Früher als andere Betrie­be dürfen Friseu­re nach der Corona-Zwangs­pau­se wieder öffnen. Warum sind Haare eigent­lich so wichtig? Nicht nur ein Berli­ner Starfri­seur und Markus Söder haben Antworten.

BERLIN (dpa) — Von Bruce Springsteen bis zu Gerhard Schrö­der: In Corona-Zeiten ließen sich viele von ihrer Frau die Haare schnei­den, das war bei Insta­gram zu sehen.

Frauen klatsch­ten sich billi­ge Farbe aus der Droge­rie auf den grauen Ansatz oder versuch­ten, den heraus­ge­wach­se­nen Pony so gut es geht zu ignorie­ren. Nun ist ein Ende der Corona-Mähne in Sicht.

Am 1. März dürfen die 80 000 Friseur­be­trie­be in Deutsch­land nach monate­lan­ger Zwangs­pau­se wieder öffnen. Für manche überra­schend bekamen sie dafür von Bund und Ländern die Erlaub­nis. Sie sind früher dran als der Einzel­han­del, was Ärger brach­te. Nach dem Motto: Warum sind Friseu­re eigent­lich so wichtig?

Wie die Haare sitzen: Das kann einen großen Unter­schied ausma­chen. Ursula von der Leyen befrei­te sich vor einigen Jahren mit kurzen Haaren von ihrem biede­ren Image des «Röschens» aus Nieder­sach­sen. Angela Merkel verdank­te dem kürzlich gestor­be­nen Friseur Udo Walz ihren optischen Relaunch. Kabaret­tis­ten machen schon lange kaum mehr Witze über ihre Haare.

Dass das Thema auch für viele Männer keine Neben­sa­che ist, zeigen die gut frisier­ten Fußbal­ler. Oder die Herren, die sich schon Haare trans­plan­tie­ren ließen: Itali­ens Ex-Minis­ter­prä­si­dent Silvio Berlus­co­ni, Fußball­trai­ner Jürgen Klopp, FDP-Chef Chris­ti­an Lindner. Dieser reimte 2014 in einer Aache­ner Karne­vals­re­de: «Um libera­les Wachs­tum zu generie­ren, ließ ich mir die Haare trans­plan­tie­ren.» Der Saal sang dazu: «Du hast die Haare schön, du hast die Haare schön.»

Bayerns Minis­ter­prä­si­dent Markus Söder hat da mit seinem vollen Schopf eher Proble­me, im Lockdown bald wie ein Monchi­chi-Äffchen auszu­se­hen. Derzeit ist sein Look etwas zerzaust, die Kotelet­ten sind überlang. Für den CSU-Politi­ker ist eine ordent­li­che Frisur nicht nur eine Frage der Hygie­ne, wie er in der Locke­rungs­de­bat­te deutlich machte. Er sagte, dass es auch um Würde gehe. Um Würde?

«Das finde ich vollkom­men richtig», sagt der Berli­ner Starfri­seur Shan Rahimkhan. Den Effekt eines Salon­be­suchs beschreibt er so: «Du gehst raus und fühlst dich wohl, das macht was mit einem.» Er nennt die gängi­gen Argumen­te der Branche: Anders als der Handel geht ein Friseur­be­such nicht online. Wenn man im Lockdown einen Termin im Inter­net bucht, ist es illegal. Dann lieber mit ordent­li­cher Hygie­ne im Salon. Shan Rahimkhan fällt noch die über 90 Jahre alte Tante seiner Frau ein. Die sei zwar gut zu Fuß, aber seit Monaten allein, ohne Plaude­rei oder ohne jeman­den, der zuhört. Der Friseur fehlt.

Beim Zentral­ver­band des Deutschen Friseur­hand­werks heißt es, der Beruf sei «sozial system­re­le­vant». Das heißt: Er ist auch wichtig für das Mitein­an­der. Klar, dass die Friseu­re so argumen­tie­ren. In der Locke­rungs­de­bat­te wollen viele Branchen bald wieder öffnen. Aber wer den Small­talk unter Kolle­gen verfolgt oder sich bei Verwand­ten umhört — es stimmt: Friseu­re sind sozia­ler Kitt und Balsam. «Schön­heit hat Konjunk­tur, und das gilt auch für Deutsch­land», sagt der Zentral­ver­bands-Geschäfts­füh­rer Jörg Müller. Die Pande­mie habe das noch verstärkt.

