RAVENSBURG — „Faltest du 1000 Krani­che, wird dir ein Wunsch erfüllt“, heißt es in einer alten japani­schen Legen­de. Auch heute noch werden deshalb auf der ganzen Welt Origa­mi-Krani­che aus Papier gefal­tet und zu beson­de­ren Anläs­sen verschenkt. 

Die Papier­kra­ni­che sind aber auch ein Hoffnungs­zei­chen für kranke Kinder: Nach dem Abwurf der Atombom­be 1943 auf Hiroshi­ma erkrank­te dort ein Mädchen namens Sadako an Leukämie, der „Atombom­ben-Krank­heit“, die durch die radio­ak­ti­ve Strah­lung verur­sacht wurde. Sadakos größter Wunsch war es, wieder gesund zu werden und so falte­te sie im Kranken­haus täglich Papier­kra­ni­che, um niemals die Hoffnung zu verlie­ren – insge­samt weit über 1000. Ihre Geschich­te wurde weltbe­kannt und schenk­te vielen Menschen Mut. Noch heute steht in Hiroshi­ma eine von Krani­chen umgebe­ne Statue des Mädchens Sadako als Friedens­denk­mal für Kinder.

„Wer Krani­che faltet, hat Zeit, nachzu­den­ken und möchte dabei vielleicht auch mit anderen über Sorgen und Ängste sprechen“, erklärt Anneke Oberho­fer, Ergothe­ra­peu­tin am St. Elisa­be­then-Klini­kum in Ravens­burg. Ihre Idee war es, das Origa­mi-Falten in die Ergothe­ra­pie der Stati­on für Kinder­psy­cho­so­ma­tik zu integrie­ren. Kinder und Jugend­li­che im Alter von fünf bis 18 Jahren, die an psycho­so­ma­ti­schen Erkran­kun­gen leiden, werden hier inten­siv statio­när behan­delt. Das sind in vielen Fällen Patien­ten mit nicht organi­schen Herz-Kreis­lauf- oder Magen-Darm-Beschwer­den, Kopf-schmer­zen, Essstö­run­gen, Angst­stö­run­gen oder Depres­sio­nen. „Fast immer liegt bei unseren Patien­ten die Krank­heits­ur­sa­che im Stress — Stress in der Schule, in der Familie, im Freun­des­kreis. Psycho­so­ma­ti­sche Beschwer­den sind ein Signal der Seele“, weiß Ute Benz, Kinder­ärz­tin und Kinder- und Jugend­psych­ia­te­rin an der Klinik für Kinder und Jugend­li­che, die die Stati­on für Kinder­psy­cho­so­ma­tik leitet. Es gehe vor allem darum zu verste­hen, was zu den Beschwer­den führe und wie man damit umgehen kann. Die Ergothe­ra­pie ist gemein­sam mit anderen Thera­pie­for­men wie Psycho- oder Musik­the­ra­pie Teil des umfang­rei­chen Behand­lungs­kon­zepts der Kinderpsychosomatik.

„1000 Krani­che sind wirklich eine außer­or­dent­lich beein­dru­cken­de Arbeit“, lobt Chefarzt der Klinik Dr. Andre­as Artlich die Finger­fer­tig­kei­ten und die Aus-dauer der Projekt­teil­neh­mer. Passend zu den bunten Papier­fi­gu­ren hat Patien­tin Rebek­ka – eben-falls im Rahmen der Ergothe­ra­pie – einen leuch­ten­den Sonnen­auf­gang auf Leinwand gemalt, an dem einige der Krani­che nun befes­tigt sind. Das Kunst­werk schmückt seit Kurzem den Eingangs­be­reich der Kinder­in­ten­siv­sta­ti­on. Die restli­chen Krani­che werden hier an Patien­ten und Eltern als Geste der Zuver­sicht verschenkt.