WEINGARTEN — Die Mitglie­der der Vollver­samm­lung der Indus­trie- und Handels­kam­mer Boden­see-Oberschwa­ben (IHK) beschäf­tig­ten sich in ihrer Frühjahrs­sit­zung schwer­punkt­mä­ßig mit dem geplan­ten Biosphä­ren­ge­biet Allgäu-Oberschwaben. 

Nach der Schwä­bi­schen Alb und dem Schwarz­wald könnte mit Allgäu-Oberschwa­ben das dritte Biosphä­ren­ge­biet in Baden-Württem­berg entste­hen. Das Vorha­ben wird stark disku­tiert, der Planungs­pro­zess läuft jedoch bereits. Der Zeitplan ist offen, bis wann die Kommu­nen die Entschei­dung treffen, ob sie sich mit ihren Flächen betei­li­gen. Dies könnte 2026 oder 2027 der Fall sein. Im Rahmen ihres Schwer­punkt­the­mas erhiel­ten die Mitglie­der der IHK-Vollver­samm­lung als Reprä­sen­tan­ten der regio­na­len gewerb­li­chen Wirtschaft umfas­sen­de Infor­ma­tio­nen sowie Einbli­cke in die aktuel­len Planun­gen und verschie­de­nen Sicht­wei­sen – und sie hatten die Gelegen­heit für Fragen und Austausch.

Veran­kert ist der Prozess zur Auswei­sung des dritten Biosphä­ren­ge­biets im Koali­ti­ons­ver­trag von Bündnis 90/Die Grünen und CDU vom 11. Mai 2021. Dort werde als Ziel genannt, „das Klima und die biolo­gi­sche Vielfalt zu schüt­zen und regio­na­le Wirtschafts­kreis­läu­fe zu stärken“, infor­mier­te Franz Bühler vom Prozess­team Biosphä­ren­ge­biet im Landrats­amt Ravens­burg die Vollver­samm­lungs­mit­glie­der. Die Moore würden dabei einen Schwer­punkt bilden. Vertre­ter öffent­li­cher Belan­ge binde man bereits in verschie­de­nen Arbeits­grup­pen ein. Paral­lel dazu, so Bühler weiter, seien zur Erarbei­tung einer Gebiets­ku­lis­se erste Überle­gun­gen zu mögli­chen Kern- und Pflege- sowie Entwick­lungs­zo­nen angestellt worden. In den Kernzo­nen – Bühler zufol­ge ausschließ­lich aus öffent­li­chen Flächen bestehend – soll die Natur weitest­ge­hend sich selbst überlas­sen werden. Als Pflege­zo­nen sollten laut Bühler ausschließ­lich Flächen ausge­wie­sen werden, die bereits einen Schutz­sta­tus als Natur­schutz­ge­biet, Bann- und Schon­wald oder NATURA-2000-Gebiet haben. Dies ist aus der Forde­rung entstan­den, neue Aufla­gen insbe­son­de­re für Land- und Forst­wirt­schaft zu vermei­den. In der Entwick­lungs­zo­ne gebe es demnach keine Einschrän­kun­gen seitens des Biosphä­ren­ge­bie­tes. Dort soll vielmehr eine nachhal­ti­ge wirtschaft­li­che Entwick­lung geför­dert werden. Der Suchraum für das Biosphä­ren­ge­biet erstreckt sich auf Flächen der drei Landkrei­se Biber­ach, Sigma­rin­gen und Ravens­burg bis ins württem­ber­gi­sche Allgäu mit Schwer­punkt im Kreis Ravens­burg, der mit Ausnah­me der Gemar­kun­gen von Ravens­burg und Weingar­ten als Ganzes enthal­ten ist. 

Entschei­dung liegt bei den Gemeinden

Die Entschei­dung für oder gegen einen Beitritt zu einem Biosphä­ren­ge­biet liege aber letzt­end­lich bei den Gemein­den, sagte Bühler. Diese können selbst bestim­men, ob sie Mitglied werden wollen oder nicht. „Die Entschei­dun­gen werden zum Schluss bei uns in den Kommu­nen vor Ort getrof­fen“, bestä­tig­te Timo Egger, Sprecher der eigens gegrün­de­ten Kommu­na­len Arbeits­ge­mein­schaft Biosphä­ren­ge­biet (KAB) der Bürger­meis­te­rin­nen und Bürger­meis­ter im Suchraum. „Wir stehen im engen Austausch mit dem Prozess­team und vor allem mit unseren lokalen Akteu­ren, von denen wir wissen, welche Befürch­tun­gen und Beden­ken sie haben.“

Touris­mus­wirt­schaft sieht Chancen

Wesent­li­che Teile des geplan­ten Biosphä­ren­ge­bie­tes würden im Gebiet der Oberschwa­ben Touris­mus GmbH (OTG) liegen, berich­te­te IHK-Geschäfts­be­reichs­lei­ter Stefan Kesen­hei­mer von den Erkennt­nis­sen aus dem Arbeits­kreis Freizeit und Touris­mus. Bereits 2022 habe die OTG ein neues Marke­ting­kon­zept verab­schie­det, das einen sanften, natur­na­hen Touris­mus als Vermark­tungs­chan­ce betrach­te, schwer­punkt­mä­ßig auf eine quali­ta­ti­ve Touris­mus­ent­wick­lung setze und zahlrei­che mögli­che Schnitt­stel­len zu den allge­mei­nen Zielset­zun­gen eines Biosphä­ren­ge­biets aufwei­se. Eine quanti­ta­ti­ve Ausdeh­nung der Besucher­zah­len infol­ge der Einrich­tung eines Biosphä­ren­ge­biets sei aber nicht zu erwarten. 

