BERLIN/KÖLN/RHEINE (dpa) — Das Infek­ti­ons­ri­si­ko ist durch Omikron gerade extrem hoch. Gleich­zei­tig verur­sacht die neue Varian­te im Schnitt milde­re Verläu­fe als Delta. Ein guter Zeitpunkt, um auf die Corona-Regeln zu pfeifen?

Warum soll ich noch immer versu­chen, eine Infek­ti­on mit dem Corona­vi­rus zu vermei­den? Das fragt sich manch einer. Die Antwor­ten gibt es im Faktencheck.

Behaup­tung: Es ist unpro­ble­ma­tisch, sich jetzt mit Corona anzuste­cken. Man kann sich eh kaum vor Omikron schüt­zen, und wirklich gefähr­lich ist die neue Varian­te auch nicht.

Bewer­tung: So allge­mein nicht haltbar

Fakten: Die Weltge­sund­heits­or­ga­ni­sa­ti­on (WHO) fordert eindring­lich, die Omikron-Varian­te ernst zu nehmen. Das Narra­tiv, dass Omikron eine norma­le Erkäl­tung sei, sei nicht wahr, so die WHO-Corona-Exper­tin Maria Van Kerkho­ve. Denn «milder» kann, muss aber nicht heißen: Ein bisschen Schnup­fen und Husten — das war’s.

Im klini­schen Bereich bezeich­ne man bei Covid-19 in der Regel Verläu­fe als mild, bei denen die Betrof­fe­nen nicht unter Atemnot litten und deren Sauer­stoff­sät­ti­gung über einem bestimm­ten Wert liege, erklärt der Leiter der Virolo­gie der Unikli­nik Köln, Flori­an Klein. «Sie können ganz schön krank werden», beschreibt Infek­tio­lo­gin Jana Schroe­der von der Stiftung Mathi­as-Spital in Rheine milde Corona-Verläufe.

Zwar gilt das Risiko eines (relativ) jungen, gesun­den, geboos­ter­ten Menschen für einen schwe­ren Verlauf als sehr gering. Ausge­schlos­sen ist dieser aber nicht, und es gibt weite­re gute Gründe, sich vor einer Anste­ckung zu schützen.

Unsicher­heit bei Langzeitfolgen

Erstens: Es besteht unter Fachleu­ten Unsicher­heit bei der Einschät­zung von Langzeit­fol­gen des Virus. Sie empfin­de viel Demut vor dem, was man noch nicht wisse, so Infek­tio­lo­gin Schroe­der. Die Daten­la­ge sei undurch­sich­tig, insbe­son­de­re für Omikron. Long Covid? Unfass­bar schwer einzu­schät­zen. «Wenn wir es jetzt einfach laufen ließen, gingen wir als Gesell­schaft wie beim Pokern all in.» Das könne irgend­wie funktio­nie­ren. «Doch da ist dieser Elefant im Raum: die Covid-Folgeschäden.»

Zweitens: Die eigene Infek­ti­on mag glimpf­lich verlau­fen, doch in der Summe kann eine Explo­si­on der Infek­ti­ons­zah­len das Gesund­heits­sys­tem und andere Berei­che der kriti­schen Infra­struk­tur massiv belas­ten. Corona im Griff zu haben bedeu­te auch, Patien­tin­nen und Patien­ten mit anderen Erkran­kun­gen adäquat betreu­en zu können, sagt Schroe­der. «Bei sehr hohen Fallzah­len sind viele Menschen gleich­zei­tig krank. Darun­ter natür­lich auch Perso­nen, die zur kriti­schen Infra­struk­tur gehören», ergänzt Klein. Klini­ken oder auch Betrie­be der Energie- und Wasser­wirt­schaft können dadurch in Schwie­rig­kei­ten kommen.

Eigener Schutz hilft auch anderen Menschen

Drittens: Schützt man sich selbst vor einer Infek­ti­on, hilft das indirekt auch Menschen, die sich (bislang) nicht selbst ausrei­chend durch eine Impfung schüt­zen können. Virolo­ge Klein nennt hier zuvor­derst Kinder und Menschen, deren Immun­ab­wehr unter­drückt ist. Aber auch Ältere, die bislang noch ungeimpft sind.

Viele von uns werden sich in nächs­ter Zeit mit Omikron infizie­ren. «Die Wahrschein­lich­keit, sich anzuste­cken, ist gestie­gen», sagt Klein. Aller­dings wirken die bekann­ten Maßnah­men — beispiels­wei­se Kontak­te reduzie­ren und in Räumen FFP2-Maske tragen — auch gegen Omikron. So sei es sehr wahrschein­lich, dass die bisher gerin­ge­re Dynamik der Omikron-Welle in Deutsch­land im Vergleich mit etwa Großbri­tan­ni­en oder Dänemark auch auf eben diese Maßnah­men hierzu­lan­de zurück­zu­füh­ren sei.

Das grund­sätz­li­che Ziel ist eine breite Grund­im­mu­ni­tät der Bevöl­ke­rung gegen das Virus, um aus der pande­mi­schen Situa­ti­on heraus­zu­kom­men. «Die Impfung ist dafür das wichtigs­te Instru­ment. Es ist ein großes Glück, dass wir sie haben», betont Klein. Infek­tio­nen könne man derzeit nicht komplett vermei­den, so der Virolo­ge. Aber es gelte Zeit zu gewin­nen. Je flacher die Omikron-Welle bleibt, desto besser kommt beispiels­wei­se das Gesund­heits­sys­tem damit klar. Zudem haben dadurch mehr Menschen Zeit, sich impfen und boostern zu lassen. Ein ungebrems­te Explo­si­on der Fallzah­len hinge­gen kann zu einer schnel­len Überlas­tung führen.

Von Alexan­dra Stober, dpa