BERLIN/PEKING (dpa) — Die deutschen Abhän­gig­kei­ten von China rücken immer stärker in den Fokus. Erpress­bar ist die Wirtschaft hierzu­lan­de aber längst nicht überall. Einer Abkopp­lung sehen Exper­ten eher gelas­sen entgegen.

Die Diskus­sio­nen um den Hambur­ger Hafen, um Huawei im Mobil­funk­netz und die Abhän­gig­kei­ten zu China generell zeigen: Im Verhält­nis Deutsch­lands zur Volks­re­pu­blik tut sich was. Politi­ker sehen genau­er hin, Unter­neh­men recht­fer­ti­gen plötz­lich ihre Inves­ti­tio­nen vor Ort und über allem schwebt das Damoklesschwert:

Was, wenn China Taiwan angreift?

Immer wieder ist in diesem Kontext von der «China-Falle» die Rede, von der Erpress­bar­keit Deutsch­lands und den verhee­ren­den Folgen, die eine plötz­li­che Abschot­tung für die Wirtschaft hätte. Dabei lohnt ein genaue­rer Blick.

Was sich im Verhält­nis zu China gerade verändert

Lange Zeit galt China der deutschen Wirtschaft vor allem als profi­ta­bler Wachs­tums­markt und Innova­ti­ons­trei­ber. Doch nicht erst seit der russi­schen Invasi­on in die Ukrai­ne und Chinas Drohge­bär­den in Richtung Taiwan hat sich im Verhält­nis zur Volks­re­pu­blik etwas grund­le­gend verän­dert, wie Jürgen Matthes beobach­tet. Die mit Chinas Aufnah­me in die Welthan­dels­or­ga­ni­sa­ti­on verbun­de­ne Hoffnung auf eine Demokra­ti­sie­rung etwa habe sich für den Westen nicht erfüllt. «China ist unter Xi Jinping immer autokra­ti­scher geworden.»

Zudem habe die Volks­re­pu­blik in der Vergan­gen­heit auf dem Weltmarkt massiv andere Expor­teu­re verdrängt und dabei nach unfai­ren Regeln gespielt. Ähnlich schätzt das Alexan­der Sandkamp vom Insti­tut für Weltwirt­schaft (IfW) in Kiel ein. Schon in der Vergan­gen­heit habe China beispiels­wei­se in Deutsch­land inves­tiert. «Aber durch die Entwick­lun­gen wird es natür­lich kriti­scher beäugt.»

Wie es wirklich um die Abhän­gig­kei­ten steht

Impor­te

Bei Impor­ten sehen Exper­ten wie Sandkamp die größte Verwund­bar­keit Deutsch­lands. Ob Rohstof­fe für Handys oder Solar­an­la­gen, Chemie­pro­duk­te oder einige Lebens­mit­tel — bei einigen Produk­ten dominie­ren die Einfuh­ren aus China klar. Bei Laptops etwa kämen 80 Prozent aus der Volks­re­pu­blik, bei von der EU als kritisch einge­stuf­ten selte­nen Erden und Rohstof­fen wie Scandi­um oder Antimon seien es 85 Prozent, wie eine IfW-Studie zuletzt zeigte. Abseits dieser einzel­nen Produkt­grup­pen sei die Import­ab­hän­gig­keit aber gerin­ger, als es klassi­sche Handels­sta­tis­ti­ken suggerieren.

«Die grund­le­gen­de Frage ist: Wo können wir China wirklich kurzfris­tig nicht erset­zen, und wo hat man es bisher nicht gemacht, weil es aktuell zu teuer erscheint?», sagt Matthes. Doch auch wenn sich einzel­ne Produk­te woanders besor­gen ließen — wenn neben Deutsch­land die gesam­te westli­che Welt plötz­lich nicht mehr mit China handeln würde, käme es wieder zu Engpäs­sen auf den globa­len Märkten, warnt Sandkamp. «Dann wird es zu einem Konkur­renz­kampf kommen.» Und wenn Deutsch­land sich allei­ne abkop­pe­le und künftig etwa Batte­rien aus Indien impor­tie­re, die wieder­um mit chine­si­schen Rohstof­fen gebaut sind, sei die Frage, inwie­fern dann die Abhän­gig­keit wirklich reduziert sei.

Expor­te

Auf der Export­sei­te hat China für deutsche Unter­neh­men seit 2020 an Bedeu­tung einge­büßt. Im Jahr 2022 rutsch­te die Volks­re­pu­blik laut Statis­ti­schem Bundes­amt von Platz zwei auf Platz vier der wichtigs­ten Abneh­mer­län­der. «Bei der Export­ab­hän­gig­keit hat sich die Lage beruhigt in den vergan­ge­nen Jahren», sagt Sandkamp. Ob das aber eine generel­le Trend­um­kehr sei, oder zunächst an den stren­gen Covid-Lockdowns und den wirtschaft­li­chen Schwie­rig­kei­ten der Volks­re­pu­blik liege, müsse sich noch zeigen.