Land- und Forst­wirt­schaft befürch­ten Einschränkungen

Das geplan­te Biosphä­ren­ge­biet sei ein Großschutz­ge­biet nach Natur­schutz­recht – mit unvor­her­seh­ba­ren Auswir­kun­gen auf das Eigen­tum und die Bewirt­schaf­tung durch Änderun­gen im europäi­schen und deutschen Natur­schutz­recht, warnte Micha­el Fick, Sprecher der Allianz der Landeigen­tü­mer und Bewirt­schaf­ter. Erfah­run­gen der Landwir­te und Waldbe­sit­zer mit anderen Natur­schutz­ge­bie­ten bestä­ti­gen, dass es Einschrän­kun­gen für die Land- und Forst­wirt­schaft geben werde. Leider sei der laufen­de Prozess auf ein Biosphä­ren­ge­biet beschränkt. „Klima- und Natur­schutz kann man ohne Großschutz­ge­biet wirkungs­vol­ler und unbüro­kra­ti­scher fördern – wir lehnen ein Biosphä­ren­ge­biet daher ab.“ Auch Armin Baumann, Holzwerk Baumann GmbH in Wangen, befürch­tet durch ein weite­res Großschutz­ge­biet verschärf­te Vorga­ben für die Forst- und Landwirt­schaft. Holz sei der wichtigs­te nachwach­sen­de Rohstoff. Ohne eine aktive Waldwirt­schaft gebe es keinen Klima­schutz. Auch Baumann plädiert dafür, Gestal­tungs­ho­heit und Verant­wor­tung für die Region in der Region zu halten.

Vollver­samm­lung benötigt mehr Information

Die Mitglie­der der IHK-Vollver­samm­lung äußer­ten Verun­si­che­rung über das mögli­che Biosphä­ren­ge­biet, insbe­son­de­re, da weite Teile des Landkrei­ses Ravens­burg als Entwick­lungs­zo­ne unter das Natur­schutz­ge­setz fallen könnten. Die Unter­neh­men befürch­ten hier zukünf­ti­ge Nutzungs­be­schrän­kun­gen, etwa bei der Auswei­sung und Entwick­lung neuer Gewer­be­flä­chen. Auch zeigten mehre­re der Anwesen­den kein Verständ­nis dafür, dass die Region nicht viel inten­si­ver und trans­pa­ren­ter in den bishe­ri­gen Prozess einbe­zo­gen worden sei, das Biosphä­ren­ge­biet einzu­rich­ten. Man sei als Region zwar touris­tisch durch­aus attrak­tiv, aber dennoch durch einen starken indus­tri­el­len Mittel­stand geprägt, der aufgrund der Siedlungs­struk­tur der Region nicht in einzel­nen Städten konzen­triert sei. Kesen­hei­mer kündig­te an, die IHK werde die Vor- und Nachtei­le des Biosphä­ren­ge­biets sorgfäl­tig gegen­ein­an­der abwägen, bevor ein Beschluss dazu gefasst werde. „Wir müssen uns klar sein, dass die Konzep­te von anderen Biosphä­ren­ge­bie­ten in anderen Regio­nen nicht eins zu eins auf unsere Region übertrag­bar sind, da sich unsere wirtschaft­li­che Ausgangs­struk­tur von diesen unter­schei­det. Wir beglei­ten daher den Prozess weiter kritisch und werden uns aktiv in die Debat­te einbringen.“

Das geplan­te Biosphä­ren­ge­biet Oberschwaben-Allgäu
Biosphä­ren­ge­biet: Ein Biosphä­ren­re­ser­vat (BSR) ist eine von der UNESCO initi­ier­te Modell­re­gi­on, in der nachhal­ti­ge Entwick­lung in ökolo­gi­scher, ökono­mi­scher und sozia­ler Hinsicht exempla­risch verwirk­licht werden soll. In Baden-Württem­berg gibt es derzeit zwei aktive Biosphä­ren­ge­bie­te: Schwä­bi­sche Alb und Schwarz­wald. Kernge­bie­te der Kernzo­nen waren dort jeweils ein aufge­las­se­ner Truppen­übungs­platz der Bundes­wehr und ein bereits bestehen­der Naturpark.

Kernzo­ne: Diese Berei­che eines Biosphä­ren­re­ser­va­tes dienen langfris­ti­gem Natur­schutz gemäß den Schutz­zie­len. Kernzo­nen sind in der Regel von der wirtschaft­li­chen Nutzung ausgeschlossen. 

Pflege­zo­ne: Hier sollen Aktivi­tä­ten schonen­der, natur­na­her Landnut­zung statt­fin­den, die mit den Schutz­zie­len verein­bar sind, zum Beispiel schonen­der Touris­mus oder ressour­cen­scho­nen­der Landbau.

Entwick­lungs­zo­ne: In diesen besie­del­ten und flächen­mä­ßig meist größten Berei­chen eines Biosphä­ren­re­ser­vats geht es vor allem darum, mit Modell­pro­jek­ten für eine nachhal­ti­ge Bewirt­schaf­tung von Ressour­cen zu werben und diese zu fördern.