KARLSRUHE (dpa) — Hunder­te Verfah­ren wegen der Corona-Notbrem­se sind beim Bundes­ver­fas­sungs­ge­richt einge­gan­gen. Zu Ausgangs­be­schrän­kun­gen haben die Richter schon eine Entschei­dung getrof­fen. Nun folgen die nächs­ten Beschlüsse.

Die Corona-Notbrem­se des Bundes hält der Prüfung durch das Bundes­ver­fas­sungs­ge­richt weiter stand.

Am Donners­tag lehnten die Richter und Richte­rin­nen weite­re Eilan­trä­ge ab und nahmen eine Verfas­sungs­be­schwer­de gar nicht erst zur Entschei­dung an. Dabei ging es um Kontakt­be­schrän­kun­gen sowie die Schlie­ßung von Schulen, kultu­rel­len Einrich­tun­gen und Teilen des Einzel­han­dels. Der generel­le Tenor: Das Infek­ti­ons­ri­si­ko und damit die Gefah­ren für die Gesund­heit unzäh­li­ger Menschen wögen schwe­rer als die Folgen der Eingriffe.

Ob die Vorschrif­ten im Einzel­nen mit dem Grund­ge­setz verein­bar sind, müsse im Haupt­sa­che­ver­fah­ren geklärt werden, teilte das Gericht in Karls­ru­he mit. Vor gut zwei Wochen hatten die Richter schon — ebenfalls im Eilver­fah­ren — vorerst grünes Licht für die umstrit­te­nen nächt­li­chen Ausgangs­be­schrän­kun­gen gegeben.

Die bundes­weit verbind­li­chen Regeln für schär­fe­re Corona-Maßnah­men waren am 23. April in Kraft getre­ten. Sie gelten für Regio­nen, in denen die sogenann­te Sieben-Tage-Inzidenz über mehre­re Tage den Wert von 100 überschreitet.

In der Praxis wird die Notbrem­se derzeit aber immer weiter gelockert: Denn seit Tagen sinkt die Inzidenz, bundes­weit lag sie am Donners­tag nach Angaben des Robert Koch-Insti­tuts bei nur noch 68,0 (Vorwo­che: 103,6). In den meisten der 412 erfass­ten Kreise und kreis­frei­en Städte ist der Wert inzwi­schen unter die 100er-Marke gerutscht.

Im Kampf gegen die dritte Corona-Welle hatte die Politik mit den deutsch­land­weit einheit­li­chen Regelun­gen einen Flicken­tep­pich in den Bundes­län­dern verhin­dern und die Ausbrei­tung des Corona­vi­rus besser in den Griff kriegen wollen. So gelten in den Regio­nen, in denen die Notbrem­se greift, beispiels­wei­se Einschrän­kun­gen für den Handel, sofern er nicht der Grund­ver­sor­gung dient, und stren­ge­re Regeln für Kontak­te mit Menschen aus anderen Haushal­ten. Hierzu haben die Verfas­sungs­rich­ter wie folgt entschieden:

KONTAKTE: Weder habe der Beschwer­de­füh­rer darge­legt noch sei überhaupt ersicht­lich, dass durch die Kontakt­be­schrän­kung trotz nunmehr gelten­der Ausnah­men für Geimpf­te und Genese­ne Nachtei­le drohten, die den Erlass einer einst­wei­li­gen Anord­nung gebie­ten würden. «Jeden­falls die Zusam­men­kunft mit älteren Angehö­ri­gen wird wegen deren Möglich­keit, Impfun­gen zu erhal­ten, im Regel­fall nicht mehr unüber­wind­bar beschränkt», hieß es. Auch Kinder bis 14 Jahren zweier sich treffen­der Haushal­te seien ausge­nom­men. «Dies erleich­tert vor allem die Gestal­tung des Alltags in Famili­en, auch soweit sie noch nicht von der Ausnah­me­re­ge­lung für Geimpf­te und Genese­ne profi­tie­ren können.» Auf der anderen Seite seien die Einschrän­kun­gen ein Baustein im Gesamt­kon­zept, um das Infek­ti­ons­ge­sche­hen einzu­däm­men, denn wechseln­de Zusam­men­künf­te erhöh­ten das Risiko für Ansteckungen.

EINZELHANDEL: Mehre­re Firmen wollten, dass das Verfas­sungs­ge­richt die Einschrän­kun­gen vorläu­fig außer Vollzug setzt. Für einen so erheb­li­chen Eingriff in die Zustän­dig­keit des Gesetz­ge­bers seien die Hürden aber beson­ders hoch, erläu­ter­te das Gericht. Zwar stünden auf der einen Seite Umsatz­ver­lus­te vor allem in den Bekleidungs‑, Schuh- und Elektronik­märk­ten, «die durch den Handel online, nach Anmel­dung oder mit vorhe­ri­gem negati­vem Test auf eine Infek­ti­on oder auch durch staat­li­che Überbrü­ckungs­hil­fen und die Möglich­keit der Kurzar­beit zwar teilwei­se abgemil­dert, aber nicht aufge­fan­gen werden». Doch schwe­rer wiege auch hier der «Schutz von Leben und Gesund­heit vor einer Infek­ti­on mit einem Virus, das vielfach schwe­re und langfris­ti­ge Erkran­kun­gen auslöst oder sogar zum Tode führt».

SCHULEN: In Landkrei­sen oder Städten mit einer Sieben-Tage-Inzidenz über 165 soll der Präsenz­un­ter­richt an Schulen unter­sagt werden. Ein Antrag gegen diese Regel hatte schon deshalb keinen Erfolg, weil die vom Antrag­stel­ler besuch­te Schule nach Angaben des Gerichts in einem Landkreis liegt, der stabil unter diesem Schwel­len­wert liegt.

KULTUR: Mehre­re Kläger hatten sich mit einer Verfas­sungs­be­schwer­de gegen die Unter­sa­gung der Öffnung kultu­rel­ler Einrich­tun­gen — wie es korrekt heißt — gewandt. Doch aus Sicht der Richter haben sie nicht darge­legt, dass Beschrän­kun­gen künst­le­ri­scher Veran­stal­tun­gen bei anhal­tend hohen Infek­ti­ons­zah­len nicht erfor­der­lich wären. Die Kunst­frei­heit sei zwar im Grund­ge­setz gewähr­leis­tet, aber nicht schran­ken­los, erklär­te das Gericht. «Die Schran­ken ergeben sich insbe­son­de­re aus den Grund­rech­ten anderer Rechtsträger (…).»

Vorge­brach­te Studi­en bezögen sich auf niedri­ge­re Inzidenz­wer­te und seien nicht ins Verhält­nis zu realis­ti­schen Szena­ri­en gesetzt worden. Zudem könnten künst­le­ri­sche Inhal­te etwa durch Strea­ming- oder Downloa­d­an­ge­bo­te verbrei­tet werden. Ebenso verwie­sen die Richter auf die sinken­den Inzidenz­wer­te und sich bei sommer­li­chen Bedin­gun­gen verbes­sern­de Perspek­ti­ven zumin­dest für Open Air-Veranstaltungen.

Gegen das verschärf­te Infek­ti­ons­schutz­ge­setz sind beim obers­ten Verfas­sungs­ge­richt Deutsch­lands mittler­wei­le rund 400 Verfah­ren einge­gan­gen. Manche richten sich gegen das gesam­te Maßnah­men­pa­ket, andere gegen einzel­ne Punkte. Unter den Klägern sind Anwäl­te, aber auch Politi­ker verschie­de­ner Partei­en etwa aus dem Bundestag.