WEISSENAU – Arbeit stärkt die Persön­lich­keit, gibt Tages­struk­tur und schafft sozia­le Inklu­si­on und Inter­ak­ti­on. Seit 40 Jahren ermög­li­chen die Weissen­au­er Werkstät­ten des ZfP Südwürt­tem­berg mit ihren diffe­ren­zier­ten Angebo­ten diese Form der Teilha­be für Menschen mit psychi­schen Erkran­kun­gen. Bei einem Festakt wurde dieses Engage­ment gewürdigt. 

Dass es sich um kein alltäg­li­ches Event handelt, wurde schon auf dem Weg zur Mehrzweck­hal­le deutlich: Kräuter­bee­te, Aufsitz­ra­sen­mä­her, Holzspiel­zeug und aufwen­dig gestal­te­te Druck­ar­ti­kel gaben einen kleinen Vorge­schmack auf den bunten Festakt, der die zahlrei­chen Gäste erwar­te­te. Gemein­sam mit Vertreter:innen aus Politik, langjäh­ri­gen Wegbe­glei­tern, Mitar­bei­ten­den und natür­lich den Klient:innen selbst feier­ten die Weissen­au­er Werkstät­ten ihren 40. Geburtstag. 

Lucha: „Echte Pionierarbeit“

Einer der ersten Gratu­lan­ten war Sozial­mi­nis­ter Manne Lucha, der aufgrund seines Werde­gangs eng mit den Werkstät­ten verbun­den ist. „Hier in Weisse­nau wird seit jeher echte Pionier­ar­beit geleis­tet“, so der Minis­ter, der daran erinner­te, dass die Werkstatt in Weisse­nau in den 80ern deutsch­land­weit die erste Einrich­tung war, die für Menschen mit seeli­schen Behin­de­run­gen ein passge­nau­es Arbeits­an­ge­bot schuf. „Damit ist es gelun­gen, Menschen einen Platz zu geben, der ihren Fähig­kei­ten entspricht und der existen­zi­ell für ihren Selbst­wert ist“, so Lucha. 

Die enorme Bedeu­tung der Werkstät­ten für die Region Ravens­burg würdig­ten Stadt­rä­tin und Bundes­tags­ab­ge­ord­ne­te Heike Engel­hardt und Dr. Andre­as Honik­el-Günther, erster Landes­be­am­ter im Landkreis. „Dass es die Weissen­au­er Werkstät­ten seit 40 Jahren gibt, ist ein Glücks­fall für Ravens­burg“, beton­te Engel­hardt. Denn hier existie­re Teilha­be nicht nur auf dem Papier, sondern werde real gelebt. „Sie zeigen, dass jeder Mensch wertvoll und wichti­ger Teil der Gesell­schaft ist“, erklär­te Honik­el-Günther. „Lassen Sie uns auch künftig gemein­sam Vielfalt und sozia­le Verant­wor­tung im Landkreis Ravens­burg leben und gestalten“.

Geleb­te Vielfalt 

Wie geleb­te Vielfalt ausse­hen kann, konnten die Gäste dann aus erster Hand erfah­ren: Das Inklu­si­ons­thea­ter Compa­nie Paradox sorgt mit seiner Einla­ge „Vom Wachsen und Gedei­hen“ nicht nur für Unter­hal­tung, sondern regt auch zum Nachden­ken an. Großen Anklang fanden die weite­ren Beiträ­ge der Klient:innen. Katrin Magno­ne hatte über Nacht eine kleine Geburts­tags­an­spra­che vorbe­rei­tet, die mit viel Applaus belohnt wurde. Susan­ne Steegmai­er, Vorsit­zen­de des Werkstatt­ra­tes, gab inter­es­san­te Einbli­cke in die Aufga­ben des Gremi­ums sowie in ihr Amt als Frauen­be­auf­trag­te. Und in einem vom Teamlei­ter Daniel Neumann erstell­ten Video berich­te­ten Klient:innen, welchen Stellen­wert die Arbeit in den Werkstät­ten für sie hat. 

