BERLIN/SUNDERN (dpa) — Nur noch etwa jeder achte Weihnachts­baum­käu­fer in Deutsch­land schmückt den Baum erst an Heilig­abend, wie eine aktuel­le Umfra­ge zeigt. Viele stellen den Baum inzwi­schen schon Wochen vorher auf.

O Tannen­baum, o Tannen­baum, wie früh sind deine Käufer: Millio­nen Haushal­te in Deutsch­land stellen den Weihnachts­baum heutzu­ta­ge viel zeiti­ger auf als dies hierzu­lan­de in vergan­ge­nen Jahrzehn­ten Tradi­ti­on gewesen ist. Schon Wochen vor dem Fest stehen Lichter­bäu­me heutzu­ta­ge nicht mehr nur auf Weihnachts­märk­ten, in Geschäf­ten, Büroräu­men oder öffent­li­chen Foyers, sondern auch in Wohnzim­mern, also guten Stuben.

«Früher war das letzte Wochen­en­de vorm Fest bei den meisten der Termin, an dem man den Baum kaufte, jetzt ist es eher der Zweite oder Dritte Advent», sagt Eberhard Henne­cke vom Bundes­ver­band der Weihnachts­baum- und Schnitt­grüner­zeu­ger (BVWE) der Deutschen Presse-Agentur. Zweiter Advent ist an diesem Wochen­en­de (3./4.12.).

«Das letzte Jahrzehnt hat diesen Trend inten­si­viert und richtig in Fahrt gebracht, also dass man sich sehr früh den Weihnachts­baum holt und auch früh entsorgt», sagt Henne­cke, erster BVWE-Vorsitzender.

Deutsch­land passt sich in gewis­ser Weise vielleicht auch nur inter­na­tio­na­len Bräuchen an. In den USA zum Beispiel stellen viele den Weihnachts­baum schon kurz nach Thanks­gi­ving auf (Ende November).

Weich­nachts­bäu­me werden oft schon früh entsorgt

Während der Christ­baum noch in den 80ern, 90ern und Nuller­jah­ren in der Bundes­re­pu­blik meist bis zum Dreikö­nigs­tag, also dem 6. Januar, stehen­blieb, werde er heute oft schon zwischen den Jahren oder kurz nach Silves­ter entsorgt, sagt Henne­cke, der in seinem Forst­pro­dukt­e­be­trieb seit mehr als 30 Jahren Weihnachts­bäu­me anbaut.

Aktuell ergab eine Umfra­ge des Portals «Statis­ta», dass nur noch 12 Prozent der Weihnachts­baum­käu­fe­rin­nen und ‑käufer bis zum 24. Dezem­ber warten, um den Baum aufzu­stel­len. Mehr als die Hälfte der Befrag­ten stellt den Baum dagegen schon Anfang bis Mitte Dezem­ber auf. 33 Prozent der Befrag­ten platzie­ren und schmü­cken den Tannen­baum «wenige Tage vor Heiligabend».

In Deutsch­land werden Jährlich 27 Millio­nen Weihnachts­bäu­me verkauft

In den 70ern war Aufstel­len und Schmü­cken des Tannen­baums an Heilig­abend wohl noch Normal­fall und wichti­ger Programm­punkt. In Loriots Sketch­fol­ge «Weihnach­ten bei Hoppen­stedts» von 1978 sagt der Vater (Heinz Meier) jeden­falls: «Jetzt wird erst der Baum fertig geschmückt, dann sagt Dicki ein Gedicht auf, dann holen wir die Geschen­ke rein, dann sehen wir uns die Weihnachts­sen­dung im Ersten Programm an, dann wird ausge­packt, und dann machen wir’s uns gemütlich…»

Jedes Jahr werden etwa 27 Millio­nen Weihnachts­bäu­me in Deutsch­land verkauft bei einem Umsatz zwischen 500 und 550 Millio­nen Euro.

Weihnachts­baum-Erzeu­ger Henne­cke in Sundern im Hochsauer­land sagt: «Früher gab es in der Advents­zeit mehr Geduld, heute lebt man wochen­lang in das Weihnachts­fest hinein.»

