Dem deutschen Fußball droht ein harter Herbst. Vieler­orts gibt es keine oder nur wenige Zuschau­er in den Stadi­en, Clubs bekla­gen neue Corona-Fälle nach Länder­spiel­rei­sen. Die Branche will mit aller Kraft den schlimms­ten Fall abwenden.

FRANKFURT/MAIN (dpa) — Die Fallzah­len steigen deutlich an, die Zuschau­er werden wieder aus den Stadi­en verbannt, und auch bei den Profis häufen sich die Infek­tio­nen: Die Bundes­li­ga steht vor einem knüppel­har­ten Corona-Herbst mit vielen Fragezeichen.

BVB-Boss Hans-Joachim Watzke thema­ti­sier­te am Wochen­en­de des vierten Spiel­tags gar das Worst-Case-Szena­rio für den Profi­fuß­ball. «Es muss weiter­ge­hen. Wir brauchen zumin­dest diese Geister­spie­le. Wenn wir die auch nicht mehr haben sollten, dann wird es ganz eng», sagte Watzke im ZDF-«Sportstudio» am späten Samstagabend.

Eine abrup­te Unter­bre­chung wie Mitte März steht derzeit trotz einer Rekord­zahl an Neu-Infek­tio­nen zwar nicht zu befürch­ten. Verei­ne und Verant­wort­li­che werden sich aber dennoch auf Unannehm­lich­kei­ten einstel­len müssen, die sie beim Saison­start im Septem­ber noch mit viel Optimis­mus beisei­te gescho­ben hatten.

Ein Auszug aus diesem Wochen­en­de: Mehre­re Profis, darun­ter Torjä­ger Andrej Krama­ric von der TSG Hoffen­heim, fehlten, weil sie sich in der Länder­spiel­pau­se infiziert hatten. Die mit der Politik in harten Verhand­lun­gen erkämpf­te Zahl von 20 Prozent Zuschau­ern waren nur noch in einem von neun Bundes­li­ga-Stadi­en möglich, und in der 2. Liga wurde schon zum zweiten Mal in dieser Spiel­zeit eine Partie verlegt.

Alarmie­rend wirkten die Worte von BVB-Coach Lucien Favre. «Wir müssen weiter probie­ren zu spielen, so lange wie möglich», sagte der Schwei­zer. Er geht von weite­ren Fällen aus und fügte an: «Es ist nicht gut zu reisen.» Doch während Bundes­kanz­le­rin Angela Merkel (CDU) die Bürger angesichts der dynami­schen Lage am Samstag dazu aufrief, Kontak­te zu beschrän­ken und weniger zu reisen, sieht der Plan der Clubs in den nächs­ten Wochen so aus: wöchent­lich Europa­po­kal-Reisen, häufig in Risiko­ge­bie­te, und schon im Novem­ber der nächs­te Dreier­pack an Länder­spie­len, die oftmals weite Wege quer über den derzeit von Corona geplag­ten Konti­nent erfordern.

Genau an diesen Länder­spie­len stören sich einige Liga-Bosse. Hoffen­heims Sport­chef Alexan­der Rosen, den es mit drei Corona-Ausfäl­len nach der Länder­spiel­pau­se am härtes­ten traf, forder­te ein Umden­ken. «Das ist ein Ausru­fe­zei­chen, das wir jetzt mal setzen müssen, vielleicht als Liga, vielleicht über die DFL, dass wir in der nächs­ten Abstel­lungs­pe­ri­ode anders agieren», sagte Rosen bei Sky. Zur Not müsse man «inten­si­ver drüber nachden­ken, die Jungs nicht gehen lassen», fügte der Funktio­när an.

