SPRINGE (dpa) — Ein Straßen­schild mit dem eigenen Nachna­men? Das kann man sich doch nachts mal besor­gen. Oder das Ortsschild von Wacken? Auch sehr beliebt. Eine nieder­säch­si­sche Firma sorgt für Ersatz.

Wacken ist angesagt. Nein, nicht das Heavy-Metal-Festi­val — obwohl, das auch. Sondern das Ortsschild. Das gilt auch für Kalifor­ni­en und Brasi­li­en, beide nicht jenseits des Atlan­tiks, sondern an der Ostsee gelegen.

Was die Ortsschil­der leich­ter erreich­bar macht. Ebenso in Hoden­ha­gen, Fickmüh­len, Bierber­gen — oder auch in Freiheit, einem Stadt­teil von Oster­ode im Harz. All diese Orte eint: Ihre Ortsschil­der werden mit Begeis­te­rung gestoh­len. Dann müssen neue her, wie auch Verkehrs­schil­der regel­mä­ßig ausge­tauscht werden. Jetzt stellt sich eine Frage, die der «Sendung mit der Maus» würdig wäre: Wo kommen all die Schil­der her?

16 Herstel­ler von Verkehrs­zei­chen gibt es in Deutsch­land, einer der Großen darun­ter ist die Fritz Lange GmbH in Sprin­ge in der Region Hanno­ver. 120 000 Standard­ver­kehrs­zei­chen stellt das Unter­neh­men jedes Jahr her, wie Spreche­rin Melanie Ilgay sagt. Außer­dem riesi­ge Brücken­be­schil­de­run­gen, wie sie über Autobah­nen hängen — zwischen 40 und 80 Quadrat­me­tern groß — das entspricht der Fläche vieler Wohnun­gen. Dazu kommen besag­te Ortsschil­der, 3000 Stück im Jahr. Und ganz neben­bei: Auch Straßen­schil­der werden gern gestohlen.

Davon kann Karl Gerhard Tamke, Bürger­meis­ter der nieder­säch­si­schen Gemein­de Hoden­ha­gen, ein Lied singen. Erst im vergan­ge­nen Febru­ar sei ein neues Ortsschild aufge­stellt worden — im März war es schon wieder weg. Ersetzt sei es noch nicht, denn die Frage sei: «Wie kriegen wir die Dinger befes­tigt? Da muss nur jemand mit einem Schrau­ben­schlüs­sel kommen.» Versuchs­wei­se seien die Schrau­ben krumm­ge­schla­gen worden. Aber die Polizei winkt ab — die Diebe kämen mit dem Akkubohrer.

Axel Kunkel, Bürger­meis­ter von Wacken in Schles­wig-Holstein, ist schon einen Schritt weiter: Seit einigen Jahren würden die Schil­der einge­schweißt statt angeschraubt, seitdem werde nichts mehr gestoh­len — jeden­falls an den drei Gemein­de­stra­ßen mit Ortsschil­dern. An drei Landes­stra­ßen seien sie «regel­mä­ßig weg». Dennoch geht der deutsche Städte- und Gemein­de­bund davon aus, dass das Problem, «nicht sehr weit verbrei­tet» sei, wie Exper­te Jan Streh­mann sagt. Zahlen gebe es keine — wie auch bei seinem nieder­säch­si­schen Kolle­gen Thors­ten Buller­diek. Der fragt sich nach eigenen Worten aller­dings schon bei manchem Garten: «Wie kommt das Schild dahin?»

Trotz­dem: Das Geschäft mit Ortsta­feln sei «sehr groß», Straßen­na­men seien «tägli­ches Geschäft», sagt Ilgay. Auch Schil­der zur Geschwin­dig­keits­be­schrän­kung seien bei Dieben beliebt. Schwer­punkt­mä­ßig macht das Unter­neh­men seine Geschäf­te in Nieder­sach­sen und Bremen, 90 Prozent seien öffent­li­che Ausschrei­bun­gen. Angaben zu Umsatz oder Ergeb­nis macht Ilgay nicht.

Was steht gerade auf dem Programm? Geschwin­dig­keits­be­schrän­kun­gen und ein Ortsschild — genau­er gesagt Tempo 130 und Ortsschild sowie Ortsaus­gangs­schild von Wacken. Micha­el Mazur (54), Abtei­lungs­lei­ter Druck­ver­fah­ren, steuert den Druck, ein digita­ler Flach­bett­dru­cker wirft die entspre­chen­den selbst­kle­ben­den Bahnen aus. Es gebe «Hunder­te von Regeln» erklärt Ilgay. Grafi­ker zeich­nen die Schil­der entspre­chend der Vorga­ben zunächst, nach der Freiga­be durch den Kunden werden die Alumi­ni­um­ble­che zugeschnit­ten, die Schil­der ausge­druckt und ausge­schnit­ten, schließ­lich verklebt. Kleine­re Schil­der können der größe­ren Stabi­li­tät wegen am Rand umgebör­delt sein, größe­re bekom­men auf der Rücksei­te Traver­sen eingenietet.

Andrea Rehren verklebt Druck­bah­nen für ein Segment eines Großschil­des für die Autobahn, positio­niert die Folie sorgfäl­tig und schiebt dann eine Walze darüber, damit alles glatt wird. So ein Element koste etwa 1500 Euro: «Da sollte nichts schief gehen», sagt die 58-Jähri­ge. Dann wischt sie etwas Staub von dem Schild­seg­ment ab. Da sei sie doch etwas pinge­lig. Großschil­der werden sicher­heits­hal­ber in der Firma einmal komplett aus einzel­nen Segmen­ten zusam­men­ge­baut — gefühlt nimmt die 60-Quadrat­me­ter-Tafel die halbe Halle ein.

Dabei ist Neubau nicht alles: Geschäfts­be­reichs­lei­ter Vedat Ilgay zeigt Anti-Sticker-Folie für Schil­der — bekle­ben kann man sie kaum, beschmie­ren nur schwer, abwaschen vergleichs­wei­se leicht. Seine eigene Erfin­dung, wie der 44-Jähri­ge sagt. Das Problem: Bislang reinig­ten die Straßen­meis­te­rei­en die Schil­der von Graffi­ti meist mit schar­fen Mitteln, die Farben verbli­chen schnell und die Schil­der reflek­tier­ten kaum mehr. Bundes­weit gebe es etwa 25 Millio­nen Verkehrs­zei­chen, jährlich ausge­wech­selt werden etwa 1,6 Millionen.

Und der 44-Jähri­ge warnt: Selbst fest vernie­te­te oder verschweiß­te Ortsschil­der würden gestoh­len. «Das ist, wie soll ich sagen, die Natur des Menschen», meint er. Es muss ja nicht so weit gehen wie im Falle des öster­rei­chi­schen Orts Fugging, der zuvor Fucking hieß: Die Ortsschil­der wurden geklaut, extra angereis­te Männer zeigten sich in eindeu­ti­gen Posen, der Ruf des Orts war angekratzt. Dagegen versteht Bürger­meis­ter Kunkel sogar irgend­wie dieje­ni­gen, die ein Ortsschild von Wacken haben wollen: «Das ist Kult.»

Von Thomas Strün­keln­berg (Text) und Hauke-Chris­ti­an Dittrich (Fotos), dpa