Wieder Innsbruck! In Gedan­ken an die vielen Enttäu­schun­gen am Bergisel bekommt Karl Geiger «das Kotzen». Auch Markus Eisen­bich­ler liegt ein gutes Stück zurück. Den Mann der Stunde hatte dagegen eigent­lich keiner mehr auf der Rechnung.

Das enttäu­schen­de Déjà-vu am verfluch­ten Bergisel ließ Karl Geiger verzwei­feln. Schon wieder haben die deutschen Skisprin­ger um den Flug-Weltmeis­ter ihre heraus­ra­gen­den Chancen bei der Vierschan­zen­tour­nee in Innsbruck verspielt und benöti­gen in Bischofs­ho­fen ein kleines Wunder.

«Das Ding ist so gut wie durch, es ist einfach frustrie­rend», schimpf­te Geiger, der bei der famosen Flugshow von Polens Routi­nier Kamil Stoch überhaupt nicht mithal­ten konnte. Er könne momen­tan «überall reintre­ten». Der Frust über die Sprün­ge auf 117 und 125 Meter war auch nach einer Stunde nicht verschwunden.

Der 27-Jähri­ge büßte mächtig Punkte ein und liegt vor der vierten und letzten Stati­on fast 14 Meter hinter Stoch, der nach seinem Innsbruck-Coup auf den dritten Gesamt­sieg bei der Tournee hoffen darf. «Kamil hat gezeigt, dass er der Chef im Ring ist», sagte Bundes­trai­ner Stefan Horng­a­cher in der ARD. Seine Schütz­lin­ge Geiger (Tages­rang 16) und Markus Eisen­bich­ler (Platz 6) haben dagegen gepatzt. «Vielleicht haben wir alle ein bisschen Angst gehabt vorm Bergisel», mutmaß­te Horng­a­cher. Geiger sagte, er kriege «das Kotzen», wenn er an all die Rückschlä­ge auf der Anlage in Tirol denke. Der erste Gesamt­sieg seit Sven Hanna­wald 2002 rückt in weite Ferne.

Stoch sprach nach Flügen auf 127,5 und 130 Meter von «einer super Beloh­nung». Der 33-Jähri­ge gewann deutlich vor Anze Lanis­ek aus Slowe­ni­en und Lands­mann Dawid Kubacki. Dabei war das polni­sche Team in Oberst­dorf wegen eines Corona-Falls noch kurzzei­tig ausge­schlos­sen worden und kehrte erst nach 22 turbu­len­ten Stunden und zwei weite­ren Tests, die negativ ausfie­len, zurück. Nun könnten sie wie 2017, 2018 (jeweils Stoch) und 2020 (Kubacki) schon wieder den Gesamt­sie­ger stellen.

Was bleibt für die deutschen Adler? Bei Geiger nur Enttäu­schung. «Es ist nicht der Wettkampf, den ich mir erwar­tet habe. Es ist eine ziemlich bitte­re Nummer wieder heute», sagte der Allgäu­er, dessen Emotio­nen im komplet­ten Kontrast zum überschwäng­li­chen Jubel von Oberst­dorf standen. In seiner Heimat hatte Geiger am Diens­tag noch den Auftakt­wett­be­werb gewon­nen und Hoffnun­gen auf den Gesamt­sieg geschürt. Zimmer­kol­le­ge Eisen­bich­ler sagte, er sei in Innsbruck noch «mit einem blauen Auge davongekommen».

Deutsch­lands letzter Tournee-Gewin­ner Hanna­wald war am ARD-Mikro­fon entspre­chend bedient, als Geiger und Eisen­bich­ler im ersten Sprung nachein­an­der patzten. «Es soll nicht sein, das nervt mich», schimpf­te der 46-Jähri­ge. Geiger schlug sich nach seinem deutlich besse­ren zweiten Versuch auf den Helm und rief lautstark: «Warum nicht gleich?» Der erste Sprung in der klirren­den Kälte von Innsbruck dürfte ihn — wie im Vorjahr — alle Chancen auf den Gesamt­sieg gekos­tet haben. Und damit kam der sonst so ausge­gli­che­ne Allgäu­er gar nicht klar.

«Das kann passie­ren. Es hat nicht ganz funktio­niert. Auf dieser Schan­ze wird das sofort bestraft. Wir geben natür­lich nicht auf», sagte Horng­a­cher. Auch Eisen­bich­ler (120,5 und 128,5 Meter) und der norwe­gi­sche Weltcup-Gesamt­füh­ren­de Halvor Egner Grane­rud, der nur 0,1 Punkte vor Geiger den 15. Platz beleg­te, blieben hinter den Erwar­tun­gen zurück.

Die Schick­sals­schan­ze am Bergisel beschäf­tigt die Adler des Deutschen Skiver­ban­des (DSV) schon seit Jahren. Mehre­re Stürze, der für die windan­fäl­li­ge Anlage typische Föhnsturm und chaoti­sche Wettbe­wer­be bei der Tournee ließen häufig deutsche Träume platzen, bevor Eisen­bich­ler und Geiger 2019 ein golde­nes WM-Wochen­en­de hinleg­ten und Weltmeis­ter-Titel im Einzel und Team holten. Diesmal hatte das Duo wieder schwer mit der tücki­schen Schan­ze zu kämpfen: Missglück­te Probe­sprün­ge hatten schon angedeu­tet, wie schwer die Aufga­be in Tirol werden würde.

Nach einem Ruhetag und der folgen­den Quali­fi­ka­ti­on steht das große Finale am Mittwoch (16.45 Uhr/ZDF und Euros­port) auf der Paul-Außerleit­ner-Schan­ze in Bischofs­ho­fen an. Auf der Anlage im Pongau krönten sich Stoch und der Japaner Ryoyu Kobaya­shi in der jünge­ren Vergan­gen­heit zu Vierfach­sie­gern. Die Deutschen standen zuletzt oft auf dem Gesamt­po­di­um, durften aber schon seit 19 Jahren nicht mehr den golde­nen Adler in Empfang nehmen.