Einen Rückblick über 40 Jahre Werkstatt­ge­schich­te vollzog ZfP-Geschäfts­füh­rer Dr. Dieter Grupp in seinem Beitrag. Dafür holte er Stefan Oberle, einen der wichtigs­ten Gründungs­vä­ter der WfBM, auf die Bühne. Gemein­sam mit dessen Nachfol­ger Horst Stelzel und Thomas Berner vom Beglei­ten­den Dienst wurde an die 40-jähri­ge Geschich­te mit all ihren Höhen und Tiefen erinnert.
„Arbeit gab es in der Psych­ia­trie schon immer“, erinner­te sich Grupp. „Erst die Wertstatt­ver­ord­nung habe dazu geführt, dass die Klient:innen Löhne und Rechte erhielten.“ 

Wertschät­zung und Anerkennung

Bei der Eröff­nung der Werkstatt 1983 wurden diese zunächst in die Verwal­tung integriert, Patient:innen übernah­men beispiels­wei­se Aufga­ben in Küche und Wäsche­rei. In den 90ern wurden die Plätze deutlich ausge­baut, man stieg in die Indus­trie­pro­duk­ti­on ein und eröff­ne­te mehre­re Zweig­stel­len, die Vorläu­fer der heuti­gen Gemein­de­psych­ia­tri­schen Zentren. In den 2000ern ging diese Erfolgs­ge­schich­te weiter: Die Werkstät­ten wurden zu einem eigenen Bereich Arbeit und Rehabi­li­ta­ti­on ausge­baut, konnten eigen­ver­ant­wort­lich Mittel erwirt­schaf­ten und inves­tie­ren und die Außen­stel­le Rebuy gründen, deren Bedin­gun­gen dem ersten Arbeits­markt ähnel­ten. Mit der Finanz­kri­se folgte dann ein Absturz mit der schmerz­li­chen Konse­quenz, dass den Beschäf­tig­ten erstmals die Löhne gekürzt werden mussten. „Das abrup­te Ende des Booms war zunächst ein Schock“, erinnert sich Grupp. „Gleich­zei­tig war es ein Weckruf, uns wieder stärker den Kernauf­ga­ben zu widmen – Menschen mit einge­schränk­ten Fähig­kei­ten Wertschät­zung und Anerken­nung zu ermöglichen.“ 

Das dies immer noch der zentra­le Auftrag der Weissen­au­er Werkstät­ten ist, verdeut­lich­te Dr. Markus Hoffmann. „Unser Ziel ist, die Menschen in ihrer Ganzheit anzuneh­men, sie zu fördern und ihnen Entwick­lungs- und Gestal­tungs­mög­lich­kei­ten zu bieten“, erklär­te der Leiter des Bereichs Arbeit und Rehabi­li­ta­ti­on. Das gelin­ge mit profes­sio­nel­ler Bezie­hungs­ar­beit und dank des vielsei­ti­gen Beschäf­ti­gungs­an­ge­bo­tes, das Klient:innen ganz indivi­du­ell und entspre­chend ihrer Quali­fi­ka­ti­on förde­re. Den Blick in die Zukunft der Werkstät­ten wagte schließ­lich Dr. Raoul Borbé, Leiter des Geschäfts­be­reichs Gemein­de­psych­ia­trie. Für ihn sind die Weissen­au­er Werkstät­ten zwar ein unver­zicht­ba­rer Baustein der psych­ia­tri­schen Versor­gung, gleich­zei­tig warnte er davor, Paral­lel­ge­sell­schaf­ten zu schaf­fen. „Wünschens­wert wäre, wenn es uns gelingt, die Werkstatt­plät­ze in sozial­ver­si­che­rungs­pflich­ti­ge Beschäf­ti­gungs­ver­hält­nis­se zu überfüh­ren“ so der Psych­ia­ter. Hierfür müsse der erste Arbeits­markt jedoch inklu­si­ver werden.