Man müsse bei solchen Statis­ti­ken immer auch beden­ken, dass Deutsch­land weit mehr mit der EU als Ganzes hande­le, als mit China, sagt er weiter. Klar sei aber dennoch, dass der chine­si­sche Markt für viele deutsche Firmen von überra­gen­der Bedeu­tung sei, und zwar als Absatz- und als Wachs­tums­markt, betont Jens Hilde­brandt, geschäfts­füh­ren­des Vorstands­mit­glied der Deutschen Handels­kam­mer (AHK) in Peking. Das gelte insbe­son­de­re für deutsche Autobau­er und Chemie-Hersteller.

Techno­lo­gie

«Was gerne überse­hen wird, ist die Rolle Chinas als Innova­ti­ons­trei­ber. Deutsche Unter­neh­men entwi­ckeln und testen hier neues­te Techno­lo­gien für den globa­len Markt», sagt Hilde­brandt weiter. Sich zurück­zie­hen würde also auch bedeu­ten, bei Innova­tio­nen zurück­zu­fal­len. Deutsche Autobau­er sehen schon jetzt mit Sorge, wie chine­si­sche Herstel­ler auf dem Markt für Elektro­au­tos davon­zu­zie­hen drohen. Nicht nur in Sachen E‑Mobilität, auch beim autono­men Fahren ist das Entwick­lungs­tem­po in China rasant.

Welche Auswir­kun­gen eine Abkopp­lung hätte

Ein «Decou­pling» sei für deutsche Unter­neh­men in China ein absolu­tes «Worst­ca­se-Szena­rio», sagt Hilde­brandt. Durch die enge Verflech­tung deutscher Unter­neh­men in chine­si­sche Liefer­ket­ten würde sich eine wirtschaft­li­che Abkopp­lung auf die ganze deutsche Wirtschaft negativ auswir­ken. «Volks­wirt­schaft­lich gesehen würde eine Abkopp­lung mit erheb­li­chen Wohlstands­ver­lus­ten einher­ge­hen», warnt er.

Etwas weniger drastisch schätzt IfW-Ökonom Sandkamp die Lage ein: «Wir haben das mal simuliert und sind zu dem Schluss gekom­men, dass so eine Abkopp­lung auf den ersten Blick langfris­tig gar nicht so teuer wäre.» Deutsch­land würde demnach auf lange Sicht etwa ein Prozent seiner Wirtschafts­leis­tung einbü­ßen — das seien jedes Jahr knapp 40 Milli­ar­den Euro weniger.

Kurz- und mittel­fris­tig sei das wesent­lich schwie­ri­ger: Es käme zu Engpäs­sen, einzel­ne Firmen würden sicher pleite­ge­hen und die mangeln­de Verfüg­bar­keit einzel­ner Vorpro­duk­te würde etwa die Energie­wen­de oder die Elektri­fi­zie­rung der Autobran­che massiv verschlep­pen. Zudem seien Inves­ti­ti­ons­flüs­se in diesen Berech­nun­gen nicht berücksichtigt.

Wie sich Unter­neh­men aktuell aufstellen

Bei den Unter­neh­men ist von einer Abkehr von China noch nicht viel zu spüren. Bosch, Schaeff­ler oder BASF kündig­ten zuletzt einen Ausbau ihrer Präsenz dort an. Auch die Autobau­er setzen weiter auf das China­ge­schäft und den Anschluss an die dorti­ge techno­lo­gi­sche Entwick­lung. Was zuletzt aber auffäl­lig war: Fast immer beton­ten die Firmen auch, in welche Weltre­gio­nen sie darüber hinaus investieren.

«Ich finde es nicht proble­ma­tisch, dass noch in China inves­tiert wird», sagt Sandkamp. Sollte es irgend­wann wirklich zu einer neuen Block­bil­dung mit hohen Zöllen kommen, sei diese Strate­gie aus Unter­neh­mens­sicht sogar sehr sinnvoll — man könne dann in China für China weiter­pro­du­zie­ren. Es brauche aber gleich­zei­tig unbedingt auch eine Inten­si­vie­rung der Bezie­hun­gen zu anderen Ländern.

Wie abhän­gig China von Deutsch­land ist

Bei all den Diskus­sio­nen um die Abhän­gig­keit von China wird oft die Frage ausge­blen­det: Wie ist es eigent­lich anders herum? Rund acht Prozent der chine­si­schen Arbeits­plät­ze seien vom Export in den Westen abhän­gig, sagt Matthes. Und beim Import kämen seinen Berech­nun­gen zufol­ge fast alle Flugzeu­ge, Autos oder Arznei­mit­tel aus dem Westen.

Auch bei einigen Lebens­mit­teln habe der Westen hohe Import­an­tei­le. Als kritisch stuft er Chinas Abhän­gig­keit von westli­chen Halblei­tern und Maschi­nen dafür ein. Käme es wirklich zu einem Konflikt mit Taiwan, lägen etwa hier Sanktionsmöglichkeiten.

Von David Hutzler und Jörn Petring, dpa