GENF (dpa) — Hierzu­lan­de kennen Genera­tio­nen das Jodeln vor allem aus dem köstli­chen Loriot-Sketch über das Jodel­di­plom. Natür­lich ist in Wirklich­keit alles anders. Wie’s geht, wusste schon Tarzan.

Bloß nicht versu­chen, mit schöner Stimme liebli­che Töne zu produ­zie­ren! «Jodeln ist der Gesang der Seele, der den inners­ten Gefüh­len Ausdruck verleiht», sagt die Jodel­leh­re­rin Héloï­se Frache­boud. Wie eine Urgewalt.

Sie lässt Schüle­rin­nen mit der Hand auf Brust und Kopf das Vibrie­ren des eigenen Körpers als Klang­in­stru­ment spüren und sagt: «Jodeln kann jeder. Wenn mal ein anderer Ton heraus­kommt als erwar­tet: Freu Dich darüber.» Mit ihrem unkon­ven­tio­nel­len Stil eckt die Schwei­ze­rin bei Vertre­tern der reinen Jodel­leh­re schon mal an.

Genera­tio­nen von Deutschen denken beim Jodeln an den Loriot-Sketch «Jodel­schu­le» von 1978, in dem Frau Hoppen­stedt (Evelyn Hamann) einen Jodel-Kurs macht, um «etwas Eigenes» zu haben. Unver­ges­sen, wie sie sich in «den Grund­mo­ti­ven des Erzher­zog-Johann-Jodlers« («Holle­ri du dödl di, diri diri dudel dö») verhed­dert. Natür­lich war das Blöde­lei. Und beim Schwei­zer Jodel könnte dies ohnehin nicht passieren.

Was ist Jodeln eigentlich?

Denn dort wird in der reinen Lehre nur auf den Vokalen O, U und Ü gejodelt. Allen­falls gehört ein «J» für «Jo» oder ein «i» beim U» dazu. Statt Holo-le-i-ti müsste es im Schwei­ze­ri­schen Jolo-o-u-iu heißen. Während es in Öster­reich «doli, duli, du» gibt und oft fetzig schnell gejodelt wird, ist der Schwei­zer Natur­jo­del meist getra­ge­ner, wie beim Appen­zel­ler Zäuer­li oder dem Muota­tha­ler Naturjuuz.

Aber was ist Jodeln eigent­lich? «Eine text- und wortlo­se Singwei­se», schreibt das Schwei­zer Bundes­amt für Kultur. «Das Jodeln eröff­net ein breites klang­li­ches Spektrum zwischen gepfleg­tem, klassisch anmuten­dem Schön­ge­sang bis hin zur archai­schen, rufen­den Stimm­ge­bung.» Solche Gesän­ge gibt es bei vielen Völkern in praktisch allen Erdteilen.

Der Wunsch nach Abgren­zung von den Tiroler Jodlern hat 1910 in der Schweiz zur ersten Jodler­be­we­gung geführt. Damals arbei­te­ten viele Tiroler in der Schweiz und jodel­ten auf ihre Art. «Man hatte Angst, dass unser Brauch­tum verwäs­sert wird», sagt die Präsi­den­tin des Eidge­nös­si­schen Jodler­ver­ban­des, Karin Nieder­ber­ger. Stren­ge Exper­ten hätten begon­nen, zwischen dem «richti­gen» Jodeln der Bergbe­völ­ke­rung und dem «falschen» Jodeln auf der Bühne zu unter­schei­den, schreibt der Musik­wis­sen­schaft­ler Raymond Ammann aus Innsbruck 2020, wobei letzte­res in der Schweiz als «Tirole­rei» beschimpft worden sei.

«Wir jodeln schwei­ze­risch», hält Nieder­ber­ger fest. «Wir pflegen den uralten, überlie­fer­ten Jodel­ge­sang.» Da schwin­ge eine unmess­ba­re Energie mit, die das Herz berührt, wenn Jodle­rin­nen und Jodler mit der Erinne­rung an erleb­te Sommer mit schwe­rer Arbeit auf der Alp, einer Bergwei­de, jodeln. Für Wettbe­wer­be des Jodler­ver­ban­des gelten Regeln. «Was gar nicht geht, ist rü oder holdri a‑i-o», sagt sie der dpa. Und es gehört auch Haltung dazu: Sanges­grup­pen stehen bewegungs­los im Halbkreis, die Hände in den Taschen oder unter der Schür­ze. Beglei­tet werden darf nur auf dem Akkor­de­on oder der Varian­te Schwyzerörgeli.

