BERLIN (dpa) — Die dritte Corona-Welle rollt über Deutsch­land, die Zahl freier Inten­siv­bet­ten sinkt. Mancher behaup­tet: Das liege daran, dass Inten­siv­bet­ten abgebaut wurden. Stimmt das?

Es wird eng auf den Inten­siv­sta­tio­nen, warnen Inten­siv­me­di­zi­ner. Manche zweifeln, dass die Corona-Pande­mie der Grund dafür ist. Ein Faktencheck.

BEHAUPTUNG: Auf den Inten­siv­sta­tio­nen wird es nur eng, weil massiv Betten abgebaut wurden. Die Belegung hat sich insge­samt im Verlauf der Pande­mie kaum verändert.

BEWERTUNG: Das ist irrefüh­rend und teilwei­se falsch.

FAKTEN: Einige Nutzer in sozia­len Netzwer­ken argumen­tie­ren mit Zahlen aus dem Inten­siv­re­gis­ter der Deutschen Inter­dis­zi­pli­nä­ren Verei­ni­gung für Inten­siv- und Notfall­me­di­zin (Divi) und des Robert Koch-Insti­tuts (RKI). Auf den ersten Blick schei­nen sie zu zeigen: Die Gesamt­zahl der beleg­ten Inten­siv­bet­ten in Deutsch­land bewegt sich seit rund einem Jahr um die Zahl 20.000. Gleich­zei­tig sinkt die Zahl der freien Betten.

Doch bei den Daten zur Auslas­tung der Inten­siv­sta­tio­nen gibt es einiges zu beach­ten. «Niemand baut Betten ab, aber wir haben einfach nicht das Perso­nal, um sie zu betrei­ben», sagte eine Divi-Spreche­rin der Deutschen Presse-Agentur (dpa). Ein freies Bett könne im Inten­siv­re­gis­ter nur dann als frei gemel­det werden, wenn eine Klinik genügend Ärzte und Pfleger habe, um einen Patien­ten oder eine Patien­tin darin zu versorgen.

Wie viele Pflege­kräf­te nötig sind, hat sich im Verlauf der Pande­mie mehrmals geändert. Hinzu kommen Ausfäl­le durch erkrank­tes Klinik­per­so­nal, die etwa in der zweiten Welle laut einer Divi-Spreche­rin zunahmen.

Zu Beginn waren zudem Perso­nal­un­ter­gren­zen ausge­setzt. Als sie wieder einge­führt und schließ­lich im Febru­ar auf tagsüber eine Pflege­kraft pro zwei Inten­siv­pa­ti­en­ten verschärft wurden, mussten Klini­ken also Betten aus dem Inten­siv­re­gis­ter heraus­neh­men, für die sie kein Perso­nal hatten. «Dadurch ist die Gesamt­zahl zwar formal etwas runter­ge­gan­gen», sagt Chris­ti­an Karagi­ann­idis, einer der Leiter des Divi-Inten­siv­re­gis­ters, in einem Erklär­vi­deo. «Aber es entspricht in keinem Fall einem Betten­ab­bau, sondern es entspricht der wirkli­chen realen Wieder­ga­be dessen, was wir in Deutsch­land an Inten­siv­ka­pa­zi­tät zur Verfü­gung haben.»

Doch warum stieg die Belegung der Inten­siv­sta­tio­nen in den Corona-Wellen mit jeweils steigen­der Zahl von Covid-19-Patien­ten nicht an?

Das hat vor allem zwei Gründe: «Auf den Inten­siv­sta­tio­nen ist eine Auslas­tung von 80 Prozent die absolu­te Obergren­ze», sagte ein weite­rer Leiter des Divi-Inten­siv­re­gis­ters, Steffen Weber-Carstens von der Berli­ner Chari­té, Anfang April. Klini­ken müssten trotz der Corona-Pande­mie für den Alltags­be­trieb freie Inten­siv­plät­ze bereit­hal­ten. Sonst könnten etwa die Opfer eines größe­ren Autoun­falls oder zwei, drei Schlag­an­fall­pa­ti­en­ten an einem Tag nicht mehr adäquat versorgt werden, erläu­ter­te eine Divi-Sprecherin.

Damit das gelingt, werden planba­re Opera­tio­nen abgesagt oder Patien­ten verlegt — die Klini­ken stellen «vom Regel­be­trieb auf den Notbe­trieb» um, heißt es auf der Websei­te des Divi-Inten­siv­re­gis­ters. Die Behand­lung der Vielzahl von Covid-19-Patien­ten Ende Dezem­ber, Anfang Januar war nach Angaben der Divi-Spreche­rin nur möglich, weil zum Beispiel andere Patien­ten früher als üblich auf andere Statio­nen verlegt wurden.

Der zweite Grund ist, dass sich in der Statis­tik für ganz Deutsch­land regio­na­le Überlas­tun­gen der Inten­siv­sta­tio­nen und weniger belas­te­te Regio­nen ausglei­chen. Wie unter­schied­lich die Belegung regio­nal ist, kann man einer Karte im Divi-Inten­siv­re­gis­ter entneh­men, die den Anteil der freien Betten auf Landkreis-Ebene zeigt. Engpäs­se beobach­ten Inten­siv­me­di­zi­ner derzeit vor allem in Großstäd­ten und Ballungsräumen.

Um die außer­ge­wöhn­lich hohe Auslas­tung der Inten­siv­sta­tio­nen nachzu­voll­zie­hen, sollte man außer­dem die Zahl der Covid-19-Patien­ten auf Inten­siv­sta­tio­nen betrach­ten: Diese Kurve zeigt steil nach oben und liegt derzeit bei rund 4800. Der bishe­ri­ge Spitzen­wert lag Anfang des Jahres bei über 5700. Medizi­ner des Divi-Inten­siv­re­gis­ters fürch­ten, dass es demnächst 6000 Covid-19-Inten­siv­pa­ti­en­ten geben könnte.

Seit kurzem stuft die Mehrheit der Inten­siv­sta­tio­nen ihre Betriebs­si­tua­ti­on wieder als einge­schränkt ein, etwa beim Perso­nal oder Materi­al. Das war zuletzt während der zweiten Welle so. Diese Selbst­ein­schät­zung ihrer Situa­ti­on teilen die Inten­siv­sta­tio­nen dem Divi-Inten­siv­re­gis­ter seit Beginn der Pande­mie mit.

Von Veroni­ka Völlin­ger, dpa