geliebt und gepflegt, aber auch abgelehnt und manch­mal als nervi­ger Flicken­tep­pich empfun­den. Zuletzt zeigte er etwa in der Corona-Pande­mie mit verschie­de­nen Regelun­gen der Bundes­län­der seine kompli­zier­te Seite.

Jedoch gibt es in Deutsch­land einen verbrei­te­ten Stolz auf das Leben in kleinen Einhei­ten, auf den Alltag jenseits der großen Stadt — und das auch von Regio­nen, die gar kein Bundes­land sind, kein eigenes Staats­we­sen bilden, also zum Beispiel Schwa­ben und Franken.

Vielleicht rührt auch daher die roman­ti­sche Vorstel­lung von regio­na­ler Veran­ke­rung, die deutsche Liebe zum Landleben.

Für den Lebens­abend bevor­zugt eine Mehrheit das Land

Bei der Frage «Wo sollte ein Kind in Deutsch­land Ihrer Meinung nach idealer­wei­se aufwach­sen?» entschei­den sich zusam­men 57 Prozent für die Antwor­ten «Klein­stadt» und «Dorf». Nur zehn Prozent bevor­zu­gen die Großstadt (mehr als 100.000 Einwohner).

Und nicht nur für die Kindheit, sondern auch für den Lebens­abend bevor­zugt eine Mehrheit der Leute eigent­lich das Land oder die kleine Stadt. Wenn es darum ginge, die Wohnge­gend für den eigenen Ruhestand auswäh­len zu können, sagen 58 Prozent, sie würden diesen gerne in einem Ort mit weniger als 20.000 Einwoh­nern verbrin­gen — 26 Prozent sagen «Klein­stadt (5000 bis 20.000 Einwoh­ner)» und immer­hin 32 Prozent «In einer ländli­chen Gegend/in einem Dorf (unter 5000 Einwoh­ner)». Der Wert für die Großstadt liegt bei nur 16 Prozent.

Von Gregor Tholl, dpa