STUTTGART (dpa/lsw) — Egal, ob matschi­ge Papri­ka oder verschim­mel­ter Frisch­kä­se: Jedes Jahr kommen tonnen­wei­se Lebens­mit­tel in den Abfall. Das Land will dem Müllberg an den Kragen, aber kann die Größe des Problems nur erahnen.

Sieht nicht schön aus — ab in die Tonne damit. Oder: im Kühlschrank verges­sen und vergam­melt. Auf diese oder ähnli­che Weise landen in Deutsch­land jährlich viele Millio­nen Tonnen Lebens­mit­tel im Müll. Mit einer Aktions­wo­che «Lebens­mit­tel­ret­ter — neue Helden braucht das Land» soll jetzt in Baden-Württem­berg etwas dagegen getan werden. «Wäre die weltwei­te Verschwen­dung von Lebens­mit­teln ein Land, wäre es der dritt­größ­te Produ­zent von Treib­haus­ga­sen», sagte Verbrau­cher­schutz­mi­nis­ter Peter Hauk (CDU) zum Auftakt am Mittwoch in Stuttgart.

Bis zum 6. Oktober will das Minis­te­ri­um gemein­sam mit dem Handel und der Dualen Hochschu­le Baden-Württem­berg prakti­sche Tipps geben, damit weniger wegge­schmis­sen wird: Obst kann beispiels­wei­se zum Smoothie gemixt werden. Eine Einkaufs­lis­te hilft, nur das zu kaufen, was man wirklich braucht. Vom Minis­te­ri­um gibt es dazu im Inter­net auch Erklärvideos.

Nach einer Studie im Auftrag des Bundes­er­näh­rungs­mi­nis­te­ri­ums für 2015 landen in Deutsch­land knapp zwölf Millio­nen Tonnen pro Jahr auf dem Müll. Gut die Hälfte davon werfen priva­te Haushal­te weg. Der World Wildlife Fund For Nature (WWF) schätzt die Zahl sogar auf bundes­weit 18 Millio­nen Tonnen. Aktuel­le Zahlen zur Lebens­mit­tel­ver­schwen­dung im Südwes­ten gibt es nicht.

Eine Studie der Gesell­schaft für Konsum­for­schung (GfK) von 2017 zeigt aber, dass in einem Jahr in den baden-württem­ber­gi­schen Haushal­ten 22 Kilogramm pro Kopf in die Tonne flogen. Das Land will die Verschwen­dung bis 2030 um die Hälfte reduzie­ren, so steht es im Koali­ti­ons­ver­trag. Dem Verbrau­cher­schutz­mi­nis­te­ri­um liegen aber keine konkre­ten Zahlen darüber vor, wie viele Lebens­mit­tel entlang der Wertschöp­fungs­ket­te im Südwes­ten wegge­wor­fen werden, wie ein Sprecher mitteil­te. Grund­la­ge für das Ziel im Koali­ti­ons­ver­trag sei der Wert aus der Studie für den Bund.

Exper­ten haben Zweifel, dass das gelin­gen kann. «Das Ziel 2030 können wir im Leben nicht einhal­ten», sagte David Jans von der Initia­ti­ve Foodsha­ring. «Nur mit Freiwil­lig­keit kriegen wir das Problem nicht in den Griff. Es braucht einen gesetz­li­chen Rahmen.» In Frank­reich beispiels­wei­se dürfen große Super­märk­te Lebens­mit­tel nicht wegwer­fen, sondern müssen sie örtli­chen Tafeln oder anderen gemein­nüt­zi­gen Organi­sa­tio­nen spenden. Sonst drohen Geldstrafen.

In Deutsch­land setzt man hinge­gen auf Freiwil­lig­keit. So gibt es Firmen, die fehler­haf­te Produk­te wie zerbro­che­ne Kekse günsti­ger in Werks­ver­käu­fen anbie­ten. Auch die Betei­li­gung am Foodsha­ring (zu deutsch: Nahrung teilen) ist freiwil­lig: Ehren­amt­li­che holen aussor­tier­te Lebens­mit­tel bei Betrie­ben oder Restau­rants ab und vertei­len sie kosten­los weiter. In Baden-Württem­berg gibt es nach Angaben der Initia­ti­ve mehr als 16 750 sogenann­te Foodsa­ver — also Menschen, die Lebens­mit­tel «retten».

Auch in einem aktuel­len Bundes­rats­be­schluss heißt es, dass die auf Freiwil­lig­keit basie­ren­den Konzep­te zur Reduzie­rung der Lebens­mit­tel­ab­fäl­le nicht ausreich­ten. «Das Problem ist, dass zum Beispiel ein Gastro­nom, der sein Buffet nicht ständig nachfüllt, nichts davon hat», erklär­te Tanja Dräger de Teran vom WWF. Am Ende gebe es zwar weniger Müll, aber die Kundschaft gehe dann anders­wo essen. Ähnlich sei es bei einem Bäcker, der am Abend fast nichts mehr in der Ausla­ge habe. «Es braucht finan­zi­el­le Anrei­ze für Unter­neh­men, damit sie weniger wegwerfen.»

Das Bündnis Lebens­mit­tel­ret­tung, zu dem auch die 2012 gegrün­de­te Initia­ti­ve Foodsha­ring gehört, kriti­siert auch das Mindest­halt­bar­keits­da­tum. «Das Mindest­halt­bar­keits­da­tum verun­si­chert die Leute», sagte Jans. Produk­te wie Nudeln, Kaffee oder Honig ließen sich noch lange nach dem aufge­druck­ten Datum verwen­den. Vielen Leuten sei außer­dem der Unter­schied zwischen Mindest­halt­bar­keits- und Verbrauchs­da­tum nicht klar.

Das Verbrauchs­da­tum gilt für sehr leicht verderb­li­che Lebens­mit­tel wie Fleisch. Nach Ablauf des Datums kann der Verzehr gesund­heits­ge­fähr­dend sein. Das Bündnis fordert daher, die Daten so zu drucken, dass der Käufer sie leich­ter unter­schei­den kann. Bei lange haltba­ren Produk­ten gehört das Mindest­halt­bar­keits­da­tum abgeschafft, meinte Jans.

Verbrau­cher­mi­nis­ter Hauk setzt vor allem auf Infor­ma­ti­on. Strafen könnten nur die «Ultima Ratio» sein. Im Oktober soll zudem eine «Messwo­che» statt­fin­den: Dabei sollen Kanti­nen und andere Einrich­tun­gen der Gemein­schafts­ver­pfle­gung ermit­teln können, wie viel Nahrungs­mit­tel sie entsorgen.

Von Vanes­sa Reiber, dpa