Leipzigs Sport­di­rek­tor Markus Krösche sieht die Situa­ti­on ähnlich. «Wenn man die steigen­den Zahlen sieht, muss man sich schon Gedan­ken machen, ob es in der nächs­ten Abstel­lungs­pe­ri­ode Sinn macht, abzustel­len», forder­te Krösche. Bei den Verei­nen klingt zwischen den Zeilen stets durch: Europa­po­kal-Reisen ins Risiko­ge­biet sind okay, da müssen Länder­spie­le nicht auch noch sein. Dass die Verbän­de den Ligen im Frühjahr mit ihrer EM-Verschie­bung auf 2021 entge­gen­ge­kom­men sind, scheint bei einigen Liga-Verant­wort­li­chen bereits wieder verdrängt.

Stutt­garts Sport­di­rek­tor Sven Mislin­tat warb indes für gegen­sei­ti­ges Verständ­nis. «Ganz ehrlich: Ich finde, wir müssen es einfach so nehmen, wie es kommt. Wir können jetzt nicht jede Woche darüber disku­tie­ren, wenn es uns betrifft, dass ein Natio­nal­spie­ler mal zwei oder drei Spiele machen muss», sagte der 47-Jähri­ge. Vom VfB werde es kein Gejam­mer geben.

Mislin­tat sieht die Gefahr einer Anste­ckung oder Quaran­tä­ne eines seiner Spieler dagegen nicht als größer an als in anderen Lebens­be­rei­chen. «Wenn ein Spieler von uns von der Natio­nal­mann­schaft zurück­kom­men sollte und er ist positiv — seien wir mal ehrlich: Das kann auch passie­ren, wenn er auf dem Schloss­platz ein Eis isst», sagte er. «Wir müssen da schon ein gesun­des Maß finden, und das machen die meisten.»

Neben infizier­ten Spielern bleibt vor allem die Zuschau­er­fra­ge ein Reizthe­ma. Watzke rechne­te im Fernseh­stu­dio anschau­lich vor, was die gestie­ge­nen Corona­zah­len für die Vereins­kas­se seines BVB bedeu­ten: «Wir haben eine riesi­ge Kosten­struk­tur, und wir müssen irgend­wann Geld einneh­men. Das war jetzt wieder ein Rückschlag, dass wir ohne Zuschau­er spielen müssen. Schal­ke wird uns eine Milli­on kosten, gegen Sankt Peters­burg das gleiche.» Bei der aktuel­len Entwick­lung ist zudem nicht damit zu rechnen, dass die Clubs ihre Zuschau­er­zah­len in Richtung Advents­zeit schnell wieder erhöhen können.

In den Tenor mancher Funktio­närs­kol­le­gen, dass man wegen der gründ­li­chen Hygie­ne­kon­zep­te auch bei Grenz­wert-Überschrei­tun­gen mit Publi­kum spielen könne, wollte Watzke nicht einstim­men. «Wir haben ein Konzept vorge­legt und haben der Politik diese 35 als Zahl angebo­ten», sagte der 61-Jähri­ge mit Blick auf den Inzidenz­wert, der die Zahl der infizier­ten Menschen der vergan­ge­nen sieben Tage pro 100 000 Einwoh­ner angibt. «Verläss­lich­keit heißt, dass wir zu dem Angebot, das wir gemacht haben, stehen und nicht jetzt schon wieder versu­chen, nachzu­ver­han­deln», fügte Watzke an.

Einen Seiten­hieb auf die Politik konnte er sich trotz­dem nicht verknei­fen. Der BVB-Boss kriti­sier­te das seiner Ansicht nach «populis­ti­sche Fußball-Bashing», das zuletzt «teilwei­se aus der Bundes­re­gie­rung» gekom­men sei. «Ich fand es nicht zielfüh­rend», sagte Watzke über eine Merkel-Aussa­ge zur Bedeu­tung des Fußballs, die er aber nicht mehr konkret in Erinne­rung hatte. Merkel hatte in der Vorwo­che gesagt: «Man kann überle­gen, ob man bei Fußball­spie­len weniger Leute oder gar keine herein­lässt.» Watzke mahnte: «Wir müssen nicht die Frage nach Wichtig­keit stellen, sondern die nach Gefährdungspotenzial.»