BERLIN/KARLSRUHE (dpa) — A wie Anton? Nicht divers genug. Die Zukunft heißt Aachen oder Augsburg. Städte erset­zen bald das Buchsta­bie­ren mit Vorna­men. Und letzte Relik­te der Nazi-Varian­te sollen fallen.

Jahrzehn­te sorgten sie für Klarheit beim Buchsta­bie­ren von Namen am Telefon — jetzt haben Anton, Berta und Cäsar ausgedient.

Das Deutsche Insti­tut für Normung (DIN) hat sich seit Herbst die Norm «Diktier­re­geln» vorge­nom­men — und damit auch die offizi­el­le Buchsta­bier­ta­fel als Teil davon.

«Wir sind bei der Überar­bei­tung der DIN 5009 im Plan und rechnen mit einer Veröf­fent­li­chung des Entwurfs im dritten Quartal des Jahres», sagt Julian Pinnig vom Insti­tut in Berlin. Ein gutes Dutzend Exper­ten befasst sich mit den Bezeich­nun­gen für die Buchsta­ben. Sie kommen etwa aus Bildung und Ausbil­dung, von Versi­che­run­gen oder Postunternehmen.

Konkre­te Bezeich­nun­gen für die einzel­nen Buchsta­ben werden noch nicht verra­ten. Nur so viel: Künftig sollen Städte statt Vorna­men die richti­ge Schreib­wei­se von Wörtern, Mailadres­sen oder Akten­zei­chen sichern. Statt W wie Wilhelm könnte es dann Wiesba­den oder Worms heißen. In Frage kommen Städte, die klar unter­scheid­bar sind und die Vielfalt des Landes abbil­den. Hinter­grund für die Städte­na­men ist auch die Verän­de­rung der gesell­schaft­li­chen Reali­tät. Eine Buchsta­bier­ta­fel mit den bishe­ri­gen Vorna­men spiegelt aus Sicht der DIN-Normer die kultu­rel­le Diver­si­tät der Bevöl­ke­rung in Deutsch­land nicht ausrei­chend wider.

Ausge­löst hat die Reform Micha­el Blume, Baden-Württem­bergs Antise­mi­tis­mus­be­auf­trag­ter. Ihn stört, dass in der aktuel­len Tafel noch immer Relik­te aus der Zeit der Natio­nal­so­zia­lis­ten stecken. Diese hatten 1934 alle jüdischen Namen entfernt: Aus David wurde Dora, aus Nathan Nordpol, aus Samuel Siegfried. Zwar wurde die Tafel nach 1945 einige Male überar­bei­tet. Doch Nathan blieb draußen, Nordpol drin.

Nordpol klingt unver­däch­tig, aber für Blume ist es ein Beispiel, wie Antise­mi­tis­mus funktio­niert. «Es gibt ganz viele Berei­che, die von den Nazis vergif­tet wurden. Sie werden zu Tradi­tio­nen, über die niemand mehr nachdenkt.» Der Nordpol etwa sei der Ort, «von dem nach der alter­na­ti­ven Geschichts­schrei­bung der Nazis die Arier herkom­men», sagt Blume. «Mit dem Wissen müssen wir den Nordpol aus der Buchsta­bier­ta­fel streichen.»

Weil die Buchsta­bier­ta­fel ohnehin in die Jahre gekom­men ist, haben die DIN-Exper­ten gleich alles umgekrem­pelt. Feuer­wehr­leu­te, Sekre­ta­ria­te, kaufmän­ni­sche und andere Berufe, die die Buchsta­bier­ta­fel noch haupt­säch­lich für ihre Kommu­ni­ka­ti­on nutzen, hätten sich etwas aus ihrer Lebens­welt gewünscht. Da gehören deutsche Städte dazu.

Doch mit der Entschei­dung für die Städte ist auch Nathan raus. Um auf die wechsel­haf­te Geschich­te der Buchsta­bier­ta­fel aufmerk­sam zu machen und ein Zeichen zu setzen, möchte das Insti­tut symbo­lisch eine zusätz­li­che Tafel veröf­fent­li­chen, die auf die Zeit der Weima­rer Republik zurück­geht — in der sollen wieder alle jüdischen Vorna­men enthal­ten sein.

«Durch die Umstel­lung auf Städte­na­men gelingt es, die Buchsta­bier­ta­fel auf lange Sicht aktuell zu halten, denn Städte­na­men ändern sich natür­lich nicht so schnell wie Trends bei Vorna­men», sagt Kathrin Kunkel-Razum, die Leite­rin der Duden-Redak­ti­on. Auch wenn Ältere sich nicht mehr damit anfreun­den werden — die Sprach­ex­per­tin ist überzeugt, dass junge Leute und Zuwan­de­rer eher etwas mit K wie Köln als mit Konrad anfan­gen können.

Kunkel-Razum erwar­tet, dass alte und neue Tafel eine Zeit lang paral­lel verwen­det werden. Irgend­wann könnte sich auch eine inter­na­tio­na­le Tafel etablie­ren: «Für den Moment schei­nen die Hürden dafür jedoch noch sehr hoch zu sein, fußt die inter­na­tio­na­le Tafel doch auf dem engli­schen Alpha­bet und ist bisher überwie­gend im inter­na­tio­na­len Funkver­kehr beim Militär und in der Seefahrt im Einsatz.»

Zudem haben nicht alle Sprachen die gleichen Buchsta­ben. Ä wie Ärger ist eben typisch deutsch. Wie überhaupt das Normie­ren des Buchsta­bie­rens seit nun rund 130 Jahren, findet Blume. Er schließt nicht aus, dass die Menschen künftig beim Buchsta­bie­ren ihrer Mail-Adres­sen einfach Wörter aus dem Alltag benut­zen und dass die offizi­el­le Tafel so zum letzten Mal verän­dert wird. «Gerade deshalb ist es wichtig, dass die Nazis dann nicht das letzte Wort haben.»

Von Susan­ne Kupke und Gerd Roth, dpa