STRASSBURG (dpa) — Kanzler Scholz präsen­tiert heute im Europa­par­la­ment seine Sicht auf die aktuel­le Lage und die Zukunft der EU. Die Erwar­tun­gen sind hoch — laut Kriti­kern hat seine Regie­rung zuletzt viel falsch gemacht.

Kurz vor der zweiten großen Europa-Rede von Bundes­kanz­ler Olaf Scholz haben führen­de deutsche Abgeord­ne­te im EU-Parla­ment deutli­che Kritik am bishe­ri­gen europa­po­li­ti­schen Kurs der Bundes­re­gie­rung geübt. Der CSU-Vize und EVP-Chef Manfred Weber warf der Ampel­ko­ali­ti­on aus SPD, Grünen und FDP vor, bei wichti­gen Themen oft keine «klare und abgestimm­te Positi­on» zu haben. «Mit dem Durch­ein­an­der in der Debat­te zu den Verbren­ner­mo­to­ren hat die Ampel ihre Glaub­wür­dig­keit am Verhand­lungs­tisch verlo­ren», sagte er der Deutschen Presse-Agentur kurz vor der Scholz-Rede heute im Europäi­schen Parla­ment in Straßburg.

Ähnlich kritisch äußer­ten sich auch der Linken-Frakti­ons­vor­sit­zen­de Martin Schir­de­wan und selbst Europa­ab­ge­ord­ne­te, die Regie­rungs­par­tei­en angehö­ren. So sagte die Grünen-Frakti­ons­vor­sit­zen­den Terry Reint­ke, viele ost- und zentral­eu­ro­päi­sche Kolle­gen im Europäi­schen Parla­ment seien enttäuscht von dem gewesen, was Scholz in Bezug auf die Ukrai­ne geleis­tet habe. Wahrneh­mung sei gewesen, «dass alles sehr langsam kam und es Berlin eigent­lich immer wieder abgerun­gen werden musste».

Forde­rung nach klarer Agenda

Hoffnung sei nun, dass der «nüchter­ne Hambur­ger» Scholz heute trotz seiner sonsti­gen Positio­nie­rung mit einem sehr klaren Forde­rungs­ka­ta­log und einer Agenda in die Rede gehe. Diese werde sehr zentral werden für die Frage, welche Rolle die Bundes­re­pu­blik Deutsch­land in den nächs­ten Monaten in der Europäi­schen Union spielen werde, sagte Reintke.

Der Linken-Politi­ker Schir­de­wan warf der Bundes­re­gie­rung vor, vor allem mit Quere­len bei der Europa­po­li­tik aufzu­fal­len. Auch er nannte wie Weber und Reint­ke die wochen­lan­ge Blocka­de der Bundes­re­gie­rung im Streit über Autos mit Verbren­nungs­mo­tor als ein Beispiel. In ihm hatte vor allem die FDP verlangt, dass die EU-Kommis­si­on einen Vorschlag vorle­gen soll, wie nach 2035 Fahrzeu­ge zugelas­sen werden können, die ausschließ­lich mit CO2-neutra­len Kraft­stof­fen betrie­ben werden. Eigent­lich hatten sich Unter­händ­ler der EU-Staaten und des Europa­par­la­ments da schon monate­lang auf ein weitge­hen­des Verbren­ner-Aus ab 2035 geeinigt gehabt.

Debat­te über Umgang mit China

Der CSU-Politi­ker Weber kriti­sier­te expli­zit zudem die China-Politik der Bundes­re­gie­rung und forder­te von Scholz ein klares Bekennt­nis zu einem einheit­li­chen europäi­schen Kurs. «Die Lehre aus den Fehlern im Umgang mit der russi­schen Führung muss sein, dass wir uns gerade gegen­über China nur gemein­sam und in enger Abstim­mung mit unseren westli­chen Partnern behaup­ten können», sagte der Vorsit­zen­de und Frakti­ons­chef der Europäi­schen Volks­par­tei (EVP). Allein­gän­ge im Umgang mit der chine­si­schen Führung seien kontra­pro­duk­tiv und schade­ten Europa. Die heuti­ge Rede sei eine Chance für Scholz, «einige der angerich­te­ten Schäden wiedergutzumachen».

Die Rede des SPD-Politi­kers in Straß­burg wird der zehnte Teil der Debat­ten­rei­he «Das ist Europa» sein. In ihr legen Staats- und Regie­rungs­chefs der Mitglied­staa­ten vor dem Europäi­schen Parla­ment ihre Ansich­ten und Lösun­gen zu den Heraus­for­de­run­gen für Europa dar. Im April war etwa Luxem­burgs Premier Xavier Bettel zu Gast in Straßburg.

Rede am Europatag

Seine erste große Europa-Rede als Kanzler hatte Scholz im August 2022 an der Karls-Univer­si­tät in Prag gehal­ten. In ihr sprach er sich für tiefgrei­fen­de Refor­men aus, um die EU fit für die Aufnah­me weite­rer Mitglie­der zu machen: einfa­che­re Entschei­dungs­pro­zes­se, ein krisen­fes­tes Asylsys­tem und eine engere Zusam­men­ar­beit in den Berei­chen Rüstung und Verteidigung.

In der heuti­gen Rede dürfte es vor allem um die Rolle der EU in der Welt gehen. Der Termin ist mit Bedacht gewählt. Der 9. Mai ist der Europa­tag, mit dem an den Schuman-Plan für die Schaf­fung einer Europäi­schen Gemein­schaft für Kohle und Stahl erinnert wird. Dieser wurde am 9. Mai 1950 vom damali­gen franzö­si­schen Außen­mi­nis­ter Robert Schuman in Paris der Öffent­lich­keit vorge­stellt und sollte nach dem Zweiten Weltkrieg den Frieden in Europa sichern. Der Plan führte zur Gründung der Europäi­schen Gemein­schaft für Kohle und Stahl, einem der Vorläu­fer der heuti­gen Europäi­schen Union.