Wechsel von Brust- auf Kopfstimme

Bei Frache­boud, der Westschwei­ze­rin, geht es vergli­chen damit gerade­zu anarchis­tisch zu. Sie hat Jodel­a­ma­teu­re als Chor schon schräg geklei­det auf Stadt­fes­ten präsen­tiert. Ihr Jodel­kurs findet auf ihrer Terras­se in einem Bergdorf oberhalb von Martigny im Rhone­tal statt. «Erst Luft rauslas­sen, dann Drein­schau­en wie ein aufge­weck­tes Landei», sagt sie und blickt mit aufge­ris­se­nen Augen und offenem Mund in die Runde. So fließt frische Luft in die Lungen. «Und nun den Ton aus tiefs­ter Brust aussto­ßen», sagt sie. «Stell Dir vor, Du rufst Deine Kuh auf der Weide, voilà, Du jodelst schon.»

Dass mehr dazu gehört, wird natür­lich klar, wenn Frache­boud selbst zum Jodeln ansetzt und elegant von Brust- auf Kopfstim­me wechselt. Die Ansät­ze dazu gibt es auch in der Schnup­per­stun­de. Sie sagt: Jeder kann mit Jodeln seine inners­ten Gefüh­le zum Ausdruck bringen. «Tarzan war der erste weltbe­kann­te Jodler», sagt sie. Auch der Urwald­schrei entsteht durch den gekonn­ten Wechsel zwischen Brust- und Kopfstimme.

Für die studier­te Musike­rin ist Jodeln Folklo­re, die sich verän­dern muss. So schreibt sie selbst Kompo­si­tio­nen, in denen es nicht immer um Berge geht. «Eine Flasche für das Meer» etwa gibt Gefüh­le einer Frau wider, die ihrem Liebs­ten Flaschen­post schickt. Dabei jodelt sie nicht — wie im Tradi­tio­nel­len — sich meist wieder­ho­len­de Elemen­te, sondern in einem Spannungs­bo­gen leise-laut-leise. Sie beglei­tet sich auf einer Stahl­zun­gen­trom­mel, einem metal­li­schen Hohlkör­per mit Ritzen oben drauf, dem sie mit Schlä­gern medita­ti­ve Klänge entlockt.

Kein stren­ges Regel­werk in Österreich

An Wettbe­wer­ben des Jodler­ver­ban­des kann sie damit nicht teilneh­men. Sie sei von Puris­ten früher als Saboteu­rin angefein­det worden, sagt Frache­boud. Inzwi­schen blüht aber die Szene abseits der Regeln. Es gibt sogar ein Studi­um mit Haupt­fach Jodel an der Hochschu­le Luzern.

Die Musike­rin Erika Stucky bekam 2020 den Schwei­zer Grand Prix Musik, weil sie Jodel, Blues und Jazz verbun­den und die neue Volks­mu­sik der Schweiz geprägt habe, hieß es damals. Und «Oesch’s die Dritten» ist eine Schwei­zer Famili­en­band, die mit der verpön­ten «Tirole­rei» erfolg­reich ist. Auch Techno‑, Rocker- und Rapper-Jodel gab es schon.

In Öster­reich gibt es keine Jodel-Wettbe­wer­be und auch kein stren­ges Regel­werk. «Wenn man sich nur an Regeln hält, lässt man keine kreati­ven Prozes­se zu», sagt Irene Egger vom Öster­rei­chi­schen Volks­lied­werk, das die musika­li­schen Tradi­tio­nen des Landes pflegt. Der Verband sei nicht mit erhobe­nem Zeige­fin­ger unter­wegs, um zu sagen, was richtig oder falsch sei. Für Verstim­mung sorgten nur dieje­ni­gen, die die Jodel-Musik nur mit Blick auf den Profit ausschlach­ten. «Man kann ja mit Tradi­tio­nen spielen, aber die Frage ist, mit welcher Obacht und Wertschät­zung ich das mache», sagt Egger.

Von Chris­tia­ne Oelrich und Albert Otti, dpa