HANNOVER (dpa) — Ganz vertieft starren sie auf ihre Bildschir­me, nehmen kaum etwas um sich herum wahr: Viele Menschen zocken auf ihren Handys, Konso­len oder Laptops — und seit der Corona-Pande­mie mehr als vorher.

Spielen bis zum Umfal­len? In der Corona-Pande­mie hat sich das Daddeln mit Handy, Spiele­kon­so­le oder Compu­ter einer Umfra­ge zufol­ge spürbar verstärkt — um dann nur leicht abzuflauen.

Jeder achte Mann zockt häufi­ger als vor der Pande­mie — in der Lockdown-Zeit 2020 war es sogar jede fünfte, wie eine Forsa-Umfra­ge im Auftrag der KKH Kaufmän­ni­sche Kranken­kas­se mit Sitz in Hanno­ver ergab. Frauen schei­nen weniger anfäl­lig zu sein: Der Umfra­ge zufol­ge zockt jede 13. Frau mehr als zuvor, während dies 2020 noch jede achte Befrag­te sagte. Für die reprä­sen­ta­ti­ve Studie wurden im Juli 2020 und im Juli 2022 rund 1000 Menschen im Alter von 16 bis 69 Jahren online befragt. Mit rund 1,6 Millio­nen Versi­cher­ten ist die KKH eine der größten bundes­wei­ten gesetz­li­chen Krankenkassen.

Erwar­tungs­ge­mäß gaben vor allem die jünge­ren Befrag­ten an, seit der Corona-Krise mehr zu spielen: So sagten 4 Prozent der 16- bis 29-Jähri­gen, dass sie seit der Pande­mie deutlich mehr spielen — 12 Prozent räumten ein, etwas mehr zu spielen. Immer­hin 7 Prozent unter ihnen sagten aber auch, dass sie seit der Pande­mie deutlich weniger spielen. Unter den älteren Befrag­ten zwischen 30 und 69 Jahren spiel­te nur ein Prozent deutlich mehr.

Woran ist ein Süchti­ger zu erkennen?

Dabei gilt: Nicht jeder, der mehre­re Stunden am Stück spielt, ist automa­tisch süchtig. Es gebe aber klare Alarm­si­gna­le, sagte Micha­el Falken­stein, KKH-Exper­te für Sucht­fra­gen. Dazu zähle, die Kontrol­le über Häufig­keit und Dauer des Spielens zu verlie­ren, nicht aufhö­ren zu können, das Zocken vor andere Aktivi­tä­ten zu stellen und auch bei negati­ven Konse­quen­zen weiterzumachen.

«Süchtig nach Compu­ter­spie­len ist jemand, der seine Familie und Freun­de, die Schule oder die Arbeit vernach­läs­sigt, der sich wegen des ständi­gen Spielens schlecht ernährt, kaum noch schläft, Hobbys und sport­li­che Aktivi­tä­ten sausen lässt», erklär­te er. Aber: «Spielen bis zum Umfal­len – das ist offen­bar immer noch die Ausnahme.»

Dennoch gilt laut der Umfra­ge: Insge­samt 61 Prozent der Männer und 44 Prozent der Frauen spielen Compu­ter­spie­le – online und offline. 2020 waren es 66 Prozent der Männer und 52 Prozent der Frauen. An mindes­tens zwei Tagen pro Woche zocken jeder dritte Mann und jede vierte Frau, je 18 Prozent der Frauen und Männer spielen täglich.

Frauen sind zumin­dest etwas abstinenter

Unter­schie­de zwischen den Geschlech­tern gibt es vor allem bei der Spiel­dau­er: Mehr als die Hälfte der männli­chen Gamer spielt mindes­tens eine Stunde täglich an PC, Konso­le, Tablet oder Smart­phone – an Wochen­en­den etwas weniger als die Hälfte. Zumin­dest etwas absti­nen­ter sind Frauen, von denen nur etwa ein Drittel täglich länger als eine Stunde spielt. 16 Prozent der Männer wieder­um spielen samstags und sonntags täglich mindes­tens zwei Stunden und länger, neun Prozent sogar mindes­tens fünf Stunden.

Warum wird so viel und so lange gespielt? Spaß, Zeitver­treib, Stress­ab­bau und das Abschal­ten seien Gründe, teilte die Kranken­kas­se mit. Für Männer gehe es aber auch um Gruppen­dy­na­mik: 22 Prozent von ihnen spielen demnach, weil es die Freun­de auch tun — aber nur sechs Prozent der Frauen. «Männer bevor­zu­gen häufig Spiele, in denen sie sich mit anderen, eben auch mit Freun­den, messen können. Das sind zum Beispiel Rollen­spie­le», erklär­te Falken­stein. Beson­ders Menschen mit einem gerin­gen Selbst­wert­ge­fühl nutzten solche Spiele, um sich von Frust und Unsicher­heit zu befrei­en — mit Erfolgs­er­leb­nis­sen ließen sich Misserfol­ge im Alltag leich­ter kompensieren.

Es gebe aber auch positi­ve Effek­te von Compu­ter­spie­len, sagte er: «Wenn Spiele­rin­nen und Spieler sich mit anderen zusam­men­schlie­ßen, erleben sie nicht nur gemein­sam etwas, sondern gehen auch sozia­le Verpflich­tun­gen ein.» Vor allem in den Lockdown-Phasen der Pande­mie seien Spiele eine Möglich­keit des sozia­len Austauschs gewesen. Um exzes­siv spielen­den Menschen zu helfen, sei es wichtig, die Ursachen für eine Sucht zu ermit­teln, erklär­te Falken­stein. Das könnten etwa Depres­sio­nen oder sozia­le Angst­stö­run­gen sein.

Der Duisbur­ger Psycho­lo­ge und Kogni­ti­ons­for­scher Matthi­as Brand schrieb im Mai im Fachjour­nal «Science», Compu­ter­spiel­sucht sei eine ernst­haf­te Erkran­kung, die messba­re Verän­de­run­gen im Gehirn hervor­ru­fen könne und mit Alkohol- oder Drogen­sucht vergleich­bar sei. Grund für Panik sei das aber nicht, mahnte er. Nach inter­na­tio­na­len Studi­en lägen Compu­ter­spiel­stö­run­gen bei etwa drei Prozent der Jugend­li­chen und jungen Erwach­se­nen vor.

Von Thomas Strün­keln­berg, dpa