Außer­halb der Branche gefragt: Sind Friseu­re wichti­ger gewor­den? «Jein», sagt der Kunst­his­to­ri­ker und Autor Chris­ti­an Janecke («Haar Tragen: Eine kultur­wis­sen­schaft­li­che Annähe­rung», «Tragba­re Stürme — Von spurten­den Haaren und Windstoß­fri­su­ren»). Einer­seits: Bei der Optik sei es in einigen Berufen mittler­wei­le nicht mehr so streng wie früher. Zudem gibt es auch bei Haaren den Trend zum Selbermachen.

Anderer­seits: «Wir haben eine Gesell­schaft, in der die Fassa­de wieder wichti­ger wird.» Die Video­kon­fe­ren­zen im Homeof­fice verstär­ken das aus Janeckes Sicht noch, dort werden alle zu «Talking Heads», das Gesicht wie ein Bild gerahmt. «Und Haare sind nicht nur Natur‑, sondern auch Kultur­aus­druck», sagt der Profes­sor an der Hochschu­le für Gestal­tung in Offen­bach. Der Körper bleibt der gleiche — eine Frisur kann den Unter­schied machen, ähnlich wie bei Schuhen. Auch die Selfie-Kultur und die Macht der Bilder in der digita­len Welt spielen für ihn hier eine verstär­ken­de Rolle.

Wie es sich anfühlt, mit einem misslun­ge­nen Schnitt vom Friseur zu kommen, diese tiefe Verzweif­lung: Das hat eine Szene in der briti­schen Serie «Fleabag» gut einge­fan­gen. Dort tröstet die Titel­hel­din ihre Schwes­ter, die sich mit ihrer schie­fen Friseur hunde­elend fühlt: «Es ist modern!» Und als nichts hilft: «Es ist franzö­sisch!» Als der Friseur im Salon den Schwes­tern weisma­chen will, Haare seien doch nicht so wichtig, braust Fleabag auf: «Haare sind alles!»

Noch ein Beispiel für eine haari­ge Lage, aus einer Klein­stadt im Südwes­ten Deutsch­lands: Tante Hilde, eine Frau um die 60, deren richti­ger Name nicht veröf­fent­licht werden soll, leidet in der Pande­mie ohne Friseur. Auch wenn sie die Corona-Maßnah­men versteht, für sie war schon das Maske-Tragen schlimm. Mit den Stoff­mas­ken konnte sie sich nach ein paar Monaten anfreun­den, aber jetzt, wo es mit den medizi­schen Masken dieser «Schna­bel» sein soll, findet sie sich total entstellt. In diese Gemenge­la­ge kommen die nicht liegen­den Haare noch dazu: «Jetzt muss ich die jeden Tag waschen.» Damit fühlt sich Tante Hilde so unwohl, dass sie so gut wie gar nicht mehr rausgeht. Die Haare geben ihr da noch den Rest.

Auch wenn es nicht immer so aufs Gemüt drückt, auf den Friseur zu verzich­ten, die Erleich­te­rung ist da. «Also, ich freue mich auch, wenn Friseu­re mal wieder aufma­chen können, das ist ja klar», ließ sich Angela Merkel Anfang Febru­ar im Inter­view der Sender RTL und ntv entlocken.

Immer­hin ging es der Kanzle­rin haarmä­ßig besser als anderen. «Ich habe ja bekann­ter­ma­ßen da auch Unter­stüt­zung durch eine Assis­ten­tin», sagte sie auf die Frage, wer sich denn in Lockdown-Zeiten um ihre Frisur kümme­re. «Wir halten natür­lich alle sanitä­ren Bestim­mun­gen ein.» Alles kann die Assis­ten­tin aber anschei­nend nicht richten. «Dass man langsam grau wird, damit muss man dann leben.»

Der Ansturm auf die Friseu­re dürfte am 1. März riesig sein. Bei Shan Rahimkhan, der Salons am Berli­ner Gendar­men­markt und am Kurfürs­ten­damm hat, sind die Termi­ne über Wochen ausge­bucht. Im Lockdown habe er viele «unmora­li­sche Angebo­te» bekom­men und immer abgelehnt, illegal die Haare zu schnei­den. Auch bei seinen eigenen Haaren war er nach eigener Aussa­ge konse­quent und verzich­te­te auf Profis. Sein 13 Jahre alter Sohn durfte ran. Das ging schief: «Ich hab’ ihm falsche Aufsät­ze gegeben, und dann hatte ich ganz rasier­te Haare.»