Außer­dem habe die Corona-Pande­mie und die Politik der Kontakt­be­schrän­kun­gen in den letzten Jahren bei vielen den Wunsch nach einem heime­li­gen Zuhau­se bestärkt und auch dazu geführt, es sich recht­zei­tig mit einem Baum in kleiner Gemein­schaft schön machen zu wollen. Da es weiter­hin offen­sicht­lich schwie­ri­ge Zeiten gebe, sehe er kein Ende dieses Bedürf­nis­ses, sagt Hennecke.

Erst kürzlich ergab eine reprä­sen­ta­ti­ve Umfra­ge des Meinungs­for­schungs­in­sti­tuts YouGov im Auftrag der Deutschen Presse-Agentur, dass mehr als die Hälfte der Verbrau­che­rin­nen und Verbrau­cher in diesem Jahr angesichts der hohen Energie- und Lebens­mit­tel­prei­se weniger rund um Weihnach­ten ausge­ben möchte.

Dazu gehören neben der Überle­gung, weniger Geld in Geschen­ke oder Essen zu stecken, auch der Vorsatz, 2022 auf einen Weihnachts­baum zu verzich­ten oder zumin­dest ein kleine­res Exemplar zu kaufen.

Die Baum-Preise für Weihnachts­bäu­me bleiben dieses Jahr wohl ungefähr auf Vorjah­res­ni­veau. Aller­dings könnte sich das 2023 ändern, unter anderem weil Perso­nal fehle und mehr und mehr Erzeu­ger aufhö­ren könnten. Bislang ist Deutsch­land der größte Weihnachts­baum­pro­du­zent in Europa.

Entwick­lungs­stu­fen des Weihnachtsbaums

Paradies­baum, Zucker­baum, Lichter­baum, Christ­baum, Tannen­baum — der Weihnachts­baum hat viele Entwick­lungs­sta­di­en durchlaufen.

Paradies­baum: Im Ursprung geht der Weihnachts­baum zurück auf das Paradies­spiel, das im Mittel­al­ter vor dem weihnacht­li­chen Krippen­spiel aufge­führt wurde. Als Paradies­baum nahm man einen Tannen­baum, weil er im Winter noch grün war. An die Zweige hängte man rote Äpfel, aus ihnen entwi­ckel­ten sich die Christbaumkugeln.

Zucker­baum: Die mittel­al­ter­li­chen Zünfte übernah­men den Paradies­baum und funktio­nier­ten ihn im Laufe der Zeit zu einem mit Süßig­kei­ten behan­ge­nen Gaben­baum um. Nach dem Fest wurde dieser «Zucker­baum» von den Kindern «abgeblü­melt».

Lichter­baum: Der evange­li­sche Adel besetz­te den bis dahin unbeleuch­te­ten Baum im 17. Jahrhun­dert mit Kerzen. Die Gaben wurden nun unter den Baum gelegt.

Mit der Zeit wurde der Lichter­baum auch vom protes­tan­ti­schen Bürger­tum übernom­men und bis nach Ameri­ka expor­tiert. In England sorgte der deutsche Gemahl Queen Victo­ri­as, Albert von Sachsen-Coburg und Gotha (1819–1861), für die Verbrei­tung des Baumes.

Christ­baum: Die Katho­li­ken standen dem Brauch lange skeptisch gegen­über, noch 1896 verspot­te­te ein katho­li­scher Pfarrer den Protes­tan­tis­mus als «Tannen­baum-Religi­on». Erst nach 1900 war der Baum in allen Schich­ten und Konfes­sio­nen voll akzep­tiert und wurde nun öfter auch Christ­baum genannt.

O Tannen­baum: Auch eines der bekann­tes­ten Weihnachts­lie­der ist dem Christ­baum gewid­met: «O Tannen­baum» geht auf ein schle­si­sches Volks­lied aus dem 16. Jahrhun­dert zurück.

Von Gregor Tholl, dpa