BERLIN (dpa) — Stirbt ein Promi­nen­ter in jungen Jahren, reagie­ren viele Menschen bestürzt. Impfgeg­ner wieder­um versu­chen häufig, diese Trauer für ihre Zwecke zu nutzen — mit einem zynischen Hashtag.

Corona-Impfstof­fe gelten als sicher, Milli­ar­den Impfdo­sen sind seit Ende 2020 weltweit verab­reicht worden. Doch in den sozia­len Netzwer­ken machen Impfgeg­ner weiter Stimmung. Eine Metho­de: Todes­fäl­le von promi­nen­ten, meist jungen Menschen in einen Zusam­men­hang mit Impfne­ben­wir­kun­gen rücken — ohne irgend­ei­nen Beleg.

So etwa im Fall Jeremy Ruehle­mann: Das US-Model starb im Januar im Alter von nur 27 Jahren. Unter die Trauer mischen sich im Netz Kommen­ta­re von radika­len Impfgeg­nern. Auf Twitter etwa nutzen sie den Hashtag «#plötz­li­chund­un­er­war­tet». Der sarkas­tisch gemein­te Code drückt letzt­lich nur die zynische Haltung aus: Hier ist nichts unerwar­tet, denn wir haben ja immer gewarnt, dass die Impfung gefähr­lich ist. Dieses Narra­tiv sucht sich mit Promi-Todes­fäl­len neue vermeint­li­che Beweise.

Dass Medien längst über Ruehle­manns tatsäch­li­che Todes­ur­sa­che berich­tet haben, spielt in der Szene keine Rolle. Gegen­über der engli­schen Boule­vard­zei­tung «Daily Mail» sprach der Vater des Toten von einer Medika­men­ten­ab­hän­gig­keit und einer tödli­chen Überdosis.

Mehr Belege als einen irgend­wie vermu­te­ten Zusam­men­hang zwischen Impfung und Tod präsen­tie­ren Impfgeg­ner in der Regel nicht. Im Falle Ruehle­manns kursier­te als angeb­li­cher Beweis ein Foto, das ihn in New York bei einer Corona-Impfung zeigt. Ursprüng­lich hatte Ruehle­mann es im Jahr 2021 auf seinem Insta­gram-Account veröf­fent­licht. Nach seinem Tod sammeln sich unter diesem alten Posting nun Kommen­ta­re wie «Natür­li­che Ausle­se» oder «Da hat er sein eigenes Todes­ur­teil unterzeichnet».

«Ganz typisches Muster von Verschwörungstheorien»

Solche teils menschen­ver­ach­ten­den Sätze zu Ruehle­mann reihen sich ein in Reaktio­nen auf andere Todes­fäl­le. So sammel­ten Impfgeg­ner unter «#plötz­li­chund­un­er­war­tet» in den vergan­ge­nen Wochen auch Verstor­be­ne wie Sänge­rin Lisa Marie Presley, Skifah­re­rin Rosi Mitter­mai­er und Model Tatja­na Patitz. Der Herzstill­stand von Ameri­can-Football-Profi Damar Hamlin während eines Spiels Anfang Januar wurde ebenfalls als Impfne­ben­wir­kung gedeu­tet. Nicht immer sind bei diesen Menschen Todes­ur­sa­chen oder Erkran­kun­gen bekannt, doch allen Fällen ist gemein: Auf einen Zusam­men­hang mit der Impfung deutet nichts hin — außer dem Raunen im Netz.

Die Hambur­ger Journa­lis­tik­pro­fes­so­rin Katha­ri­na Kleinen-von Königs­löw forscht zu sozia­len Netzwer­ken und Verhal­tens­wei­sen von Nutze­rin­nen und Nutzern. «Der Impfgeg­ner-Hashtag folgt einem ganz typischen Muster von Verschwö­rungs­theo­rien. Deren Reiz besteht ja darin, spiele­risch Hinwei­se zu finden für ein größe­res Muster dahin­ter», sagt sie. Und tatsäch­lich kann jeder Nutzer mittels des Hashtags zu der Sammlung von vermeint­li­chen Impf-Todes­fäl­len beitragen.

Es gebe verschie­de­ne Gruppen, die sich an dieser Impfscha­den-Erzäh­lung betei­li­gen. Neben überzeug­ten Impfgeg­nern und Menschen, die zum Beispiel ein unter­neh­me­ri­sches Inter­es­se an der Verbrei­tung von Verschwö­rungs­theo­rien hätten, seien da Menschen, «die vielleicht einfach Fan waren oder die verstor­be­ne Person inter­es­sant fanden», sagt Kleinen-von Königs­löw. Bei dieser Gruppe bestehe die Gefahr, dass sie sich in die Verschwö­rungs­theo­rie herein­zie­hen lasse. Denn es gebe verbrei­tet Unsicher­hei­ten und «viele gute Gründe, warum man die Impfung unheim­lich finden konnte: die schnel­le Entwick­lung der Impfstof­fe und die neue mRNA-Techno­lo­gie etwa».

Die konkre­te Wirkung des Hashtags «plötz­li­chund­un­er­war­tet» besteht darin, dass er zu einer selek­ti­ven Wahrneh­mung führt: «Wenn man einmal auf diesen vermeint­li­chen Trend aufmerk­sam gemacht wurde, fällt es viel stärker auf», sagt Kleinen-von Königs­löw. Aus vielen Einzel­fäl­len werde so der Eindruck: Todes­fäl­le häufen sich — und der Grund kann nur sein, dass die Corona-Impfung schäd­lich ist.

Schwe­re Neben­wir­kun­gen der Corona-Impfstof­fe sehr selten

Tatsäch­lich sind schwe­re Neben­wir­kun­gen der Corona-Impfstof­fe sehr selten. In Deutsch­land führt das Paul-Ehrlich-Insti­tut (PEI) Statis­ti­ken über die Sicher­heit der Impfun­gen. Ausge­wer­tet werden zum Beispiel Meldun­gen über Verdachts­fäl­le von Neben­wir­kun­gen. Auf diese Weise wurde etwa bekannt, dass in sehr selte­nen Fällen nach der Impfung Herzmus­kel­ent­zün­dun­gen auftra­ten. Impfemp­feh­lun­gen wurden darauf­hin angepasst.

Anfang 2022 melde­te das PEI 85 Todes­fäl­le, bei denen ein «ursäch­li­cher Zusam­men­hang mit der Corona-Impfung als möglich oder wahrschein­lich» einge­stuft wurde. Verab­reicht waren zu diesem Zeitpunkt fast 150 Millio­nen Impfdo­sen. Die Zulas­sung von Impfstof­fen ist eine Frage der Abwägung: Übersteigt der Schutz, den sie bieten, die Risiken? Die Ständi­ge Impfkom­mis­si­on sieht das bei Corona als gegeben: Die Impfung wird weiter empfohlen.

Von Markus Bergmann, dpa